Dresden / Kreuzkirche: TEIL I DES „WEIHNACHTSORATORIUMS“ VON J. S. BACH MIT DEM DRESDNER KREUZCHOR – 15.12.2024
Der Dresdner Kreuzchor hält an seiner Tradition fest, das „Weihnachtsoratorium“ von Johann Sebastian Bach in zwei Teilen aufzuführen, Teil I (Kantaten I ‑ III ) möglichst erst kurz vor Weihnachten und Teil II (Kantaten IV ‑ VI) im Januar (11.1.2025), um der eigentlichen Bestimmung dieses grandiosen und doch auch volkstümlichen sechsteiligen Kantaten-Zyklus wenigstens einigermaßen gerecht zu werden, denn er wurde, entsprechend der biblischen Geschichte, die erzählt wird, für die Zeit nach Weihnachten (25. Dezember bis 6. Januar) komponiert und 1734 in der Leipziger Nikolaikirche und Thomaskirche Kantaten weise an den Festtagen aufgeführt.
Das, jetzt zusammenhängend aufgeführte, „Weihnsachtsdoratorium“ ist das populärste sakrale Werk. Das Publikum liebt vor allem die ersten drei Kantaten, und das nur vor Weihnachten. Jetzt wird zwar oft in anderen Kirchen versucht, durch Einbeziehung einzelner oder auch aller drei Kantaten aus dem zweiten Teil in die Aufführungen vor Weihnachten, auch diese dem Publikum nahe zu bringen, was auch allmählich gelingt, aber nach Weihnachten interessieren sich nach wie vor nur noch Kenner und Liebhaber für diesen so wunderbaren Teil. Beim Dresdner Kreuzchor reichen drei Aufführungen des 1. Teiles kaum aus, um alle Kartenwünsche zu erfüllen, nach Weihnachten genügt eine einzige Aufführung für den 2. Teil.
„Jauchzet, frohlocket …“ begann der groß angelegte Eingangschor mit Pauken und Trompeten wie alle Jahre wieder und klang durch den Kirchenraum, wobei die ersten vier Geheimnisvolles ankündigenden Paukentöne unüberhörbar laut dominierten. Mit dem gut vorbereiteten Dresdner Kreuzchor und der Dresdner Philharmonie standen traditionsgemäß wieder die zwei ausgezeichneten, für Oratorien-Aufführungen prädestinierten, Klangkörper zur Verfügung, die immer wieder zu hohen Erwartungen berechtigen, die sie auch immer erfüllen.
Über der letzten von drei Aufführungen des 1. Teiles lag viel Ruhe, wohltuend in dieser betriebsamen Zeit, wo auch der überfüllte Striezelmarkt vor der Tür der Kreuzkirche braust. Sie bot die Möglichkeit zur inneren Einkehr und ließ Bachs tiefgründige Musik wirken. Unter der Leitung von Kreuzkantor Martin Lehmann, dem bereits in seiner relativ kurzen Amtszeit zahlreiche Konzerte und Kreuzchorvespern von hoher Qualität zu verdanken sind, widmete sich diesem Werk mit persönlichem Engagement und der ihm eigenen Energie. Stets das gesamte Werk im Blick, ist ihm auch jede Nuance, jedes Detail wichtig, da bei Bach alles seine Bedeutung hat und in jeder Arie, jedem Arioso, Chorsatz oder Rezitativ eine Botschaft übermittelt wird, mitunter auch in einem kleinen Detail auf geheimnisvolle Weise.
Mit guter Tempowahl in einer angemessenen Balance, die zugleich Beschaulichkeit und Spannung zuließ, ließ er die drei Kantaten intensiv erleben. Trotz anstrengender Zeit für die Kruzianer mit sehr vielen Veranstaltungen klangen die Chöre und Choräle, die von Lehmann nicht nur musikalisch, sondern auch inhaltlich gestaltet wurden, ausgeglichen und frisch. Die jungen Sänger reagierten auf jeden Wink ihres Leiters, der es versteht, ihnen die aufzuführenden Werke zu vermitteln.
Selbst die Pausen zwischen den Kantaten waren so bemessen, dass für die jungen Sänger, ohne den inneren Zusammenhang zu stören, genügend Zeit für Entspannung bestand und erneute Konzentration und exakte Disziplin, ohne die keine großen Leistungen möglich sind, aufgefrischt wurden. Das Ergebnis war frischer, unverbrauchter Chorklang mit intensiver, beeindruckender Gestaltung bis zum Schluss. Besonders beeindruckte, mit welcher Intensität sich Lehmann mit den Kruzianern den Chorälen widmete. So differenziert und auf jedes Detail liebevoll achtend, kam Bachs barockes Umspielen der alt-ehrwürdigen Choräle in schönster Weise zur Geltung.
Die Dresdner Philharmonie erwies sich einmal mehr als idealer Partner des Chores. Seit Jahrzehnten bildet das Orchester das immer wieder klangschöne, überaus zuverlässige instrumentale Fundament. Für festlichen Glanz sorgten die Musikerinnen und Musiker mit ihrem warmen, sensiblen Klang und sehr feinsinnigen instrumentalen Soli einzelner Orchestersolistinnen und -solisten bei der instrumentalen Umrahmung und völlig konformen Begleitung der Arien, mit der sie auf den Gesang einstimmten und seine Wirkung verstärkten, wie bei der, von Trompeten begleiteten Arie „Großer Herr und starker König“, der sehr sauber, brillant und mit Innigkeit umspielten Begleitung durch die Flöte mit vielen Feinheiten und lieblichen Verzierungen und die innig schöne Begleitung der Solovioline bei der Alt-Arie „Schließe, mein Herze dies selige Wunder, wodurch der Gesangsstimme noch mehr Glanz und Bedeutung verliehen wurde.
Eine mit inniger Hingabe musizierte „Sinfonia“, getragen und dennoch voller innerer Spannung, angemessener Dynamik und sanftem Klang leitete die zweite Kantate ein. Die Continuo-Gruppe sorgte zusammen mit dem Orchester sehr zuverlässig für Kontinuität und Klangschönheit, die sich wie ein roter Faden durch die Ausführung zog.
Das Solisten-Quartett erfüllte alle Aufgaben, wenn auch unterschiedlich, aber Lehmann verstand es, alles zu einer Einheit zusammenzufügen. Die Sopranpartie mit Engelsverkündung und Duett „Herr, dein Mitleid, dein Erbarmen“ mit dem Bassisten bewältigte Marie Sophie Pollak akzeptabel.
Als in den ersten drei Kantaten des Weihnachtsoratoriums mit drei großen Arien und Rezitativen viel beschäftigte Altistin brachte Marie Henriette Reinhold alle Voraussetzungen mit, um nicht nur alle technischen Schwierigkeiten mühelos zu meistern, sondern mit ihrer warmen, wohlklingenden, sehr geschmeidigen Altstimme die, mit langem Atem und konform mit der Instrumentalbegleitung gesungenen, seelenvollen Arien „Bereite dich, Zion“, „Schlafe mein Liebster“ und die von der Solovioline innig umschmeichelte Arie „Schließe, mein Herze, dies selige Wunder“ mit Stilgefühl und Innigkeit zu gestalten. Sie verfügt über das für die relativ trockene Akustik der Kreuzkirche ideale Stimmvolumen, so dass ihre gute Diktion und ihr natürlich fließender Gesang mit allen stilvollen Verzierungen voll zur Geltung kamen. Da kann auch eine minimale Unstimmigkeit den guten Gesamteindruck nicht trüben – „nur das Göttliche ist vollkommen“.
Der Schweizer Tenor und Bachpreisträger Raphael Höhn legte die Partie des Evangelisten rein musikalisch an und erzählte die Weihnachtsgeschichte durchgängig singend mit schlanker Tenorstimme, im Ausdruck eher verhalten, wie auch die, von der Soloflöte mit scheinbarer Leichtigkeit und Musizierfreude umschmeichelte „Hirten-Arie“.
Der Opern- und Konzertsänger und Musikwissenschaftler Christian Immler konzentrierte sich vor allem auf Gesangstechnik und inhaltlich orientierten Ausdruck und deklamierte die Rezitative der Basspartie mit Nachdruck, die Hörergemeinde direkt ansprechend, wobei leichte Probleme in der Höhe wie auch bei der von Trompetenglanz begleiteten Arie „Großer Herr, o starker König“ leider nicht zu überhören waren.
Trotz kleiner Einschränkungen war es eine beeindruckende Aufführung, die vom Publikum mit sehr viel Beifall wie bei einer Oper bedacht wurde.
Ingrid Gerk