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DRESDEN/ Kreuzkirche, Frauenkirche: DIE PASSIONEN JOHANN SEBASTIAN BACHS

20.04.2019 | Konzert/Liederabende

Dresden/Kreuzkirche, Frauenkirche: DIE PASSIONEN JOHANN SEBASTIAN BACHS – 18./19.4.2019

Johann Sebastian Bach hat die Passionsberichte von mindestens drei Evangelisten vertont und mit Arien und Ariosi ausgeschmückt und kommentiert (wenn nicht gar von allen vier (?)). Vollständig überliefert sind jedoch nur die „Johannespassion“ und „Matthäuspassion“. Von einer „Markuspassion“ sind lediglich die wunderbaren Chöre überliefert, die leider äußerst selten, aber doch hin und wieder zu hören sind, z. B. bei den Thüringer Bachwochen (14.4.2019).

In Dresden und Umgebung, überhaupt in Deutschland, werden „Johannes“- und „Matthäuspassion“ vornehmlich in der Osterzeit in zahlreichen Kirchen, aber auch Konzertsälen aufgeführt. Zwei Aufführungen sollen dafür hier stellvertretend stehen: die in sehr langer Tradition alljährlich zweimal (Gründonnerstag, Karfreitag) in der Kreuzkirche aufgeführte „Matthäuspassion“ und die „Johannespassion“ in der Frauenkirche mit einer wesentlich jüngeren Tradition. Beide haben ihre besondere Aura und ihre (Stamm )Zuhörerschar.

Bereits die Gründonnerstags-Aufführung der „MATTHÄUSPASSION“ in der Kreuzkirche (18.4.) war ausgeglichen und in sich stimmig, mit großem Engagement der Solisten, des Chores und des Orchesters und erfüllte bzw. übertraf alle Erwartungen.

Die Dresdner Philharmonie bildete wie alljährlich mit hoher Qualität das sichere und klangschöne Fundament, obwohl sich das Orchester in einer guten Balance zwischen den Anforderungen für die Aufführung der Passion und der Größe des Kirchenraumes in entsprechend mittlerer Besetzung immer wieder neu formiert und sich auch die Philharmonie wie jedes gute Orchester kontinuierlich „verjüngt“. Die Philharmoniker beeindruckten auch hier wieder mit ihrem warmen, teilnahmsvollen Klang und herausragenden solistischen Leistungen bei der instrumentalen Einleitung und Begleitung der Arien.

Man denke dabei nur an die schöne Soloflöte bei der Begleitung der Alt-Arie „Buß und Reu …“ (Katrin Bäz), die solistisch begleitende Oboe d’amore (Undine Röhner-Stolle, Guido Titze), die innige Begleitung der „Erbarme-dich-Arie“, bei der die Solo-Violine (Heike Janicke) mit singendem Ton die Worte der Altstimme schon vorbereitend vorwegzunehmen schien, um dann in völliger Übereinstimmung mit der Altistin die Arie zu „singen“, sowie die zweite Solo-Violine (Ralf-Carsten Brömsel) mit einer entsprechend „herzhafteren“ Begleitung einer anderen Arie. Das faszinierende Gambensolo mit schönem, vollem Klang zur Arie „Komm süßes Kreuz“ und das lautmalerisch bebende Solocello zu den Worten des Evangelisten („Und siehe da, der Vorhang im Tempel zerriss …und die Erde erbebete…“) leuchteten die instrumentalen Feinheiten dieser Passion aus. Selbst wenn man glaubt, die Passion in- und auswendig zu kennen, kann man bei so hingebungsvoller, bravouröser und gleichzeitig so empfindsamer Interpretation immer wieder neue Nuancen entdecken.

Die „Matthäuspassion“ lebt von starken Kontrasten, die wesentlich vom Chor mitbestimmt werden und vom Dresdner Kreuzchor hier sehr eindrucksvoll im Zusammenwirken mit dem Orchester gestaltet wurden. Da ging es in atemberaubendem Tempo und trotzdem entsprechender Klarheit und perfekter interner Abstimmung innerhalb des Chores völlig konform mit dem Orchester „Schlag auf Schlag“ bei dem wuchtigen Chor massiven Entsetzens „Sind Blitze, sind Donner“. Mit entsprechender Wucht setzten auch die turbulenten „Turbae“ (Volks-Chöre) ein oder das massive einhellige „Barrabam!“ als unwiderrufliches Todesurteil, auf das das wütende „Lass ihn kreuzigen“ und danach wieder der besinnliche Choral „O Haupt voll But und Wunden“ folgte.

Welche Klangfülle und Wandlungsfähigkeit entwickelte da der Chor mit seinen jungen Sängern, wie minutiös und gezielt griffen seine Einsätze in den Ablauf der Handlung nach den Worten des Evangelisten und den betrachtenden Arien ein und wie blitzschnell änderte sich die Stimmung in den sehr unterschiedlichen Chören und Chorälen gemäß ihrem Charakter von lebhaft („… der du den Tempel“), über kraftvoll und empört bis seelenvoll (vor allem in den Chorälen). Trotz später Abendstunde gab es keinerlei „Ermüdungserscheinungen“, auch nicht bei den Jüngsten. Der Chor war über die Dauer von ca. 3,5 Std. (mit einer Pause) immer präsent und in höchster Einsatzbereitschaft.

Auf höchste Qualität waren auch die Solisten bedacht. Die Evangelisten-Partie lag in den Händen des Tenors Patrick Grahl, der schon mehrmals an dieser Stelle mehr als überzeugte. Mit wohlklingender, tragender und klangvoller Stimme sang er die Worte des Evangelisten fast wie beeindruckende Ariosi, mit langem Atem, sehr schöner Höhe und Tiefe, hervorragender Deklamation und Textverständlichkeit und feinen Nuancen wie beispielsweise bei den Worten „und weinete bitterlich“. Er gestaltete die Rezitative sehr intensiv, auf sehr hohem Niveau und ohne vordergründig zu wirken. Da fehlte nichts. Die Arien gelangen ebenfalls makellos mit allen Feinheiten, wenn auch etwas zurückhaltender.

Mit ebenfalls guter Textverständlichkeit und tragender Stimme wartete auch der Bassist Tobias Berndt in der Rolle des Jesus auf, die er mit entsprechender Würde gestaltete. Die kleineren Rollen von Judas, Petrus, Pilatus usw. sowie die Bass-Arien sang Julian Orlishausen und gestaltete sie mit guter Gesangstechnik und inniger, wissender Anteilnahme, ausgeglichen und in perfektem Zusammenwirken mit Chor und Orchester.

Mit warmer, geschmeidiger Altstimme und ebenfalls sehr deutlicher Textgestaltung sang Henriette Gödde die Alt-Partie mit Herz und Seele. In dem Duett „So ist mein Jesus nun gefangen“ harmonierte ihr schöner Alt mit dem nüchterneren Sopran von Heidi Elisabeth Meier, die zuverlässig, aber eher sachlich, „schnörkel“- und emotionsarm (und auch weniger textverständlich) die Sopranpartie zu Gehör brachte, aber die Arie „Aus Liebe will mein Heiland sterben“ gut gestaltete.

Es gehört auch zur Tradition, dass für kleinere (Neben-)Rollen nach Möglichkeit Kruzianer eingesetzt werden. Das Publikum liebt es, die jungen Sänger zu hören. Sie können dabei schon erste Erfahrungen sammeln und Sicherheit gewinnen. Es gab an dieser Stelle auch schon erstaunliche Leistungen, hier jedoch erschienen die Stimmen der beiden kleinen Sänger der „zwei falschen Zeugen“ (Sopran und Alt), obwohl sie sich große Mühe gaben, noch allzu zart und verloren sich im großen Kirchenraum, da sie in ihrem jugendlichen Alter noch nicht über die erforderliche stimmliche Kraft verfügen konnten. Anders verhielt es sich bei „Pontifex I, II“ („Es taugt nicht,… denn es ist Blutgeld“), die dafür schon geeigneter waren, aber mit ihren Timbres nicht so recht zusammenpassen wollten.

Die Gesamtleitung dieser dramatischen, emotionalen und farbigen Passion mit ihren seelenvoll betrachtenden Rezitativen, Ariosi, Arien und Chorälen und wuchtigen Chören lag in den Händen von Kreuzkantor Roderich Kreile.

Die wesentlich kürzere, als sehr dramatisch bekannte „JOHANNESPASSION“, bei der die Gerichtsverhandlungen breiten Raum einnehmen, hatte in der Frauenkirche (19.4.) unter Frauenkirchenkantor Matthias Grünert einen ganz anderen, intimeren Charakter, was der Aufführung keinen Abbruch tat. Bachs Musik ist wandlungsfähig und verfehlt ihre Wirkung auch in den interschiedlichsten Interpretationsarten nicht.

Auf dem Gebiet des Oratoriengesanges erfahrene Solisten wie Hannah Morrison, Sopran, die seelenvoll gestaltende Altistin Marie Henriette Reinhold Alt, Mirko Ludwig Tenor, Wilhelm Schwinghammer als glaubhafte Vox Christi und Andreas Scheibner, der mit seinen besonderen Qualitäten auch für den Oratoriengesang, die Arien übernommen hatte, bildeten das engagierte Solistenensemble, das wesentlich zum Gelingen der Aufführung beitrug.

Mit dem wesentlich kleineren, aber leistungsfähigen Kammerchor der Frauenkirche und dem sehr zuverlässigen, klangschönen ensemble frauenkirche dresden, in dem vorwiegend Mitglieder der Sächsischen Staatskapelle Dresden und der Dresdner Philharmonie spielen, konnte auch diese Aufführung überzeugen und die Besucher stark beeindrucken.

Ingrid Gerk

 

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