Dresden / Kreuzkirche: „EIN DEUTSCHES REQUIEM“ VON JOHANNES BRAHMS MIT DEM DRESDNER KREUZCHOR – 17.11.2024
In einer langen Tradition führt der Dresdner Kreuzchor seit etwa 100 Jahren alljährlich am Ewigkeitssonntag – jetzt wegen Reiseplänen des Kreuzchores am Volkstrauertag – „Ein deutsches Requiem“ (op. 45) von Johannes Brahms auf. Es wurde zum festen Bestandteil im Dresdner Musikleben, den niemand missen möchte. Die über 3000 Plätze fassende Kreuzkirche war wie jedes Jahr bis auf den letzten Platz gefüllt. Da konnten auch Wind und Wetter die Besucher nicht zurückhalten.
„Seit Bachs h-Moll-Messe und Beethovens „Missa Solemnis“ ist nichts geschrieben worden, was auf diesem Gebiete sich neben Brahms’ deutsches Requiem zu stellen vermag“ urteilte einst der gefürchtete Wiener Musikkritiker Edouard Hanslick begeistert, und auch jetzt beeindruckt dieses musikalische Meisterwerk, das in schwierigen Lebensphasen des Komponisten zwischen 1865 und 1868 entstand, die Zuhörer zutiefst, vor allem, wenn es so akribisch genau mit allen Feinheiten gestaltet und tief nachempfunden erklingt, wie unter der Leitung von Kreuzkantor Martin Lehmann.
Es ist eine der ergreifendsten Kompositionen, ein sehr persönliches Bekenntnis des Komponisten zu den letzten Dingen, kein Requiem im liturgischen Sinn, keine Messe für die Toten, sondern Trost für die zurückbleibenden Lebenden. Brahms wählte selbst geeignete Bibelstellen dafür aus und überhöhte sie durch seine Musik, widersetzte sich aber Deutungen als religiöse Erhöhung der Kunst und nannte es „Menschenwerk“, denn es bringt die Gefühle und Empfindungen eines Menschen in Anbetracht des Todes zum Ausdruck.
Wenn die ersten leisen Töne des Orchesters erklingen, in die ebenso leise der Chor einstimmt, herrscht andächtige Stille in Dresdens größter Kirche. Man lauscht auf jeden Ton. Brahms’ Intentionen nachspürend, führte Lehmann den vierstimmigen Chor aus den jungen Stimmen des Kreuzchors und den Erwachsenenstimmen des Vocal Concert Dresden, einem gemischten Chor (Einstudierung: Peter Kopp) zur Unterstützung, zu einem gemeinsamen romantischen Klangbild, bei dem alle Feinheiten der sieben Sätze in ihrer unterschiedlichen Struktur und Klangwirkung von ruhig, bewegt, lebhaft oder feierlich mit innigem Ausdruck und in emotionaler Spannung, bis in die geistigen Tiefen ausgelotet, eine großartige Wirkung erreichten.
Mit genauester Phrasierungen führte Lehmann den gesamten Chor und das Orchester im Einklang und in hoher Transparenz vom ersten feinsten Pianissimo bei den Worten „Selig sind, die da Leid tragen“ über ein bewegendes Diminuendo „Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth“ bis zu machtvollen expressiven Höhepunkten, wie „Aber des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit“ und „Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg“ und dem wieder besänftigenden „Herr, du bist würdig, zu nehmen Preis und Ehre und Kraft“ und dem abschließend tröstenden „Selig sind die Toten“.
Seit Jahrzehnten ist die Dresdner Philharmonie der ideale instrumentale Partner bei den Konzerten des Dresdner Kreuzchores. Obwohl sich auch dieses Orchester wie alle anderen personell kontinuierlich verändert, bleibt die hohe Qualität bei den Aufführungen in der Kreuzkirche immer erhalten. Die exakten, klangschönen Holz- und Blechbläser, die warmen Streicher und die beiden Harfen ergaben, unterstrichen von der sich sehr gut integrierenden, die Klangwirkung unterstreichenden und verstärkenden Pauke, ein ideales Klangbild, das sich mit den Singstimmen in gleicher Auffassung zu einer harmonischen Einheit verband.
Lehmann bescherte der großen, andächtig lauschenden Hörergemeinde mit Chor und Orchester einen Hörgenuss in Klangschönheit und Ausdrucksstärke, eine ausgeglichene, ausgewogene Aufführung, bei der die beiden Gesangspartien von der international geschätzten Konzert-, Oratorien- und Liedsängerin Christina Landshammer und dem bei seiner umfangreichen internationalen Tätigkeit Dresden stets verbundenen Georg Zeppenfeld übernommen wurden. Christina Landshammer gestaltete die im leisesten Pianissimo „wie aus dem Jenseits „heranschwebende“, tröstende Worte zu den Menschen „sprechende“ und wieder wie im Jenseits entschwindende Frauenstimme der Sopran-Arie vor allem klanglich mit gut klingender, den Raum füllender Stimme und guter Phrasierung als großen musikalischen Bogen und Georg Zeppendfeld die Bariton-Partie mit sehr guter Artikulation und Textverständlichkeit und innerer Anteilnahme.
„Es ist „ein ganz gewaltiges Stück“, das den „ganzen Menschen ergreift“, dessen „tiefer Ernst, vereint mit dem Zauber der Poesie wunderbar erschütternd und besänftigend wirkt“ schrieb Clara Schumann an Brahms, und das wurde mit dieser Aufführung in schönster Weise bestätigt. Es ergreift und tröstet immer wieder, sooft man es auch hört.
Ingrid Gerk