Dresden/Kreuzkirche: „DER MESSIAS“ / „MESSIAH“ VON GEORG FRIEDRICH HÄNDEL – 26.11.2017
„Der Messias“, Originaltitel „Messiah“, der sich auf einen ursprünglich hebräischen Hoheitstitel aus der jüdischen Bibel bezieht, gilt bis heute als Georg Friedrich Händels beliebtestes Werk und als eines der populärsten Beispiele geistlicher Musik des christlichen Abendlandes. Seit seiner Uraufführung 1742 in Dublin und später in London erfreut sich dieses Oratorium großer Beliebtheit. Das Werk erregte schon vor seiner Uraufführung großes Aufsehen. Es wird berichtet, dass die Menschen herbeiströmten, um bei den Proben etwas von der Musik zu „erhaschen“. Viele erstiegen ein Gerüst, um noch besser sehen und hören zu können, zu viele, das Gerüst brach unter der Last zusammen, und es soll Tote und Verletzte gegeben haben.
Eigentlich kein gutes Omen, aber das Oratorium hat bis heute nichts von seiner unmittelbaren Wirkung eingebüßt. Jede Aufführung lenkt die Aufmerksamkeit auf einen der ganz Großen der Musikgeschichte, dessen Opern wieder auf den Spielplänen stehen, dessen geniale Oratorien aber völlig zu Unrecht immer seltener in Konzertsälen und Kirchen erklingen. Kein Geringerer als L. v. Beethoven sagte über ihn: „Händel ist der größte Komponist, der je gelebt hat. Er bewunderte, wie dieser mit relativ wenig kompositorischen Mitteln so große Wirkung erzielen konnte. Vielleicht ist aber gerade das der Grund, weshalb seine Musik mehr und mehr von anderen Komponisten verdrängt wird. Als Gradmesser gelten heutzutage die gesangstechnischen Schwierigkeiten und weniger die geistige und emotionale Wirkung eines Werkes.
Traditionsgemäß wurde „Der Messias“ in Deutschland zum 1. Advent aufgeführt, obwohl er ursprünglich für die Karwoche gedacht war. Die jetzige Aufführung am Totensonntag bedeutet also durchaus kein Sakrileg, bezieht sich doch der Inhalt auf das gesamte Kirchenjahr.
Da der Dresdner Kreuzchor zurzeit aufgrund zahlreicher Einladungen in aller Welt gastiert und die traditionelle Aufführung des „Deutschen Requiems“ von Johannes Brahms eine Woche vorverlegt wurde, übernahm Peter Kopp, einst Mitglied, dann Assistent und schließlich Konzertdirigent des Kreuzchores, den Termin am Totensonntag mit seinem Chor, dem Vocal Concert Dresden. Im Oktober dieses Jahres verließ er Dresden – sehr zum Bedauern seiner vielen begeisterten Musikfreunde -, um in Halle an der Evangelischen Hochschule für Kirchenmusik die Stelle des Rektors zu übernehmen, aber er bleibt hoffentlich seiner Heimatstadt auch weiterhin noch verbunden.
Das, auch international sehr geschätzte Vocal Concert Dresden wurde von Peter Kopp als „Neuer Körnerscher Singverein“ gegründet. Der Name ging auf die gesellige Runde zurück, die sich in Dresden um Schriftsteller und Jurist Christian Gottfried Körner, dem Vater des Dichters und Freiheitskämpfers Theodor Körner, zusammenfand. 2018 kann der Chor sein 25jähriges Bestehen feiern, vermutlich mit Kompositionen von Johann Gottlieb Naumann, um dessen Werk sich Peter Kopp und sein Chor sehr verdient gemacht haben.
Der nicht allzu große, aber stimmkräftige, Chor aus professionellen Sängern und Laien schien für die Aufführung gerade richtig (bei Händel umfasste der Chor rund 20 Sänger). Er besticht immer wieder durch seine künstlerische Ausstrahlung und dabei natürliche Musizierweise. Er sang sehr exakt, mit klangvollen Stimmen und entsprechender Stilsicherheit, ein ideales Pendant zu dem relativ großen, traditionsreichen, 1969 gegründeten und seit 2003 vom Konzertmeister der Dresdner Philharmonie, Wolfgang Hentrich, geleiteten Philharmonischen Kammerorchester Dresden. Hentrich saß bei der Aufführung am 1. Pult und bestimmte maßgeblich den, der Dresdner Philharmonie immanenten warmen, sensiblen Streicherklang. Chor und Orchester musizierten „auf gleicher Wellenlänge“, wie ein einheitlicher Organismus und bildeten mit besonderer Gewissenhaftigkeit und viel Klangsinn die zuverlässige Grundlage für eine in sich geschlossene, beeindruckende Aufführung unter der inspirierenden Leitung von Peter Kopp, der auch das richtige Gespür für Zeitmaß und Akustik der Kreuzkirche hat.
Das international besetzte Solistenquartett orientierte, wenn auch sehr unterschiedlich, auf Exaktheit, Stilkenntnis und Artikulation.
Mit voller, warmer, samtig-weicher, geschmeidiger Stimme, langem Atem, und großer Innigkeit, geradezu prädestiniert für Lied- und Oratoriengesang, sang Britta Schwarz, Spezialistin für Alte Musik, die Altpartie. Seit vielen Jahren widmet sie sich intensiv der Barockmusik, die ihrer ungewöhnlich schönen Stimme sehr entgegenkommt. Für sie gibt es auf diesem Gebiet keinerlei Schwierigkeiten, so dass sie sich voll und ganz auf die Gestaltung konzentrieren kann. Sie weiß, wovon sie singt und ist auf diesem Gebiet eine Idealbesetzung. Dies galt insbesondere auch für den ersten Teil des berühmten Duettes „He shall feed His flock like a shepherd“ („Er weidet seine Schafe …“), das sie auffallend klangschön, mit Herz und Hingabe sang und bei dem ihre Stimme frei „strömen“ konnte.
Der zweite Teil, gesungen von der aus Schottland stammenden Sopranistin Carine Tinney, die vorwiegend bei deutschen Lehrern Kenntnisse der Liedgestaltung erworben hat und derzeit ihr Studium im Operngesang fortsetzt, machte dann den härteren Klang ihrer Stimme besonders deutlich. Sie war bei ihrer Partie sehr um eine wirkungsvolle und stilgerechte Deklamation bemüht, wenn auch weniger akribisch und mit einer anderen Auffassung und Herangehensweise als in der deutschen Tradition. Ihre Koloraturen waren flüchtiger, ließen aber den Charakter der Arien erkennen.
Der australische Tenor Michael Smallwood seit 2010/11 an der Oper Halle engagiert, orientierte ebenfalls sehr auf genaue Diktion und widmete sich auch den Details und Feinheiten. Er war bestrebt, alles gewissenhaft auszuführen, nur seine Stimme hielt nicht immer mit.
Der aus Leipzig stammende, seit 2012/13 an der Wiener Volksoper engagierte Bass Daniel Ochoa, dessen persönliche Vorliebe der Musik J. S. Bachs gilt, und der in Dresden und Leipzig öfters als Solist in Oratorien auftritt, war auf Authentizität, Exaktheit und gute Phrasierung bedacht, verfolgte die großen musikalischen Linien in ihrem Zusammenhang und hatte bis zum Schluss genügend Stimmkraft und Kondition für die „Trompeten“-Arie „The trumpet shall sound …“, um im „Duett“ mit dem klaren, sachlichen, etwas nüchternen und metallischen Ton der fehlerfrei und sauber geblasenen Trompete „gleichberechtigt“ zu bestehen und sogar eine gewisse „Dominanz“ zu behalten.
Es war eine schöne, in sich geschlossene Aufführung, bei der weitgehend alles stimmte, und bei der von Peter Kopp alles zu einem harmonischen Ganzen zusammengefügt wurde.
Ingrid Gerk