Dresden / Kreuzkirche: DAS „WEIHNACHTSORATORIUM“ VON J. S. BACH MIT DEM DRESDNER KREUZCHOR – 17.12.2023
In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten haben sich die weihnachtlichen Traditionen und damit die Aufführungen von Johann Sebastian Bachs populärstem sakralem Werk, dem „Weihnachtsoratoriums“ mit allen sechs Kantaten immer mehr in die Vorweihnachtszeit verschoben. Der Dresdner Kreuzchor hält aber an seiner Tradition fest, den ersten Teil (Kantaten I ‑ III ) möglichst erst kurz vor Weihnachten und Teil II (Kantaten IV ‑ VI) im Januar (13.1.2024) zu bringen, da Bach seinen sechsteiligen Kantatenzyklus mit dem biblischen Text der Weihnachtsgeschichte 1734 für die Zeit nach Weihnachten, vom 25. Dezember bis zum 6. Januar, dem Epiphaniasfest, das an die drei Weisen aus dem Morgenland erinnert, schrieb.
Mit dem Dresdner Kreuzchor und der Dresdner Philharmonie standen zwei ausgezeichnete Klangkörper zur Verfügung, die zu hohen Erwartungen berechtigten, die sie noch übertrafen. Unter der Leitung von Kreuzkantor Martin Lehmann, dem bereits in seiner reichlich einjährigen Amtszeit zahlreiche Konzerte und Kreuzchorvespern in hoher Qualität zu verdanken sind, widmete sich diesem Werk mit besonderer Energie und persönlichem Engagement. Stets das gesamte Werk im Blick, ist ihm auch jede Nuance, jedes Detail wichtig, da bei Bach alles seine Bedeutung hat und oft eine Botschaft übermittelt wird, mitunter auf geheimnisvolle Weise.
Mit guter Tempowahl, die Beschaulichkeit und Spannung zugleich zuließ, nicht übereilt, aber auch nicht zu getragen. ließ er die ersten drei Kantaten mit Frische, Intensität und persönlicher Anteilnahme in drei Aufführungen erstehen, die nicht ausreichten, um alle Kartenwünsche zu erfüllen. Trotz anstrengender Zeit – der Kreuzchor hatte zwei umfangreiche Tourneen hinter sich und eine Zeit mit sehr vielen Veranstaltungen vor sich – klangen Chöre und Choräle, die von Lehmann nicht nur musikalisch, sondern auch nach ihrem Inhalt gestaltet wurden, in allen Stimmlagen tragfähig, ausgeglichen und frisch. Die Kruzianer reagierten auf jeden Wink ihres Leiters, der versteht, was er aufführt, und mit ihm auch der Chor, dessen schöne Stimmen bei manchem Choral besonders zur Geltung kamen.
Selbst die Pausen zwischen den Kantaten waren so bemessen, dass für die jungen Sänger, ohne den inneren Zusammenhang zu stören, genügend Zeit für Entspannung bestand und Konzentration und exakte Disziplin, ohne die keine großen Leistungen möglich sind, aufgefrischt wurden. Das zeigte sich in dem stets frischen, unverbrauchten Klang und intensiver, beeindruckender Gestaltung mit festlichem Glanz bis zum Schluss.
Die Dresdner Philharmonie erwies sich als idealer Partner des Chores, mit dem sie oft in völliger Übereinstimmung zusammenklang. Seit Jahrzehnten bildet das Orchester das immer wieder klangschöne, überaus zuverlässige instrumentale Fundament bei den Oratorien-Aufführungen. Für besonders festlichen Glanz sorgten die Musiker mit sehr sauberem und außergewöhnlich schönem Trompeten- und Hörnerglanz in den Eröffnungs- und Schlusschören zur Umrahmung einzelner Kantaten und bei der Trompetenbegleitung (Christian Höcherl) der Arie „Großer Herr und starker König“.
Feinsinnige instrumentale Soli von Violine (Wolfgang Hentrich), Oboe d’amore (Johannes Pfeiffer) und Flöte (Marianna Zolnacz) stimmten mit ihrem brillanten Vorspiel auf andere Arien ein und verliehen ihnen mit ihrer „Begleitung“, konform mit der Singstimme, Glanz und Bedeutung. Eine mit inniger Hingabe musizierte „Sinfonia“, getragen und dennoch voller innerer Spannung, guter Dynamik und sanftem Klang leitete die zweite Kantate ein. Die Continuo-Gruppe (Matthias Bräutigam, Violoncello, Stefan Maaß, Laute, Robert Christian Schuster, Fagott, Benedikt Hübner, Kontrabass, Johanna Lennarts, Orgel, Holger Gehring, Cembalo) sorgte zusammen mit dem Orchester sehr zuverlässig für Kontinuität und Klangschönheit, die sich wie ein roter Faden durch die Ausführung zog.
Das Solistenensemble war unterschiedlich besetzt, aber Lehmann verstand es, alles zu einer Einheit zusammenzufügen.
Patrick Grahl ist ein idealer Evangelist und gehört gegenwärtig zu den besten dieses Faches. Er hat schon mehrmals an dieser Stelle mit dieser Partie auf sich aufmerksam gemacht und mehr als überzeugt. Seine schöne, klangvolle Tenorstimme setzte er in den Rezitativen ein, um sehr eindrucksvoll und ausdrucksstark, unaufdringlich und nicht vordergründig, aber umso eindrucksvoller die Weihnachtsgeschichte zu erzählen. Die „Hirten-Arie“ „Frohe Hirten, eilt, ach eilet“ sang er, von der Soloflöte mit scheinbarer Leichtigkeit und Musizierfreude begleitet, makellos und mit sehr langem Atem in großer Linie.
Die Alt-Partie hatte Edith Maria Breuer übernommen und widmete sich ihr mit schöner, geschmeidiger Stimme und Stilgefühl, aber anfangs oft eine Idee zu leise für den großen Raum und die relativ trockene Akustik der Kreuzkirche, so dass ihre gute Diktion bei der Arie „Bereite dich Zion“ und ihre mitunter auch unauffälligen Verzierungen bei den fließend, mit langem Atem und konform mit der Instrumentalbegleitung gesungenen seelenvollen Arien „Schlafe mein Liebster“ und „Schließe, mein Herze, dies selige Wunder“ nicht immer voll zur Geltung kommen konnten.
Mehr Erfahrung mit den Besonderheiten der Akustik hatte neben Patrick Grahl auch Matthias Winckhler. Mit dem richtigen Maß an Lautstärke sang er die Rezitative der Basspartie und die von herrlichem Trompetenglanz begleitete Arie „Großer Herr, o starker König“ stilistisch perfekt, sehr auf guten gesangstechnischen Ausdruck orientiert, weniger auf inhaltlichen.
Miriam Alexandras zarte, klare, höhensichere Stimme reichte gerade für die Engelsverkündigung aus, die vor längerer Zeit an dieser Stelle jedes Jahr von einem Knabensopran aus dem Chor gesungen wurde. In dem sehr ungleich besetzten Duett Sopran/Bass „Herr, dein Mitleid, dein Erbarmen“ war ihre Stimme jedoch mehr zu ahnen als zu hören, obwohl Winckler sehr zurücknahm.
Trotz einiger minimaler „Unstimmigkeiten“, die den Gesamteindruck nicht weiter beeinträchtigten – „nur das Göttliche ist vollkommen“ – war es eine sehr bewegende Aufführung mit zahlreichen Glanz- und Höhepunkten.
Ingrid Gerk