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DRESDEN/Kreuzkirche: ABSCHIED VON PETER SCHREIER IN EINEM „TRAUERGOTTESDIENST“

09.01.2020 | Konzert/Liederabende

Dresden / Kreuzkirche: ABSCHIED VON PETER SCHREIER IN EINEM „TRAUERGOTTESDIENST“ – 8.1.2020

„Ein wahrhaft Großer ist von uns gegangen“ sagte Kreuzkantor Roderich Kreile in seiner kurzen Würdigung im „Trauergottesdienst“ für Peter Schreier in der Dresdner Kreuzkirche. Er hat Schreier erst spät kennengelernt, als Schreier, der immer den Kontakt zum Kreuzchor suchte, auf ihn zuging. Sie wurden gute Freunde.

Schon Stunden vorher sammelten sich die Menschen vor der Kirche und bildeten lange Schlangen wie zu Weihnachten zur Christvesper, um mit Traurigkeit und Dankbarkeit Abschied zu nehmen von ihrem Lieblingssänger. Unzählige Male hat Schreier das „Weihnachtsoratorium“ von J. S. Bach gesungen. Weihnachten in Dresden war für ihn wichtig, nicht nur als Musiker, auch persönlich mit dem weihnachtlich geschmückten Dresden und dem „Striezelmarkt“, den er einmal auf einer Konzerttournee während der Weihnachtszeit in den USA schmerzlich vermisste.

Am 1. Weihnachtsfeiertag des Jahres 2019 ist er im Alter von 84 Jahren nach langer Krankheit in einem Dresdner Krankenhaus gestorben. Er hatte noch einiges vor, Gespräche für Publikum über sein Künstler- und Privatleben, Interpretationsprobleme und Anliegen der Musik. Seine letzten Jahre waren ein Geschenk für ihn und auch für sein Publikum, das ihm immer treu geblieben ist.

Die über 3200 Plätze in Dresdens größter Kirche reichten nicht aus, um allen Platz zu bieten, die Peter Schreier, dem international bekannten und gefeierten Operntenor, Oratorien- und Liedsänger, Dirigenten, Lehrer, Organisator, Buchautor und liebenswerten Menschen (und nicht zuletzt auch Fußball-Fan) das letzte Geleit geben wollten. Kaum ein Künstler wurde von allen Bevölkerungsschichten so geliebt wie er, war er doch auf vielen Gebieten der Musik gleichermaßen geschätzt, als lyrischer Tenor auf den Opernbühnen der Welt von Wien, München, Hamburg, Mailand, den Salzburger Festspielen usw. bis Budapest, Bukarest, New Yorker MET, Teatro Colon Buenos Aires, Leningrad (St. Petersburg) usw. genauso wie in Kirchen und Konzertsälen.

Er war als „Weltbürger“ auf mehreren Kontinenten zu Hause und immer Dresden und der sächsischen Kulturlandschaft sowie Wien und den Österreichern sehr verbunden. Als Sänger war er zum (aller)letzten Mal 2005 in Prag zu erleben. Von der Opernbühne trat er schon früher mit einer seiner glanzvollen Opernrollen, dem Tamino an der Oper unter den Linden in Berlin ab. Seinen letzten Liederabend gab er in Dresden und Wien mit Franz Schuberts „Winterreise“ (und seinen allerletzten in Großenhain in Sachsen). Mit seinen Schallplatten/CDs erreicht er auch jetzt noch viele Menschen, die sonst nicht unbedingt klassische Musik bevorzugten. Seine, im Herbst 2019 neu aufgelegte CD mit Weihnachtsliedern war sofort vergriffen und musste nachgepresst werden.

Im großen Altarraum der Kreuzkirche strahlten noch die beiden Weihnachtsbäume und die Festbeleuchtung an den Emporen in festlichem Glanz. Ein riesiges Blumenmeer mit weißen, rosa und gelben Blumen schmückte den Altarraum mit dem Sarg und die Stufen davor. Ein großes Foto zeigte ihn in seinen letzten Jahren, gealtert, aber mit freundlich-wohlwollendem Gesichtsausdruck. Neben Schreiers Familie, engen Freunden und Kollegen, Weggeführten und ehemaligen Kruzianern aus nah und fern, war auch viel Prominenz erschienen, darunter der Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, Michael Kretschmer, für den es als Förderer von Musik- und Kunst nicht nur eine Repräsentationspflicht gewesen sein dürfte, und ein großer Kreis der Menschen, denen Peter Schreier mit seinem Gesang und seiner Interpretationskunst Freude und Kunstgenuss und nicht selten auch Trost und Zuversicht gegeben hat.

Musikalisch wurde die Feier vom Dresdner Kreuzchor unter der Leitung von Roderich Kreile und Kreuzorganist Holger Gehring an der Orgel mit sinnreich gewählten Stücken, vor allem von Heinrich Schütz und J. S. Bach gestaltet, zwei Komponisten, die Schreier immer begleitet hatten. Eine sehr persönlich geprägte Trauerrede (Predigt) hielt Markus Deckert, ehemaliger Kruzianer, Freund der Familie Schreier und Pfarrer der Heimatkirche Schreiers in Dresden-Loschwitz, für deren Wiederaufbau er sich zusammen mit Theo Adam engagiert hat, nicht zuletzt mit Benefizkonzerten. Adam verstarb zu Beginn des Jahres 2019, Schreier am Ende. So schloss sich der Kreis, der bei beiden im Dresdner Kreuzchor begonnen hatte (wenn auch zu unterschiedlichen Zeiten) und in enger Verbundenheit durch zwei Weltkarrieren führte.

Schreier hatte mit seiner einmaligen Stimme, die so unverwechselbar war wie er selbst, ein erfülltes Leben in Würde und Schönheit, aber auch nicht ohne Probleme und anfangs geprägt von Krieg und Nachkriegszeit. Am 1.7.1945 kurz nach dem Ende des Krieges, als inmitten von Trümmern und Provisorien langsam wieder ein Neuanfang gewagt wurde, kam er als erster Junge in den Kreuzchor, in ein Notquartier. Am 4.8.19945 sang der Chor bereits wieder in der ausgebrannten, mühsam von Trümmern, auch durch die Kruzianer, geräumten Ruine der Kreuzkirche.

Der damalige Kreuzkantor Rudolf Mauersberger erkannte seine musikalische Begabung, förderte ihn sehr und schrieb sein „Dresdner Requiem“ ganz auf den Kreuzchor und Schreiers Knabenalt zugeschnitten. Schon damals träumte Schreier davon, Tenor zu werden, um Evangelisten-Partien singen zu können, womit er später Vorbild für viele junge Sänger bei der Interpretation von Bachs Oratorien und Passionen wurde, obwohl er nicht imitiert werden wollte, sondern lieber andere Interpretationen hörte. Seine exakte Technik und intensive Beschäftigung und Deutung dieser Partien hat aber Maßstäbe gesetzt, an denen sich viele junge Sänger immer noch und immer wieder orientieren. Er hat das Wort sehr ernst genommen und musikalisch umgesetzt. Damit zog er unzählige Menschen in seinen Bann und an das heran, was er sang, ob in Oper, Operette, Oratorium oder Lied. Hier über das große Kapitel Oper zu sinnieren, hieße „Eulen nach Athen zu tragen“. Es hätte auch den Rahmen dieser Feier gesprengt und konnte nur tangiert werden.

Um die Erinnerung an den Aufenthalt Robert Schumanns und seiner Familie 1849 (während der Revolution) in der Gegend etwa 20 km südlich von Dresden wach zu halten, gründete Schreier 1998 den Kunst- und Kulturverein Kreischa, dessen Ehrenvorsitzender er war. Die Vereinsmitglieder nahmen am 4.1. 2020 bei stürmischem, nasskaltem Wetter an der, von dem Bildhauer Hans Kazzer aus eigener Verehrung geschaffenen, Bronze-Büste im Kurpark von Kreischa feierlich Abschied und werden sein Vermächtnis weiterführen. Die 1999 aus gleichem Anlass von Schreier ins Leben gerufene, aller zwei Jahre stattfindende, „Schumanniade“ in Reinhardtsgrimma wird unter der Leitung von Olaf Bär, an den er die Fackel weitergegeben hat, weiterbestehen.

Seine Stimme ist verstummt, nun auch seine Sprechstimme, mit der in den letzten Jahren noch sehr gefragte und begeistert aufgenommene Beiträge geleistet hat, aber sein Gesang, seine Aufführungen als Dirigent und seine „Plauderstündchen“ werden im Gedächtnis unendlich vieler Menschen und Musikfreunde bleiben, auch derer, die es durch ihn erst geworden sind, und sie wird auch auf Tonträgern noch lange erklingen.

Ingrid Gerk

 

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