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DRESDEN/ Konzertsaal im Kulturpalast: „SONDERKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN AN IHREM 472. GRÜNDUNGSTAG“ MIT ANDRÁS SCHIFF UND MYUNG-WHUN CHUNG

23.09.2020 | Konzert/Liederabende

Dresden / Konzertsaal im Kulturpalast: „SONDERKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN AN IHREM 472. GRÜNDUNGSTAG“ MIT ANDRÁS SCHIFF UND MYUNG-WHUN CHUNG – 22.9.2020

Alljährlich am 22. September führt die Sächsische Staatskapelle Dresden, eines der ältesten und renommiertesten Orchester der Welt, zur Erinnerung an den Tag, an dem durch Kurfürst Moritz von Sachsen 1548 die „Dresdner Hofkapelle“ gegründet wurde, ein Sonderkonzert auf, bei dem traditionell Kompositionen früherer Kapellmeister oder der Kapelle verbundener Meister an einem der Orte gespielt werden, wo die Kapelle seither in Dresden in Vergangenheit und Gegenwart gewirkt hat. Dazu gehören die Schlosskapelle im Dresdner Residenzschloss, das Palais im Großen Garten, das Opernhaus, das Schauspielhaus („Großes Haus“) und der Kulturpalast, wo mehr als zwei Jahrzehnte die Symphoniekonzerte stattfanden, bis sie wegen der unzulänglichen Akustik im großen (Mehrzweck-)Saal von Giuseppe Sinopoli in die Semperoper verlegt wurden, wo sie auch jetzt noch stattfinden.

Das „472. Gründungskonzert“ feierte die Staatskapelle nun im neuen Konzertsaal des „Kulti“ mit seiner, von Musikern und Publikum gleichermaßen, gerühmten Akustik, bei der kein Ton verlorengeht, mit Werken von Johannes Brahms, der 1886 die Kapelle dirigierte und Ehrenmitglied des orchestereigenen Tonkünstler-Vereins war, und Antonín Dvořák, dessen Genialität er erkannte und den er förderte.

Seit Bestehen der Kapelle haben bedeutende Kapellmeister und international geschätzte Instrumentalisten die Geschichte der einstigen Hofkapelle geprägt: unter ihnen Heinrich Schütz, Johann Adolf Hasse, Carl Maria von Weber und Richard Wagner, der das Orchester als seine „Wunderharfe“ bezeichnete. Jetzt stand Myung-Whun Chung, Erster Gastdirigent des Orchesters, am Pult, der zwei Tage zuvor (20.9.) im 1. Kammerabend der Staatskapelle eine ganz andere Facette seines Könnens präsentierte und im „Forellenquintett“ von Franz Schubert den Klavierpart übernahm, um ein Zeichen für die enge Verbindung mit den Kapellmusikern zu setzen.

Mit gewaltig anrollendem, fast bedrohlichem, Unheil verkündendem, Donnergrollen der dominierenden Pauke – statt geheimnisvoller Einstimmung – begann das „Klavierkonzert Nr. 1 d‑Moll“ (op. 15) von Johannes Brahms mit András Schiff am Klavier. Das Konzert trägt durchaus sinfonische Züge und wurde deshalb seinerzeit ironisch auch als „Symphonie mit obligatem Klavier“ bezeichnet. Aus heutiger Sicht ist das besonders reizvoll, wenn der „Balanceakt“ zwischen Orchester und Solist als kongeniales Miteinander gestaltet wird, was hier zu zwei gleichrangigen Ebenen wurde. András Schiff meisterte den Klavierpart mit klingendem Anschlag, klassisch klar und allen Feinheiten zwischen Temperament und sanften Passagen und behauptete sich auch im, zuweilen dominanten Orchester mit klingendem, nicht vordergründigem, aber dennoch wohl wahrnehmbarem, Anschlag.

Ihm liegt die Musik samt Temperament und feinem Gespür im Blut. Von ihm geht eine Faszination aus, der sich niemand so leicht entziehen kann, selbst wenn er vielleicht anderer Ansicht ist und eine andere „Lesart“ bevorzugt. Das Publikum war begeistert, und András Schiff bedankte sich für den herzlichen Applaus mit einer Solo-Zugabe (von Scarlatti), bei der er noch einmal sein pianistisches Können und sein musikalisches Gespür bewies, auch für die Barockmusik, die er auf einem modernen Konzertflügel äußerst eindrucksvoll wiederzugeben verstand. Unter seinen Händen entfaltete sich bei geschicktem Pedalgebrauch ein noch schönerer Klang als beim Cembalo.

Nach der erforderlichen Umbaupause folgte (ohne eigentliche Pause) die „Symphonie Nr. 7 d‑Moll“ (op. 70)  von Antonín Dvořák, über den Brahms äußerte: „Der Kerl hat mehr Ideen als wir alle. Aus seinen Abfällen könnte sich jeder andere die Hauptthemen zusammenklauben“. Trotz massiver Lautstärke ließ das Orchester unter Myung-Whun Chungs Leitung wie eine organische Einheit die Symphonie mit ihren großen Melodiebögen plastisch und durchsichtig, entstehen.

Obwohl Brahms seinem acht Jahre jüngeren tschechischen Freund in Anbetracht der, als Auftragswerk der Londoner „Philharmonic Society“ zu komponierenden, neuen Symphonie (der „Siebenten“) riet: „Ich denke mir Ihre Symphonie noch ganz anders als die in D‑Dur“(die „Sechste“), und Dvořák sich an die klassische Struktur hielt und folkloristische Anklänge vermied, prägen doch böhmische Melodien und Mentalität, die in unserer Zeit gerade den Reiz dieser Symphonie ausmachen, wie das markant-tänzerische Hauptthema im „Scherzo“ des 3. Satzes, Charakter und Klangbild des Werkes, und kamen bei dieser Wiedergabe immer wieder in schöner Klarheit zur Geltung. Nicht umsonst wurde Dvořák als der „böhmische Brahms“ bezeichnet.

Es war eine grandiose Wiedergabe mit höchster Perfektion in einer grandiosen Steigerung, mit ständiger kämpferischer Stimmung, Auseinandersetzungen und Kraftausbrüchen bis zum triumphalen Ende, aber auch feinem Pianissimo am Ende des 1. Satzes, ruhiger, friedlicher Stimmung durch die Holzbläser und klangschöner Phase der Flöte im 2. Satz, bei aller Monumentalität der Interpretation mit slawisch gemeinter Lautstärke (obwohl die Tschechen eher einen, in sich ruhenden, gemütlichen Eindruck machen), sehr durchsichtig und klar. Vielleicht hatte man sich weniger an der überaus sensiblen Akustik des neuen Konzertsaales orientiert, als vielmehr an der trockenen Akustik der meisten Konzertsäle. Das Programm des Sonderkonzerts ist anschließend auch beim Gastspiel der Staatskapelle in der Kölner Philharmonie zu hören. Hier hätte ein Weniger an Lautstärke noch mehr an Intensität bedeuten können, was durchaus zu erkennen war, wenn man in Gedanken von der Lautstärke abstrahierte.

Ingrid Gerk

 

 

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