Dresden / Gläserne Manufaktur von Volkswagen: HÉLÈNE GRIMAUD UND JAN VOGLER IM KONZERT – 24.3.2022
Grimaud, Vogler (zuletzt 2015) Foto: Oliver Killing
Nach 18 Jahren kehrten Hélène Grimaud und Jan Vogler, die schon oft gemeinsam in aller Welt musizierten, in den Festsaal der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen zurück, den Ort, wo ihre musikalische Freundschaft begann, um in einem sehr gut besuchten Benefizkonzert zugunsten einer musikalischen Einrichtung in der Ukraine ihre Verbundenheit mit den gegenwärtig leidgeprüften Menschen zum Ausdruck zu bringen und zu helfen.
Moderiert vom Leiter der gastgebenden Volkswagen group innovation, Nikolai Ardey, widmeten sie sich zunächst zwei in Freundschaft und gegenseitiger Wertschätzung eng verbunden Komponisten: Robert Schumann und Johannes Brahms, die die Musik der Romantik maßgeblich prägten. Mit „singendem“ Cello vom ersten bis zum letzten Ton und mitgestaltendem Klavier erklangen die „Fantasiestücke“ (op. 73), die Schumann innerhalb von zwei Tagen in Dresden ursprünglich für Klarinette und Klavier komponierte, einige Monate später aber auch für Violoncello und Klavier transkribierte, wirklich „zart und mit Ausdruck“, „lebhaft leicht“ und „rasch und mit Feuer“ – wie es für die Sätze vorgesehen ist – in schöner, lebensvoller Gestaltung.
Von Johannes Brahms erklang die „Sonate Nr. 1“ für Violoncello und Klavier (in der Erstausgabe: „für Pianoforte und Violoncell“, um die Gleichberechtigung beider Partner zu betonen), die mit gleichem Engagement von beiden Künstlern wiedergegen wurde, vom Cello klingend, sanft bis kraftvoll und virtuos, mit fließenden Glissandi und allen spieltechnischen Raffinessen, am Klavier mit perlenden Läufen und viel Einfühlungsvermögen.
Um der Verbundenheit mit den leidgeprüften Menschen in der Ukraine Ausdruck zu verleihen, sang ein kleiner, auf Initiative des sich sehr für das Konzert engagierenden Nikolai Ardey zusammengerufener, Chor von acht Sängerinnen und Sängern aus Dresden, München und Leipzig die Trauermotette „Wie liegt die Stadt so wüst“, die Kreuzkantor Rudolf Mauersberger 1945 nach dem Bombenangriff auf Dresden nach Bibeltexten („Klagelieder Jeremiae“) komponierte, ergreifend, mit ausdrucksvoller Diktion, guter Textverständlichkeit und großer Anteilnahme, so dass in Parallele zur Gegenwart das „WARUM?“ im Raum stehen blieb.
Es folgten lange Gedenkminuten und danach die „Cello-Sonate“ (op. 40) von Dmitri Schostakowitsch, ein ansprechendes, melodiöses Werk, das die beiden Musizierenden nuancierend, transparent, zuweilen fast leise meditierend. dann aber auch wieder entsprechend kraftvoll zu Gehör brachten.
Der etwas später hinreißend schön gespielte „Andante“-Satz aus Sergej Rachmaninows „Sonate g‑Moll (op. 19), den die beiden zum ersten Mal gemeinsam in einem Livekonzert präsentierten, leitete .über zu einem 30minütigen Film mit dem Titel „Opus 19““ des US-amerikanischen Regisseurs Andrew Muscato, dessen Musikdokumentation „The Craddle of Civilization“ über ein Konzert von Jan Vogler und Bill Murray (2018) im vergangenen Jahr in Athen bei den Filmfestspielen in Cannes gezeigt wurde und seit 2. Februar dieses Jahres erfolgreich in den US-Kinos läuft.
In dem erneuten gemeinsamen Filmprojekt, in dem Hélène Grimaud und Jan Vogler vor einem Jahr die Situation während des anhaltenden kulturellen Stillstands in der Corona-Krise reflektieren und der im Anschluss an das Konzert als „Weltpremiere“ gezeigt wurde, spielt dieser Sonatensatz von Rachmaninow eine zentrale Rolle. Zunächst werden – weit voneinander – Grimaud und Vogler in ihrem Alltag gezeigt. 2021 machte sich Vogler von seiner Wahlheimat, dem rauchenden und dampfenden New York, auf die Reise nach Kalifornien, wo die Grimaud, umgeben von Hund(en) und Pferd(en) in freier Natur zu Hause ist. Man sieht ihn meilenweit bei Sonne, Schnee und Regen über die Highways fahren, was die unendlichen Weiten und Entfernungen der USA in Erinnerung bringt, begleitet von sehr guten Landschafts-Großaufnahmen von Meer und grandiosen Hochgebirgen, offenbar nicht ohne Stolz des Regisseurs auf sein Land.
Ab und an legt Vogler dann an manchem Orten einen Stop ein, packt sein Cello aus und spielt unter freiem Himmel Bach u. a. Die Grimaud geht dagegen in ihrer beschaulicheren Umgebung schon mal ans Klavier und probiert den Sonatensatz von Rachmaninow, der wie Vogler in Dresden und New York lebte. Zunächst verband nur das Handy die beiden Künstler, später gipfelt der Streifen in dem gemeinsam gespielten Sonatensatz.
Ingrid Gerk