Dresden / Freilichtbühne im Großen Garten: „KLASSIK PICKNICKT“ – OPEN-AIR-KONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE MIT NEUER LOCATION – 6.7.2019
Nachdem das alljährlich stattfindende Open-Air-Konzert „Klassik Picknickt“ der Sächsischen Staatskapelle Dresden elf Jahre lang auf dem Gelände um die Gläserne Manufaktur von VW stattfand, musste nun aus technischen Gründen nach einer neuen Location gesucht werden, und man wurde fündig. Die in den Jahren 1953 bis 1955 in einem an Neo-Barock angelehnten Baustil, der zur Barockstadt Dresden passt, errichtete Freilichtbühne „Junge Garde“ in Dresdens größtem Park, dem Großen Garten, schien dafür bestens geeignet.
Statt der Picknick-Atmosphäre auf den Wiesen der VW-Manufaktur steht jetzt ein „Amphitheater“ des 20. Jahrhunderts zur Verfügung, was vielleicht von manchem Stammbesucher als Nachteil empfunden wird, aber (abgesehen von der nicht geringen Erhöhung der Eintrittspreise) einige Vorteile bietet. Jetzt wird nicht mehr der Campingstuhl aufgestellt oder die Decke ausgebreitet, da die Freilichtbühne über 5000 Sitzplätze verfügt und damit wesentlich mehr Besuchern Platz bietet als bisher. Die großen Video-Leinwände sind nicht mehr erforderlich, denn die Sicht ist von allen Plätzen aus gut, die Akustik ebenfalls, so dass nur eine unauffällige Tonverstärkung erforderlich ist, die dem Eindruck eines Live-Konzertes kaum nachsteht. Bei der Konzeption der Anlage wurde an alles gedacht, auch an eine mögliche „Pausenversorgung“. Die Picknickkörbe können aber auch weiterhin mitgebracht werden.
In den 1950er Jahren fand auf der Freilichtbühne eine Serie heiß begehrter „Schwanensee“-Aufführungen in der Choreografie von Tom Schilling“ statt. Dann wurde sie für Unterhaltungs- und Familienprogramme genutzt und in den 1980er Jahren auch für Rockkonzerte und Filmvorführungen. Nach der Wende konnte Justus Franz mit einer international besetzten Aufführung der „Carmina burana“ von Carl Orff mit „vollem Haus“ das Image dieser ansprechenden, unter Denkmalsschutz stehenden, Bühne noch einmal wiederbeleben, aber allmählich verschob sich der Schwerpunkt auf Rock- und Popmusik (nicht ohne Ausschreitungen) und geriet im Bewusstsein der Bevölkerung in „Verruf“, obwohl ihr baulicher Zustand noch ganz passabel ist. Nun hat sie erneut eine Chance.
Inzwischen gibt es in und um Dresden weitere Musik-Picknick-Veranstaltungen (Dresdner Philharmonie, Moritzburg Festival, Palais Sommer), so dass die Erhebung dieser einen in den Open-Air-„Adelsstand“ auf einer (echten) Freilichtbühne die Vielfalt bereichert. Die niveauvollen Konzerte der „Klassik-Picknickt“-Reihe der Staatskapelle, bei denen bisher u. a. Christian Thielemann und Placido Domingo als Dirigenten, Rudolf Buchbinder und Pjotr Beczala usw. usf. auftraten, vertragen durchaus einen niveauvollen Rahmen, selbst auf die Gefahr hin, dass es elitär werden könnte. Beim 12. Klassik-Picknickt-Konzert hatten einige hundert Zaungäste ihren Platz auf den angrenzenden Wiesen gefunden und ihre entspannte Atmosphäre beibehalten. Im „Amphitheater“ füllte nur der „harte Kern“ den mittleren Teil, aber in den nächsten Jahren dürfte das Besucherinteresse erfahrungsgemäß weiter steigen. Es muss sich alles erst einpegeln.
Der Österreicher Franz Welser-Möst wollte „habsburgische Unterhaltungsmusik“ mit Wiener Flair nach Dresden bringen, musste aber leider krankheitsbedingt absagen. Für ihn hatte Manfred Honeck die Leitung kurzfristig mit teilweiser Programmänderung übernommen. Er setzte, wie derzeit die meisten Dirigenten, auf Schnelligkeit, Lautstärke und Kontraste und begann auch die selten zu hörende „Karneval“-Ouvertüre“ (op. 92) von Antonín Dvořák schnittig und mit viel Temperament, die Kapelle erfasste in ihrer einfühlsamen Art aber sehr bald den Charakter der Musik Dvořáks und die böhmische Mentalität. Mit schönen Harfenklängen und wunderbarer, solistisch führender Solovioline des, traditionsgemäß bei diesen Konzerten am ersten Pult sitzenden, Thomas Meining wurde mit dem Komponisten aus dem Nachbarland die musikalische Reise von Böhmen nach Österreich eröffnet, deren „Anmoderation“ der, nach 22 Jahren Tätigkeit als Orchesterdirektor der Sächsischen Staatskapelle zu den Wiener Symphonikern wechselnde, Jan Nast mit Blick nach Wien übernommen hatte.
Dann ging die musikalische Reise weiter südöstlich mit dem „Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 (H. 293) von Bohuslav Martinů, meisterhaft interpretiert von dem der Kapelle sehr verbundenen Capell-Virtuosen Frank Peter Zimmermann, der damit seine Residenz nach Bach, Mozart und Mendelssohn-Bartholdy beschließt. Stilistisch mochte das im Kriegsjahr 1943 entstandene Werk, das nicht nur heitere, sondern, wie in der Entstehungszeit nicht anders zu erwarten, auch sehr düstere Seiten hat, nicht unbedingt zu dem heiter-unterhaltsamen Abend passen, aber bei Zimmermanns hoher Geigenkunst und sehr intensiver Interpretation war es ein Genuss zuzuhören. Er veredelte das Konzert, lockte mit sehr geschmeidigem, klangvollem Strich alle klanglichen Details und Feinheiten hervor, gestaltete mit höchster Virtuosität die Kadenz und schöpfte das Konzert in seiner Vielseitigkeit sowie klanglicher und geistiger Ideenwelt im kongenialen Zusammenspiel mit dem wunderbar transparent spielenden Orchester aus. Die Heiterkeit – vor allem im 2. Satz – strahlte Hoffnung und Besinnung auf das aus, was es im Leben außer Krieg und Düsternis auch noch gibt, bis der 3. Satz derb (mit harter Pauke) als „gezähmter Tumult“ den Kontrast dazu bildete und den harten Schlusspunkt setzte.
Danach wurde es wieder heiter – wie der Himmel, der es bei ein paar kaum merklichen Regentropfen beließ. Die einst sehr populäre, unbeschwerte Ouvertüre zur Operette „Dichter und Bauer“ von Franz von Suppé mit geschmeidig und ungewöhnlich „vollmundig“ singendem Solo-Cello und schließlich dem „schmissigen“ Kolorit manch klassischer Operette begeisterte das Publikum, so wie auch die salonmusikartig, heiter, elegant, charmant und vor allem qualitätsvoll gespielte qualitätsvolle Komposition „Die Libelle“, Polka mazur (op. 204) von Josef Strauß, dem jüngeren und ernsteren Bruder des berühmteren Johann Strauß (Sohn), dessen fünf liebenswürdige Ohrwürmer, die wohl jeder Musikfreund von den Wiener Neujahrskonzerten im Ohr hat, die heitere Stimmung dem Höhepunkt zustreben ließen. Da wurde einmal mehr die Verbindung der beiden „Geschwister-Orchester, Wiener Philharmoniker und Sächsische Staatskapelle deutlich.
Sehr flott, fast energisch wurde die „Furioso-Polka“, Quasi Galopp (op. 260) eröffnet, bis sie in einen fließenden Walzerrhythmus einmündete. Mit Leichtigkeit, und doch auch ein wenig „Erdenschwere“ oder besser Bodenständigkeit, gerieten die „Frühlingsstimmen“ (op. 410). Sehr „zackig“ und extrem schnell – wie‘s Brezel- bzw. Krapfen-Backen –, aber dabei auch sehr exakt und mit allerlei Vogelgezwitscher und vielen Kuckuck-Rufen ging es „Im Krapfenwald’l“, Polka française (op. 336) zu. Es wurde immer wienerischer. Die Musiker stellten ihre „Witzbolde“ für die kleinen „Einlagen“ selbst, um das Konzert nach Wiener Art humorvoll aufzulockern, wie den “Jäger“, der im schwarzen Kapell-Outfit mit grünem Jägerhut“ „Auf der Jagd“, Polka schnell (op. 373) bei Schüsse in die Luft abfeuerte, die von der großen Trommel kamen, und einen „Schmied“ mit Riesen-Brille, um mit seinen zwei Hämmerchen den „Ambos“ „nach Noten“ bei „Unter Donner und Blitz“, Polka schnell (op. 324) zu treffen und die Donnerschläge dröhnen zu lassen.
Glücklicherweise fand das Gewitter nur musikalisch statt, wobei im Orchester auch einmal ein roter und ein grüner Regenschirm zur Gaudi aufgespannt wurden, obwohl das Orchester in seinem Musikzelt auf der sicheren Seite saß und auch sonst kein Regentropfen fiel. So konnte sich die Sächsische Staatskapelle mit diesem gelungenen, stimmungsvollen Sommerabend und den folgenden drei Aufführungen des 12. Symphoniekonzert (7., 8. u. 9.7.) mit gleichem Slawisch-Wienerischen Programm in die Sommerpause verabschieden, doch nach dem Klassik-Picknickt-Konzert ist vor dem Klassik-Picknickt-Konzert, das nächste findet am 4.7. 2020 mit Tugan Sokhiev und Sol Gabetta statt (Werke u. a. von Michail Glinka, Alexander Borodin und Dmitri Schostakowitsch).
Ingrid Gerk