Dresden /Frauenkirche: „ZDF-ADVENTSKONZERT“ – „LIVE“, ABER OHNE PUBLIKUM – 29.11.2020
Seit 2002 überträgt das ZDF (Zweites Deutsches Fernsehen) traditionell am ersten Adventssonntag aus der symbolträchtigen Dresdner Frauenkirche das „Adventskonzert aus Dresden“, das mit seinem vorweihnachtlich festlichen Glanz zu einem festen Begriff geworden ist. Für die hohe künstlerische Qualität sorgen alle Jahre wieder die Sächsische Staatskapelle Dresden und berühmte, international bekannte Dirigenten und Solisten. In diesem Jahr musste man nun auf das „Live“-Erlebnis in der Kirche verzichten und war auf die Fernsehübertragung angewiesen, denn das, auch am originalen Aufführungsort heiß begehrte, Event musste wegen des Lockdowns erstmals ohne Publikum stattfinden, kam aber – wie gewohnt – am ersten Adventssonntag deutschlandweit (per Digitaltechnik auch noch weiter) in die heimischen Wohnzimmer der zahlreichen Musikfreunde und solcher, die es dadurch werden.
Die musikalische Leitung lag in den Händen des, in Turin geborenen, italienischen Dirigenten Antonello Manacorda, der mit der Kammerakademie Potsdam, deren Leiter er seit 2010 ist, bereits mehrere preisgekrönte Aufnahmen vorgelegt hat, als Gast der Wiener Staatsoper, der Bayerischen Staatsoper, des SWR Symphonieorchesters, des Royal Stockholm Philharmonic und der Met nachhaltig auf sich aufmerksam machte und nun mit diesem Konzert sein Debüt bei der Sächsischen Staatskapelle gab.
Daniel Behle. Foto: ZDF
Zusammen mit der russischen Sopranistin Aida Garifullina, die, seit sie 2015 beim Dresdner SemperOpernball und 2017 im Silvesterkonzert der Sächsischen Staatskapelle auftrat, in Dresden keine Unbekannte war, und dem vielseitigen Tenor Daniel Behle, der nun ebenfalls zum wiederholten Mal in Dresden auftrat, sowie der Sächsischen Staatskapelle gestaltete Manacorda ein Programm voller Besinnlichkeit und Vorfreude auf das Weihnachtsfest, das in diesem Jahr durch viele Einschränkungen getrübt ist. Die meisten vorweihnachtlichen Events können nicht stattfinden. Es gibt keine Weihnachtsoratorien, keine Weihnachtsliederabende, keine Opern und Konzerte, keinen 586. Dresdner Striezelmarkt und und und … Da ist eine solche klangvolle Einstimmung (auch wenn nur am Bildschirm) umso willkommener.
Es war manches anders als sonst, aber man hatte gute Lösungen gefunden. Erstmals war SemperBrass Dresden mit dabei, das 1994 gegründete Blechbläserensemble aus etwa 10 Blechbläsern der Sächsischen Staatskapelle unter der künstlerischen Leitung des Solotrompeters Mathias Schmutzler mit seinem unverwechselbaren, weichen, runden und dennoch kräftigen und transparenten Klangbild. Da hieß es: „Macht hoch die Tür, die Tor‘ macht weit …“, und das bekannte Weihnachtslied erklang, für Blechbläser gesetzt, vor der Tür der Frauenkirche, auf dem Neumarkt, eine gute Lösung, um der Halligkeit des Kirchenraumes bei fehlendem Publikums zu entgehen. Später steuerten die Blechbläser noch die ausgezeichnet muszierte „Allemande“ aus „Fünff-stimmigte blasende Musik“ von Johann Christoph Pezel bei – ebenfalls im Freien aufgenommen und eingeblendet, und schließlich waren sie auch wieder auf ihren Plätzen im Orchester zu sehen.
In einer barocken Kirche, wie der Frauenkirche, bietet sich – wie in der Barockzeit üblich und beliebt – ein Singen und Musizieren an verschiedenen Orten des Kirchenraumes an, um besondere Effekte durch die Raumwirkung zu erreichen. So hatte der, wegen der geforderten Abstände auf acht, versierte Sängerinnen und Sänger reduzierte, Kammerchor der Frauenkirche auf der Empore Platz genommen und sang von oben unter der Leitung von Frauenkirchenkantor Matthias Grünert sehr stilvoll zunächst „Hosianna, dem Sohne Davids“ von Bartholomäus Gesius und später von William Byrd „Ave verum corpus“ in gleich guter Qualität und sorgte auch ferner im Wechsel mit Orchester und Solisten für Abwechslung und Akzente zwischen Sakralem, Konzertantem und Oper.
Daniel Behle sang „Mit Würd und Hoheit angetan“, die Arie aus Joseph Haydns Oratorium “Die Schöpfung“. Aida Garifullina, seit 2014 Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper und weltweit an den bedeutenden Opernhäusern sowie bei den Salzburger Festspielen zu Gast, erschien mit weißer Federboa wie eine Operndiva und sang mit allen Vorzügen einer guten Opernsängerin das „Laudamus te“ aus der „Großen Messe c‑Moll“ (KV 427) von Wolfgang Amadeus Mozart. Sie bewältigte – durchaus opernhaft – mit etwas kühler, aber sehr sauber und ohne Makel geführter, Stimme alle Schwierigkeiten dieser anspruchsvollen Arie.
Ohne Johann Sebastian Bach ist in Sachsen Weihnachten undenkbar. Anstelle der sonst vielerorts im ganzen Land und besonders in Dresden (auch in Kreuz- und Frauenkirche) zahlreich aufgeführten „Weihnachtsoratorien“ (BWV 248), die in diesem Jahr alle entfallen müssen, erklangen einige bekannte und beliebte Auszüge daraus. Mit viel Hingabe, feinster Tongebung und wunderbarem Klang musizierte die Sächsische Staatskapelle unter Manacorda die „Sinfonia pastorale“ als ein wirklich „himmlisches Wiegenlied“ mit besonders guter Oboe d‘amore (Bernd Schober).
Die sehr sichere kleine „Abordnung“ des Kammerchores der Frauenkirche sang sehr eindrucksvoll den Choral „Brich an, o schönes Morgenlicht“ und Daniel Behle die bekannte Arie „Frohe Hirten, eilt, ach eilet“, extrem vertikal bei hinreißend schöner Arienbegleitung der solistischen Flöte (Andreas Kißling) und des, von Johannes Wulff-Woesten am Cembalo stilsicher und klangschön angeführten continuo von Cello und Kontrabass. Behles (bisher) lyrischer Tenor klang etwas angestrengt. Abgesehen davon, dass er für alle seine Beiträge die Noten benötigte, bot sich hier der Vergleich mit einigen der besten Tenöre in Vergangenheit und Gegenwart an. Mittlerweile befindet sich der Sänger „am Scheidewege“ und bewegt sich zwischen lyrischem und Heldentenor, offenbar nicht genau wissend, wohin die stimmliche Reise gehen soll. Man kann nur hoffen, dass er sich „wie einst Herkules“ für die Tugend entscheidet.
Für eine ausgezeichnete Wiedergabe des „Adagio“ aus dem „Oboenkonzert d‑Moll“ von Alessandro Marcello sorgte die Solooboistin der Sächsischen Staatskapelle, Céline Moinet, Mit feierlicher Innigkeit, sehr schöner, warmer, weicher, eben femininer, Tongebung und bestechend klarem Oboenton, der obwohl sie Französin ist, an die beste deutsche (Dresdner) Holzbläsertradition anschließt, vertiefte sie sich ganz in diesen 2. Satz mit seiner spannungsreichen Kantilene, den sie damit den Zuhörenden und Zuschauenden nahebrachte.
Kontrastreich schloss sich das „Ave Maria“ aus der Oper „Otello“ von Giuseppe Verdi an, das die Garifulina, ausdrucksstark wie den verzweifelten Aufschrei einer gequälten Seele sang.
Bei dem darauf folgenden, von der Staatskapelle unter Manacorda faszinierend, sehr transparent, farbenprächtig und engagiert musizierten 4. Satz „Molto allegro aus der Symphonie C-Dur“ (KV 551), der „Jupiter-Symphonie“ von Wolfgang Amadeus Mozart, waren noch einmal die Vorzüge Manacordas und der Staatskapelle zu erleben.
Abschließend wurde das beliebte „„O Holy Night“ von Adolphe Adam (Arr.: Jarkko Riihimäki) mit wechselnder Besetzung gesungen, die erste Strophe von Aida Garifullina in Englisch, die zweite von Daniel Behle in Deutsch und die dritte gemeinsam, bevor Semper Brass – wieder vor der Kirche – die 1. Strophe von „Es ist ein Ros entsprungen“ von Michael Praetorius anstimmte, der Kammerchor danach die zweite Strophe sang und sich bei der dritten alle, Solisten, volles Orchester, einschließlich SemperBrass und (Mini-)Chor zu einem fulminanten Abschluss vereinigten.
Moderiert wurde die Sendung, angenehm zurückhaltend, von der Schauspielerin und gebürtigen Dresdnerin Stephanie Stumph, so dass der Fokus ganz auf der Musik des vielseitigen Programmes lag, das klug und abwechslungsreich arrangiert, vieles brachte, um jedem etwas zu geben.
Da das Publikum fehlte, konnten nur die Solisten dem Orchester und die Orchestermusiker den Solisten ehrlich gemeinten Beifall zollen und (unhörbar) das Publikum an den Bildschirmen.
Ingrid Gerk