Dresden/Frauenkirche: “WEIHNACHTEN ZWISCHEN VENEDIG, PRAG & DRESDEN“ MIT DER PRAGUE PHILHARMONIA (PKF) – 20. 12. 2016
„Brillante Instrumentalmusik des Barock mit dem führenden tschechischen Kammerorchester“ Prague Philharmonia (PKF) war angekündigt. Dass das keine leeren Worte waren, bewiesen die Prager gleich mit den ersten Takten des „Adagio g‑Moll für Streichorchester (und Orgel)“ (1958) von Tomaso Albinoni (1671-1751) / Remo Giazotto (1910-1998). Es beruht auf Fragmenten einer „Triosonate“ von Albinoni, deren Echtheit bisher jedoch nicht nachgewiesen werden konnte, und wurde in mehreren Filmen verwendet. Jetzt zählt es zu den populärsten Werken der klassischen Musik.
So kann man sich eine „Modernisierung“ der Musik vergangener Jahrhunderte sehr gut vorstellen, die, ohne Charakter und Niveau der Werke zu beschädigen, die Kompositionen in die Gegenwart holt und damit eine große Zuhörerschar gebannt lauschen lässt und erreicht, wie es hier, vor allem durch die meisterhafte Interpretation der Fall war. Es war ein getragener, sehr feinfühliger Einstieg, nicht geeilt, aber voller innerer Spannung, die von den auf völlig gleicher „Wellenlänge“ musizierenden Orchestermitgliedern, einschließlich (Klein‑)Orgel, gehalten wurde. Jeder der perfekten Musiker kannte genau seinen Part und verstand sich als Teil des Ganzen.
Das Kammerorchester wurde wesentlich von Jiří Bělohlávek, u. a. Chefdirigent der Tschechischen Philharmonie, der Slowakischen Philharmonie und des BBC Symphony Orchestra London und Leiter von The Last night of the proms (2007, 2010, 2012), auf dessen Initiative es 1994 aus Mitgliedern des gleichnamigen Sinfonieorchesters entstand, geprägt. Nach Kaspar Zehnder und Jakub Hrůša wird es seit 2015/16 von Emanuel Villaume geleitet.
Es heißt zwar, dass mehr als 9 Musiker nicht ohne Dirigenten auskommen, hier aber muszierten etwa 20 Musiker sehr exakt und gut aufeinander eingestimmt nur nach den führenden Klängen des 1. Konzertmeisters Jan Fišer, der auch ohne große Gestik auskam und sich als ausgezeichneter Solist mit klangvollem geschmeidigem Strich im „Concerto f‑Moll für Violine, Streicher und Basso continuo (B. c.) und zusammen mit Lukáš Pospíšil, einem ebenfalls sehr guten Musiker und Solisten, im „Concerto B‑Dur für Violine, Cello, Streicher und B. c. (RV 647) – (beide) von Antonio Vivaldi – bewies. Der Klang seiner Violine übertraf den manches weltbekannten Violinsolisten an Geschmeidigkeit und Klangschönheit. Mit diesem Orchester treten bedeutende tschechische und ausländische Solisten auf. Hier kamen sie aus den eigenen Reihen und konnten sich sehen und hören lassen.
Aufgelockert wurde das sehr reichhaltige und abwechslungsreiche Programm von der „Sonate für Streicher“ von Gioachino Rossini und der „Sinfonie F‑Dur für Streicher und B. c“, der „Dissonanzen-Sinfonie“ von Wilhelm Friedemann Bach (1710-1784), dem ältesten Bach-Sohn, der zu Dresden durch seine 13jährige Organisten-Tätigkeit an der (1945 im Krieg zerstörten) Sophienkirche, der Hofkirche für den evangelisch gebliebenen Teil des Dresdner Hofes, einen besonderen Bezug hat.
Die Verbindung zu Böhmen wurde über die „Sinfonia“ ‚Nel’ giorno natalizio‘ “ von František Václav Míča (1694-1744) hergestellt, der in Wien im Dienste des Grafen Questenberg, eines ausgezeichneten Lautenisten und Musikkenners, musikalisch ausgebildet und schließlich in dessen Schloss Jaroměřice (Südwestmähren), dem „Musikalischen Versailles Tschechiens“, Kapellmeister wurde. Die Sonate ist von etwas einfacherem Stil, bodenständiger, als der feingeschliffene der „Concerti“ der Italiener, der wieder im abschließenden „Concerto grosso“ (op. 5, Nr. 6) dem „Weihnachtskonzert“ von Giuseppe Sammartini (1695-1750) mit Jan Fišer und Jan Adam, Soloviolinen zu hören und besonders durch den feinen Klangsinn und die Akkuratesse der beiden Solisten und des „punktgenau“ einstimmenden Orchesters zu erleben war.
Das vielseitige, dynamische, mit großem Einsatz und echter Begeisterung perfekt musizierende Kammerorchester, verstand es, mit seinem Musizierstil, seinem klassisch klaren, strahlenden Klang und seiner Ausdruckskraft den Zuhörern auch die feinsten Details nahe zu bringen. Sie haben die Musik, die sie spielen, verinnerlicht und musizieren ganz im Dienst der Werke, die sie zu Gehör bringen, ohne große Gesten, aber mit ureigenem musikalischem Gefühl, eine Kunst, die leider immer seltener zu werden scheint in unserer Zeit.
Ingrid Gerk