Dresden/Frauenkirche: MUSIKALISCHE OSTERN MIT „STABAT MATER“ UND „MATTHÄUSPASSION“ – 29. / 30.3. 2018
Um die Osterzeit (und nicht nur da) werden deutschlandweit landauf, landab J. S. Bachs „Johannespassion“ und „Matthäuspassion“ aufgeführt, in großer oder kleiner Besetzung von Chor und Orchester, mit namhaften oder weniger bekannten Solisten und solchen aus dem Chor – ganz gleich, eine gute, wenn auch unterschiedliche Wirkung haben beide Großwerke immer – aber darf es nicht auch einmal etwas anderes sein? Startrompeter, Initiator und unermüdlicher Organisator des Wiederaufbaus der Dresdner Frauenkirche, Ludwig Güttler, hatte für ein Gründonnerstagskonzert ein interessantes, sehr ansprechendes, wenn auch kurzes Programm mit kleineren und weniger bekannten Passions-Kompositionen zusammengestellt.
Unter seiner Leitung sangen und musizierten Romy Patrick, Sopran und Stephanie Atanasov, Alt, zwei junge Sängerinnen, die zum Solistenensemble der Semperoper gehört haben, und die Virtuosi saxoniae, das von Güttler 1985 mit führenden Mitgliedern der Sächsischen Staatskapelle Dresden gegründete Spitzen-Kammerorchester.
Das Konzert begann mit der kleinen, feinen, wenig bekannten Passionskantate (TWV 1:1536) von Georg Philipp Telemann „Weiche, Lust und Fröhlichkeit“ für Sopran, Streicher und Basso continuo (B.c.). Es folgten „Christe eleison“, eine Solomotette für Alt, zwei Violinen, Viola und B.c. (ZWV 29) von Jan Dismas Zelenka und eine kleine, sehr feine Arie, die „Aria de passione domini et adventu“ für Sopran, zwei Violinen, B.c. und obligate Orgel (Friedrich Kircheis) von Michael Haydn, dem jüngsten Bruder Joseph Haydns, der für die Nachwelt im Schatten seines ältesten, jetzt berühmteren Bruders steht, zu Lebzeiten aber als bedeutendster Komponist seiner Zeit galt und noch später für Franz Schubert bei dessen Besuch in Salzburg von großem Interesse war, während ihn Mozart nicht interessierte – so ändern sich die Zeiten! Als Abschluss und Höhepunkt des Abends war das „Stabat mater“ für Sopran, Alt, Streicher und B.c. des sehr früh, mit 26 Jahren, verstorbenen Giovanni Batista Pergolesi vorgesehen.
Eingebettet in den stilvollen, sehr feinsinnigen Streicherklang, den die Musiker bei allen aufgeführten Werken auf ihren relativ modernen Instrumenten, aber orientiert an historischer Aufführungspraxis „zauberten“, sang Romy Petrick weniger virtuos, aber doch sehr ansprechend, während Stephanie Atanasovs Stimme nicht über die erforderliche Stimmkraft verfügte, um sich im großen Kuppelrund der Frauenkirche behaupten zu können, was dem „Stabat mater“ nicht die der Komposition innewohnende Faszination verlieh, sondern eher die Stille und Verhaltenheit des Gründonnerstag unterstrich.
Der Karfreitag brachte dann eine Aufführung der „Matthäuspassion“ von J. S. Bach. Anders als in der Kreuzkirche, wo der Dresdner Kreuzchor in sehr großer Besetzung und die Dresdner Philharmonie als größeres Orchester zur Verfügung standen, hatte Frauenkirchenkantor Matthias Grünert seine Aufführung für ein kleines Orchester, sein ensemble frauenkirche, und auch einen kleineren, aber leistungsfähigen Chor, den Kammerchor der Frauenkirche unter Mitwirkung des Projektkinderchores an der Frauenkirche, der in seiner Kurrende-Kleidung das Bild belebte, konzipiert.
Die Evangelisten-Partie sang Wolfram Lattke, einst Mitglied des Dresdner Kreuzchores und später des Leipziger Thomanerchores, seit 1995 Mitglied des 1992 von ehemaligen Mitgliedern des Thomanerchores gegründeten, international sehr begehrten und mehrfach preisgekrönten Leipziger Vokalsolistenensembles amacord. Wie bei kaum einer anderen Partie gibt es für den Evangelisten viele Möglichkeiten, den Passionstext zu vermitteln. Lattke orientierte auf eine möglichst illustre Gestaltung, lautmalerisch, vom sachlichen Erzählen bis zum gehauchten Flüstern, von der Ernsthaftigkeit bis zu mitunter auch etwas naivem Ausdruck.
Zwischen leicht schriller Lautstärke und sehr leisen Passagen bewegte sich auch der Sopran von Julia Sophie Wagner, die aber im Duett zu schöner Übereinstimmung mit der versierten Altistin Nicole Pieper und dem Orchester fand, das als relativ kleines Orchester mit schöner Klangfülle aufwartete, in schöner Kontinuität auch den Solisten ein klangschönes und sehr zuverlässiges Fundament bot und wesentlichen Anteil am Gelingen der Aufführung hatte.
Andreas Scheibner hat als Sänger des Dresdner Kreuzchores Solisten wie Peter Schreier und Theo Adam erlebt, die ihn geprägt haben. Bei ihm ist auch die kleinste Rolle wie die des Petrus, Judas usw. von Bedeutung, unterstrichen von kleinen, fast unmerklichen, aber wirkungsvollen Gesten wie ein leichtes Kopfabwenden des Judas als Ausdruck seines schlechten Gewissens. Jeder Ton und jedes Wort haben bei ihm Gewicht, erscheinen aber wie selbstverständlich. Seine sehr gute Artikulation und Textverständlichkeit und erst recht, wie er Rezitativ und Arie „Am Abend da es kühle war“ und „Mache dich mein Herze rein“ mit großer Innigkeit und bestmöglicher Gestaltung, sehr langem Atem und ausdrucksvoller Stimmer singt, machen ihn prädestiniert für diese Partie.
Der Vox Christi verlieh der Schweizer Bariton Manuel Walser mit edler Zurückhaltung, aber dennoch einprägsam seine Stimme, die dafür wie geschaffen schien. Die Nebenrollen wie die der zwei falschen Zeugen, Hohepriester, Pilatus usw. wurden von Sängerinnen und Sängern aus dem Chor gesungen, was sich wegen der Rollenverteilung anbietet, aber doch sehr im Kontrast zu den gestandenen Solisten mit gut ausgebildeter Stimme stand.
Der relativ kleine Kammerchor der Frauenkirche verfügt über sehr gute, sichere Stimmen und konnte bei Bedarf große Klangfülle erreichen. Er sang nicht nur die Choräle klangschön und mit großer Innigkeit, sondern konnte auch große Dramatik und Dynamik bei dem Chor „Sind Blitze sind Donner in Wolken verschwunden“ entwickeln. Es war eine ansprechende Aufführung zu später Stunde unter der Leitung von Matthias Grünert.
Ingrid Gerk