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DRESDEN/ Frauenkirche: MUSIK DES 20. JAHUNDERTS IM GEDENKKONZERT DER DRESDNER PHILHARMONIE

14.02.2016 | Konzert/Liederabende

Dresden/Kreuzkirche: MUSIK DES 20. JAHUNDERTS IM GEDENKKONZERT DER DRESDNER PHILHARMONIE – 13.2.2016

Einer jahrzehntelangen Tradition entsprechend, wird in Dresden mit Konzerten der Sächsischen Staatskapelle, der Dresdner Philharmonie, in der Frauenkirche und (bisher) auch beim Dresdner Kreuzchor der Zerstörung der Stadt am 13.2.1945 mit ihren unwiederbringlichen Kunstschätzen sowie der vielen Toten gedacht. Christian Thielemann führte mit der Staatskapelle L. v. Beethovens „Missa solemnis“ auf (13./14.2.). In der Unterkirche der Frauenkirche gab ein Pianist der jüngeren Generation, Herbert Schuch, ein Klavier-Rezital mit dem Titel „Invocation – Ruf der Glocken“ (12.2.).

Der Dresdner Kreuzchor verzichtete in diesem Jahr erstmals auf ein eigenes Konzert und überließ die Kreuzkirche der Dresdner Philharmonie, die noch immer über keinen eigenen Konzertsaal verfügt, als würdigen Rahmen für ihr „Gedenkkonzert“ mit Kompositionen des 20. Jahrhunderts., die unmittelbaren Bezug zu Krieg und Schrecken und der Sehnsucht der Menschen nach Frieden haben.

Noch bevor die Besuchermenge endgültig zur Ruhe gekommen war, ertönten schon die ersten Klänge eines sehr schönen, klaren und exakten A-capella-Chorgesanges von der Chorempore. Der Philharmonische Chor eröffnete das Konzert mit dem „Agnus Dei“ für achtstimmigen Chor von Samuel Barber (1910–1981), eine Bearbeitung des „Adagio for strings“ durch den Komponisten. Der Chor sang mit viel Anteilnahme, leidenschaftlich des Anlasses gedenkend. Hier schien die Trauerstimmung eingefangen zu sein, die gleichsam im Raum lag und die Zuhörer ergriff.

Nach dieser würdigen Einstimmung widmete sich Sophia Jaffé dem Solopart im „Konzert für Violine und Orchester“ (op. 15) von Bejamin Britten, das in düsteren Vorahnungen der Schrecken des Zweiten Weltkrieges 1939 entstand. Es begann mit einzelnen leisen Paukentönen, die diese Vorahnungen mit leisem Verhallen im großen Kirchenraum anzukündigen schienen. Unter der Leitung des Chefdirigenten Michael Sanderling musizierte die Dresdner Philharmonie sehr eingängig und ansprechend und brachte auch die relativ ungewohnten Klänge den Zuhörern sehr nahe. Mit feinem Pianissimo und temperamentvollem Forte, immer im richtigen Maß, nie vordergründig oder gar laut und derb wie es jetzt anderweitig oft praktiziert wird, vermittelte sie die innere traurige Schönheit dieses Werkes zwischen Tradition und Moderne und bot, immer sehr gut mit der Solovioline abgestimmt, die musikalische Grundlage für die Solistin, die mit ihrem großartigen, ungewöhnlich packenden, Musizierstil und, wenn auch herbem, Ton für dieses Werk unbedingt prädestiniert ist.

Sie korrespondierte mit dem Orchester wie in einem guten Dialog und arbeitete in sehr eindrucksvoller Weise mit technischer Souveränität und Virtuosität, aber auch Sinn und Gefühl für Feinheiten des Werkes die traditionelle Linie mit ihren Annäherungen an die musikalische Moderne mit klassischem Empfinden und Sinn für die teils ungewöhnlich anmutende Melodik und neuartigen Klangfarben heraus. Sie vertiefte sich ganz in die Gedankenwelt des Komponisten und gestaltete nachdenklich und besinnlich dessen persönliche Weltsicht mit großer Dramatik und Klarheit. Mit langem „Atem“, großen musikalischen Bögen und Linien und langen Kantilenen nahm sie die Zuhörer mit hinein in die entfesselten Gewalten des Lebens in einer ungewöhnlichen Zeit.

Trotz dieser grandiosen Wiedergabe gab es, wie auch am Schluss des Konzertes, dem Anlass entsprechend, keinen Applaus, nur ein stummes Händeschütteln zwischen Dirigent, Solistin und Konzertmeister.

Holger Gehring, der Organist der Kreuzkirche, steuerte sehr eindrucksvoll, mit feinen Klängen und betonter Melodik, ähnlich einem klassischen Konzert, die Rhapsodie Nr. 3“ für Orgel solo des englischen Komponisten Herbert Howells (1892–1983) auf der großen Jehmlich-Orgel der Kreuzkirche bei. Die Komposition entstand 1918 in einer einzigen Nacht während des Ersten Weltkrieges in der Stadt York (England), als Howells wegen eines Zeppelinalarms nicht schlafen konnte.

Den Wunsch nach Frieden des in allen Jahrhunderten vertonten „Dona nobis pacem“, den Schluss aus der lateinischen Messe, hüllte der lettische Komponist Pēteris Vasks (*1946) mit seiner Vertonung für gemischten Chor und Streichorchester ein modernes „Gewand“. Sanderling übergab hier das Dirigat an den Chorleiter Gunter Berger, der „seinen“ Chor und das Orchester zu einer eindrucksvollen Interpretation dieser fast meditativen Musik führte, bei der Vaks den wenigen Worten mit seiner Komposition  breiten Raum gibt. In unserer schnelllebigen Zeit möchte er den Menschen durch seine verklärende, meditative Musiksprache Ruhe bringen, was er mit den Worten zum Ausdruck bringt: „Die meisten Menschen haben heute keinen Glauben, keine Liebe und keine Ideale mehr. Die geistige Dimension geht verloren. Ich will der Seele Nahrung geben“.

 Chor und (reduziertes) Orchester brachten das Werk in hoher Qualität zur Aufführung. In einem gleitenden, internen Crescendo von sehr feinfühligen Passagen bis zu expressivem Forte beeindruckte der Chor durch seine sehr gute und exakte Ausführung, sehr feine Einsätze, hohe Musikalität und schöne, klingende Stimmen, auch in reinen Männerchor-Passsagen, auf.

Es war ein großartiges, sehr beeindruckendes Konzert und würdiges Gedenkkonzert, bei dem dank der sehr guten Interpretationen die ungewöhnliche Programmauswahl beim Publikum uneingeschränkte Zustimmung fand.

 Ingrid Gerk

 

 

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