Dresden/Frauenkirche: „MESSIAS“ MIT MICHAEL GÜTTLER – DANKKONZERT ZUR VERABSCHIEDUNG VON LUDWIG GÜTTLER – 1.1.2023
Ludwig Güttler, ein „König der Trompete“, der stets alle Erwartungen erfüllt und von sich behauptet: „Ich bin Musiker, kein Star“, zieht sich jetzt 79jährig aus dem offiziellen Konzertleben zurück. Seine Verdienste und Aktivitäten auf vielen Gebieten sind enorm. Er brillierte viele Jahrzehnte mit seiner Trompetenkunst, machte viele Menschen damit glücklich und gewann neue Freunde für die „klassische“ Musik. Viele seiner Schüler sind jetzt ausgezeichnete Trompeter.
Er grub seltene Schätze an musikalischer Literatur der Barockzeit in der Sächsischen Landesbibliothek aus und führte sie auf, arbeitete an der Wiederentdeckung des Corno da Caccia mit und gründete unter anderem zwei Kammerorchester, 1978 das Blechbläserensemble Ludwig Güttler aus Bläsern der Sächsischen Staatskapelle, Dresdner Philharmonie, Gewandhausorchester Leipzig und Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz, und 1985 die Virtuosi Saxoniae aus führenden Mitgliedern der Sächsischen Staatskapelle.
Nicht zuletzt ist seinem unermüdlichen Engagement der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche zu danken, die ohne ihn wahrscheinlich nicht wieder erstanden wäre, denn er schaffte mit Organisationstalent und unzähligen Benefizkonzerten, was unmöglich erschien.
Seiner Initiative sind auch zahlreiche Konzerte in der Frauenkirche unter seiner Leitung zu danken, darunter die, zur Tradition gewordenen, alljährlich stattfindenden Aufführungen des „Weihnachtsoratoriums“ von J. S. Bach, die „Bläserweihnacht“ und die Aufführung des „Messias“ von Georg Friedrich Händel am Neujahrstag.
Jetzt nimmt er Abschied vom offiziellen Konzertleben, 15 Jahre über das Rentenalter hinaus, wie er mit Dankbarkeit konstatiert. Mit seinem Blechbläserensemble verabschiedete er sich bereits bei der letzten, der überaus begehrten „Bläserweihnacht“ (27.12.2022) und nun endgültig mit der Aufführung des „Messias“, bei der die Kirche mit Besuchern aus ganz Deutschland bis unters Dach, einschließlich aller unbequemen und sichtbehinderten Plätze voll besetzt war. Nach würdigenden und dankenden Reden von Oberkirchenrat, Ministerpräsident, Oberbürgermeister und Ludwig Güttler zog Händels Musik die Anwesenden in ihren Bann.
Wie alljährlich, waren die bewährten Musiker der Virtuosi Saxoniae und die Hallenser Madrigalisten (Einstudierung: Tobias Löbner) gekommen, dazu bewährte Solisten, von denen nur die Sopranistin zum ersten Mal in der Frauenkirche mitwirkte. Die Leitung hatte Ludwig Güttler dieses Mal seinem Sohn Michael Güttler überlassen, der von Wien nach Dresden gekommen war. Er leitete die Aufführung in (gekürzter) englischer Originalfassung (HWV 56) mit Umsicht und Einfühlungsvermögen und führte Orchester, Chor und Solisten im Dienst an der Musik Händels zu einer klangvollen Einheit zusammen. Bei einem ausgewogenen Tempo sorgte er dafür, dass die Spannung über die gesamte Aufführungsdauer erhalten blieb, Solisten und Chor aber genügend Zeit zum Atmen und Gestalten und das Orchester zum Ausmusizieren hatten. Die Originalpartitur war so gekürzt, dass keine Schnitte oder gar Brüche wahrgenommen wurden. Beide Teile des Oratoriums waren nur durch eine kurze Pause getrennt.
Die äußerst zuverlässigen, auch an dieser Stelle schon oft bewährten Virtuosi Saxoniae, die als führende Mitglieder der Sächsischen Staatskapelle mit allen Stilrichtungen vertraut sind, bildeten das sichere Fundament. Sie spielen auf modernen Instrumenten, sind aber in Fragen der Aufführungspraxis mit den historischen Kriterien vertraut. Gerade diese gegenwärtig so seltene “Mischung“ verleiht der Barockmusik den schönen, unverwechselbaren Klang und besonderen Reiz, auf der einen Seite kraftvoller als mit alten Instrumenten, was besonders bei Händel sehr wichtig ist, und auf der anderen mild und lieblich.
Die ebenfalls bewährten Hallenser Madrigalisten bildeten mit dem Orchester eine harmonische Einheit. Der Chor, intern sehr ausgewogen, sang mit guten Stimmen, guter Textverständlichkeit und viel Einfühlungsvermögen und Stilempfinden.
Der Lied- und Oratorientenor und vielgefragte Interpret von Barockmusik, Georg Poplutz widmete sich sehr gewissenhaft, mit klangschöner Stimme, idealer Diktion und barocker (Stufen-)Dynamik den Rezitativen. Die erste Arie sang er leiser, aber stilgerecht und exakt und beeindruckte später selbst bei kürzeren Passagen sehr.
Die Basspartie lag bei Andreas Scheibner, der beim „Messias“ schon oft, auch an dieser Stelle mitgewirkt hat, in den allerbesten Händen. Mit guter Diktion, mühelos alle technischen Schwierigkeiten bewältigend sang er auch die beiden Arien. Besonders die gefürchtete „Trompeten-Arie“ („The trumpet shall sound), die er mit Power, alle Schwierigkeiten mit Bravour lösend, mit nahtlosen Übergängen und feiner Dynamik gestaltete, wurde zum Höhepunkt und Hörgenuss.
Obwohl Händel seinerzeit für die Altpartie nachweisbar stets Opensängerinnen verpflichtet hat und nur einmal als Ausnahme einen Kastraten, ist es in der Gegenwart üblich geworden, Countertenöre einzusetzen, die die Partie zweifellos technisch bewältigen, aber es fehlt im allgemeinen die beseelte Wärme einer Frauenstimme. Der Countertenor David Ehrler war hier die rühmliche Ausnahme. Er sang mit Leichtigkeit und Schönklang, stilsicher und perfekt und mit bei einem Countertenor ungewöhnlicher Klangfülle.
Bei so viel ausgewogenem Schönklang fiel es nicht leicht, sich an die Stimme der armenischen Sopranistin Narine Yeghiyan zu gewöhnen. Mit guter Mittellage geriet sie sehr schnell in eine schrille, leicht gutturale Höhe, die möglicherweise in großen Konzertsälen oder Opernhäusern weniger auffällt, in der Akustik der Frauenkirche fiel sie stimmlich jedoch etwas aus dem Rahmen, obwohl sie sehr exakt und mit allen zu Gebote stehenden Orientierungen für die Ausführung von Barockmusik sang.
Es war eine großartige Aufführung unter der Leitung von Michael Güttler, voller Harmonie und Schönklang, ausgewogen und transparent, die mit dem berühmten „Halleluja“ ihren Höhepunkt und mit dem grandios ausgeführten „Amen“ ihren nachhaltigen Ausklang fand. Alle Ausführenden waren engagiert und bestrebt, ihr Bestes zu geben. Für Michael Güttlers Vater, Ludwig Güttler, war es ein würdiger Abschied von seiner so umfangreichen und erfüllten Karriere.
Ingrid Gerk