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DRESDEN/ Frauenkirche: „KÖNIGLICHE CHORMUSIK“, FESTLICHE TROMPETENKLÄNGE UND WEIHNACHTSORATORIUM

08.12.2018 | Konzert/Liederabende

Dresden/Frauenkirche: „KÖNIGLICHE CHORMUSIK“, FESTLICHE TROMPETENKLÄNGE UND WEIHNACHTSORATORIUM ‑ 5.‑7.12.2018

Nie sind die Konzerte in der Frauenkirche so sehr gefragt, wie gerade in der Adventszeit, nicht nur beim traditionellen „Adventskonzert des ZDF“, sondern auch und vor allem beim „Weihnachtsoratorium“ und weihnachtlicher Bläsermusik. Bei der „KÖNIGLICHEN CHORMUSIK“ (5.12.) mit dem Chor der Westminster Abbey aus London, einem der berühmtesten Chöre seiner Art, der auch bei den offiziellen königlichen, staatlichen und nationalen Anlässen auf höchster Ebene eine bedeutende Rolle spielt, hielt es sich noch in Grenzen, aber bereits am nächsten Abend gab es keinen freien Platz mehr. Doch zunächst zurück zum Gastspiel der Londoner.

The Choir of Westminster Abbey wurde bereits im 14. Jahrhundert gegründet und fühlt sich der Bedeutung der Westminster Abbey und der musikalischen Tradition vom Cantus planus und der polyphonen Tudor-Musik bis in die Gegenwart verpflichtet. Der Chor, dem jetzt bis zu 30 Knaben und zwölf Berufssänger angehörenden, war nach Dresden mit 17 Sopranen, 4 Countertenören, 4 Tenören und 4 Bässen gekommen. Sie traten in ihren roten Chormänteln auf. In dem gut zusammengestellten Programm wurde ein Bogen über 5 Jahrhunderte gespannt, der die breite Palette englischer Kirchenmusik wiederspiegelte.

Unter der Leitung von James O’Donnell erklangen Chorsätze, vor allem englischer Komponisten aus der Zeit der englischen Reformation und der Renaissance (Thomas Tallis, Orlando Gibbons) und des 20. Jahrhunderts (John Tavener, John Rutter, Matthew Martin, John Gardner, Benjamin Britten und Ralph Vaughan William), bei denen nicht selten klassischer Kontrapunkt mit moderner Harmonik und Deklamation verschmilzt, sowie zwei „Traditionals“ und das „Magnificat quinti toni“ des Deutschen Hieronymus Praetorius (1560-1629), nicht verwandt mit dem bekannten Michael Praetorius.

Im Wechsel zwischen Chor und Solostimmen sang der Chor mit etwas anderer Auffassung und anderen Maßstäben als hierzulande gewohnt, teils a capella oder mit leichter Untermalung der Orgel durch Peter Holder, der auch zwei Werke für Orgel solo beisteuerte: das „Magnificat“ von Dietrich Buxtehude, vehement, mit Enthusiasmus und Verve gespielt, aber nicht unbedingt mit günstiger Registerwahl, und ein Kirchenlied („Nun lob‘, mein Seel den Herren“) von Michael Prätorius mit gut geeigneten Registern, was in Anbetracht eines Gastauftrittes und der nicht unproblematischen Wirkung von manchem Orgelregister in der Raumakustik der Kirche verständlich ist.

Sehr schön gelangen drei deutsche Weihnachtslieder, die der Chor mit großer Gewissenhaftigkeit und guter Diktion sang: „Drei Könige“ von Peter Cornelius und das berühmte, innig und klangschön gesungene „Stille Nacht“, das von Oberndorf im Salzburger Land um die Welt ging. Das bekannte „Es ist ein Ros entsprungen“ von Michel Prätorius wurde in einer Bearbeitung von Jan Sandström geboten, bei der nach einer sehr leisen, langsamen Einleitung das schlichte, innige Lied mit eigenwilligen Klangfarben „illustriert“ und „ausgebreitet“ wird.

In einem weiteren „ADVENTSKONZERT“ (6.12.), wo hohe Bläserkunst und sehr ansprechendes Orgelspiel mit bekannter und unbekannter, neu zu entdeckender, Musik des deutschen, französischen und italienischen Barock von drei Könnern ihres Faches zu erleben war, war die Kirche bis unters Dach gefüllt, selbst auf den Plätzen ganz ohne Sicht.

Ludwig Güttler bläst seit Jahrzehnten exzellent Trompete und Corno da Caccia und machte auch bei diesem Konzert mit der „Sonate G‑Dur für Trompete und Orgel“ von Jean-Baptiste Loeillet seinem guten Ruf alle Ehre. Zu ihm gesellte sich Volker Stegmann (Sächsische Staatskapelle Dresden) bei dem „Konzert C‑Dur für zwei Trompeten und Orgel“ von Giuseppe Torelli und „Noel“ und „Konzert C‑Dur für zwei Corni da Caccia und Orgel“ von Michel Corette. Solistisch trat Stegmann mit der „Sonate Nr. 2 C-Dur für Trompete und Orgel“ von G. B. Viviani auf. Beide Trompeter unterschieden sich kaum hinsichtlich ihrer souveränen Technik, lediglich in der Klangfarbe.

Während Güttler besonders ausgewogen und mit warmem Ton musiziert, fiel bei Stegmann eine hellere (auch leicht schärfere) Tongebung auf. Bei den gemeinsamen Konzerten stellten sich beide aber gut aufeinander ein. In einer interessanten Gegenüberstellung zweier Choralvorspiele über den gleichen Choral („Gelobt seist du, Jesu Christ“) für Trompete und Orgel, zum einen von G. A. Homilius und zum anderen von G. F. Kaufmann bot sich noch einmal ein Vergleich – nicht nur in der Bearbeitung durch die  beiden Komponisten – an.

An der Orgel gestaltete sehr einfühlsam Friedrich Kircheis, Güttlers langjähriger Begleiter, mit. Er trat auch solistisch mit Orgelkompositionen von Vincent Lübeck („Präludium und Fuge E‑Dur), Johann Gottfried Walther („Concerto A‑Dur) und Johann Sebastian Bach („Kanonische Veränderungen über ‚Vom Himmel hoch‘ “- BWV 769 und“Fantasie G‑Dur – BWV 572) hervor, harmonisch und feierlich brausend, jugendlich frisch, zügig und fließend, aber nicht übereilt, sondern in idealem Tempo, mit entsprechendem Gefühl für die Musik der Barockzeit und sehr guter Registerwahl gespielt. Kircheis kennt die (nicht unproblematische) Orgel der Frauenkirche und versteht es, immer wieder akustisch günstige und ansprechende Register werkgerecht einzusetzen.

Für den gelungenen Abend bedankte sich das Publikum mit begeistertem Applaus und die drei Musiker für den Applaus mit zwei Zugaben.

Sehr gefragt und begeistert aufgenommen ist in der Vorweihnachtszeit alljährlich das „WEIHNACHTSORATORIUM“ von Johann Sebastian Bach. Dazu reist nicht nur ein „Stammpublikum“ aus allen Teilen Deutschlands und Europas an. Frauenkirchenkantor Matthias Grünert nimmt sich deshalb jedes Jahr mit dem Kammerchor der Frauenkirche, dem ensemble frauenkirche und Solisten ein „Mammut-Programm“ vor, in diesem Jahr: an zwei Abenden jeweils alle sechs Kantaten (mit einer Pause) sowie an einem anderen Abend die Kantaten 1 ‑ 3 und einem weiteren die Kantaten 4 – 6.

Eröffnet wurde diese „Serie“ mit allen sechs Kantaten an einem Abend (7.12.). Nicht zu verstehen ist, dass beim Publikum oft nur die ersten drei Kantaten vor Weihnachten beliebt sind, warum eigentlich? Sind doch die anderen Kantaten (4 ‑ 6) mindestens genauso schön, ja vielleicht sogar geheimnisvoller und kompositorisch noch interessanter. Manche Besucher gingen – völlig unverständlich – schon in der Pause, aber die verbleibenden kamen in den Genuss einer allgemein ansprechenden, kompletten Aufführung.

Mit ziemlich herbem „Lärmen“ der Pauke (wie es in früheren Jahrhunderten genannt wurde), sehr guter Trompete (Helmut Fuchs) und allgemein feierlichem Klang eröffneten Orchester und Chor die Aufführung. Grünert wählte von Anfang an ein zügiges Tempo, auch für die Choräle. Orchester und Chor hielten mit und setzten das Tempo qualitätsvoll um. Der Kammerchor sang mit seinen guten Frauenstimmen und etwas verhaltenen Männerstimmen die Choräle sehr differenziert, vom sehr schönen „Dies hat er alles uns getan“ und dem sehr innigen „Ich steh an deiner Krippen hier“ bis zum rasch und ohne große Beschaulichkeit gesungen Choral „Seid froh dieweil“.

Das relativ kleine, aber sehr leistungsfähige ensemble frauenkirche, vorwiegend aus Mitgliedern der Sächsischen Staatskapelle und der Dresdner Philharmonie, bestach durch seine makellose Technik und Klangqualität, nicht nur bei der besonders lieblich musizierten, feierlichen „Sinfonia“ am Beginn der 2. Kantate. Mit den, der Staatskapelle eigenen, wunderbaren Instrumentalsoli bei der Einleitung und Begleitung der Arien begeisterten der 1. Konzertmeister Jörg Faßmann und sein Kollege Matthias Meißner mit klangvollen, geschmeidigen und einschmeichelnden Violinen-Soli, Christian Sprenger mit Solo-Flöte und Johannes Pfeiffer mit der Oboe d’amore, u. a. auch die Echo-Arie“ klangschön begleitend, die mit klarer Stimme von der spanischen Spezialistin für Alte Musik, Nuria Rial, gesungen und mit entsprechend abgestuftem, immer leiser, fast zaghaft werdendem „Echo“ aus dem Chor ergänzt wurde.

Nuria Rial widmete sich dem Sopranpart mit professioneller Sicherheit und Stilgefühl, leider aber ohne gute Textverständlichkeit, während die anderen drei Solisten die Texte sehr deutlich artikulierten. Britta Schwarz, die sich ebenfalls sehr intensiv der Barockmusik widmet, verlieh den Alt-Arien mit ihrer samtenen Stimme und geschmeidigen Verzierungen Wärme und Anteilnahme, bei der ersten Arie „Bereite dich Zion“ noch etwas verhalten, später mit großer Innigkeit bei der Arie „Schließe mein Herze“. Tobias Berndt, ebenfalls sehr Oratorien-erfahren, setzte bei der Basspartie seine gesangstechnischen und gestalterischen Fähigkeiten ein.

Die Tenor-Partie lag in den Händen des Wiener Tenors Daniel Johannsen. Er sang die Arien mit sehr klarer Höhe und gestaltete die Evangelisten-Partie sehr differenziert zwischen Forte und leisestem Pianissimo. Strahlend und feierlich verlieh er dieser Rolle des „Erzählers“, die wie eine Klammer die Bibeltexte mit allen „Kommentaren“ von Solisten und Chor umschließt, eine sehr lebendige, kontrastreiche Deutung und lotete die Weihnachtsgeschichte in ihren geheimnisvollen geistigen und geistlichen Tiefen aus – eine sehr reife Gestaltung, wie sie seit Peter Schreier kaum mehr zu erleben war.

Ingrid Gerk

 

 

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