Dresden/Frauenkirche: KIT ARMSTRONG MIT DEM STUTTGARTER KAMMERORCHESTER IN DRESDEN – 19.7.2019
Ein sommerliches Konzert mit Werken der Vorklassik und Klassik brachte ein Wiedersehen und vor allem Wiederhören mit dem 27jährigen Ausnahmepianisten, Organisten und Komponisten, dem einstigen hochbegabten “Wunderkind“, Kit Armstrong, der spätestens seit seinem Konzert mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden und erst recht, als er während der diesjährigen Musikfestspiele für die erkrankte Yuja Wang einspringend, mit dem City of Birmingham Symphonie Orchestra das „Konzert für „Klavier und Orchester“ a‑Moll von Robert Schumann meisterhaft interpretierte, auch in Dresden zum Inbegriff für hohes pianistisches Können geworden ist, bei dem die Emotionalität der Musik zuweilen alles Rationale überflügelt.
Jetzt kam er mit dem Stuttgarter Kammerorchester, das erst kürzlich (23.2.2019) an gleicher Stelle ein Konzert, geleitet von der Konzertmeisterin, mit Wiener Klängen gab, wieder nach Dresden und überraschte mit gleich zwei Klavierkonzerten, umrahmt von zwei Sinfonien Joseph Haydns, von denen der Meister über 100 schrieb. Keine Sinfonie gleicht der anderen, jede ist anders, neu, originell und vielseitig, denn Haydn hatte immer viele Ideen und Einfälle hinsichtlich Klangwirkungen, geistreiche, geheimnis- und humorvolle und im besten Sinne unterhaltsame, die er stets zu einem kompletten Ganzen zusammengefügte, was Matthias Foremny, seit 2013/14 Chefdirigent des Kammerorchesters und ständiger Gastdirigent der Oper Leipzig seit 2011/12, auch bei seinen kurzen einführenden Worten erwähnte.
Zahlenmäßig etwa die Hälfte (52) an Klavierkonzerten schrieb Carl Philipp Emanuel Bach an der Schwelle vom Barock zur Klassik. Als sein Vater, J. S. Bach, den Kompositionsstil der Barockzeit zu einer nicht mehr zu übertreffenden Blüte gebracht hatte, fand er zu einem neuen, dem „Galanten Stil“ oder besser, dem „Empfindsamen Stil“ (Vorklassik), der von der Betonung des Ausdrucks und tief empfundenen Emotionen geprägt ist, denn er suchte mit seiner Musik „die Zornigen zu besänftigen, die Betrübten aufzurichten, die kränkenden Sorgen und die tötende Traurigkeit zu verjagen“.
Spielte er selbst noch am Cembalo, wurde Armstrong diesem Anspruch doch auch auf einem modernen Konzertflügel voll und ganz gerecht. Es war durchaus kein „Stilbruch“ zu bemerken, so geschickt und mit entsprechendem Pedalgebrauch widmete sich Armstrong mit sehr viel Einfühlungsvermögen, über das er offenbar für alle Komponisten und Stilrichtungen verfügt, auch dem „Konzert für Klavier und Orchester a‑Moll“ (WQ 26) des Bach-Sohnes und spielte mit lockerer Beschwingtheit, ganz, wie es dem Charakter des Werkes und dem heiteren Charakter dieses Konzertes entsprach.
Er vertieft sich stets ganz in die Musik, die gerade spielt und mit der er völlig im Einklang zu sein scheint, fast meditierend wie in stiller „Zwiesprache“ mit dem Komponisten und seinem Werk, und doch ganz gegenwärtig. Bei Wolfgang Amadeus Mozarts „Konzert für Klavier und Orchester A‑Dur (KV 414) kamen seine besonderen pianistischen Fähigkeiten und Qualitäten noch besser zur Geltung. Feinsinnig und hochkonzentriert bei jedem Ton, ließ er die Zuhörer teilhaben an der faszinierenden Klangästhetik des Werkes und inspirierte auch die Musiker des, vor 70 Jahren von dem legendären Karl Münchinger gegründeten und von Musikerpersönlichkeiten wie Dennis Russell Davis geprägten, Stuttgarter Kammerorchesters, dessen designierter Chefdirigent ab 2019/20 Thomas Zehetmair ist.
Klavier und Orchester waren im barocken Kirchenraum hinsichtlich Akustik sehr günstig aufgestellt. Dennoch fehlte dem Orchester trotz eines zuweilen schönen, fülligen Klanges und sorgfältiger Details etwas an Esprit. Der jetzt zu beobachtenden Tendenz vieler Dirigenten, auf sehr starke Kontraste und Lautstärke und vor allem hohes Tempo zu setzen, um mit ihrem Dirigierstil etwas „Besonderes“ zu bieten und das Publikum zu gewinnen, setzte Foremny die Langsamkeit, die „Entschleunigung“ entgegen, was prinzipiell kein Fehler ist, können doch dadurch viele Details besser zur Geltung kommen, die Musik besser ausschwingen und schöne Klangwirkungen erreicht werden, aber auch hier gilt das berühmte „Zünglein an der Waage“, das über die entsprechende Wirkung entscheidet.
Langsame Passagen können mitunter auch ermüdend wirken, wenn innere Spannung und geistige Durchdringung fehlen. Bei Haydns, zu Beginn gespielter, „Sinfonie A‑Dur Nr. 65 (HOB. I:65) und der abschließenden „Sinfonie d‑Moll Nr. 80 (HOB:I:80) hätte man sich gern etwas mehr Inspiration und Schwung gewünscht. Der gegenwärtige Konzertbesucher ist allzu langsame Tempi einfach nicht mehr gewöhnt. Wie es zu Haydns Zeiten geklungen hat, weiß man nicht, aber die Zeiten haben sich geändert. Nur Technik allein genügt nicht mehr, es möchte auch Musikalität und Emotion mitschwingen, auch bei einem heiteren Sommerkonzert.
Foremny verstand es, mit leichter Geste das Publikum dennoch zu beeindrucken. Für den reichlichen Applaus bedankten sich er und das Kammerorchester mit dem 2. Satz, einem Larghetto mit elegischen Zügen, aus der im besten Sinne unterhaltsamen „Serenade e‑Moll“ (op. 20) von Edward Elgar, sehr langsam mit klassischer Akribie gespielt und mit sehr leisem, verhaltenem Ausklang, der eine anschließende Stille im Publikum nach sich zog. Nach dem phänomenalen Auftritt von Kit Armstrong ab es leider keine Zugabe.
Ingrid Gerk