Dresden / Frauenkirche: HEINRICH SCHÜTZ MUSIKFEST – „ERÖFFNUNGSKONZERT ZUM FESTJAHR SCHÜTZ22“ UND KREUZCHORVESPER – 8. und 9.10.2021
Seit 1998 wird Heinrich Schütz, der bereits zu seinen Lebzeiten als „parens nostrae musicae modernae“ („Vater unserer [der deutschen] modernen Musik“) tituliert wurde, der Wegbereiter für Bach, Händel und Telemann und letztendlich vieler nachfolgender Komponisten und heute als der erste deutsche Komponist von internationaler Bedeutung bekannt, alljährlich im Herbst an zahlreichen Orten des mitteldeutschen Raumes geehrt, ursprünglich durch die „Mitteldeutschen Heinrich-Schütz-Tage“, die 2023 als länderübergreifendes Festival zwischen Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zum „Heinrich Schütz Musikfest“ wurden, geehrt.
Besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf seinen drei prägenden Lebens- und Wirkungsstationen, seiner Geburtsstadt Bad Köstritz, seiner Hauptwirkungsstätte Dresden, wo er 37 Jahre als Hofkapellmeister und Komponist tätig war, und seinem Alterssitz Weißenfels. In diesem Jahr findet das Heinrich Schütz Musikfest vom 7. ‑ 17.10. unter dem Titel „vnter den fürnembsten Musicis“ (einem Textzitat aus seinen Veröffentlichungen) mit 49 Veranstaltungen statt, Konzerte, Vorträge, Ausstellungen usw.
Da das gesamte weltliche Schaffen von Heinrich Schütz, darunter die erste deutschsprachige Oper „Dafne“, von der nur das Libretto erhalten blieb, verloren ging, können jetzt nur noch die geistlichen Werke seines reichen Œuvres, die immer noch sehr zahlreich und vielseitig sind, erforscht und aufgeführt werden.
Nach dem „Eröffnungskonzert“ des Musikfestes in Weißenfels fand das „Eröffnungskonzert zum Festjahr ‚SCHÜTZ22‘ “ anlässlich des 350. Todestags des Komponisten am 8.10.2022 unter dem Titel „weil ich lebe“ (Schütz-Zitat) in der Dresdner Frauenkirche statt.
Auf dem Programm stand eine Auswahl aus den, 1619 verfassten „Psalmen Davids“ (1619) ausgeführt vom international renommierten Gabrieli Consort & Players aus London unter der Leitung von Paul McCreesh. Das Ensemble musizierte in historischer Aufführungspraxis, aber in beispielhafter Ausgeglichenheit und Lebendigkeit, was gegenwärtig leider nicht mehr oft der Fall ist, und begann in abwechslungsreichen Gruppierungen mit Psalmen in kleiner vokaler und instrumentaler Besetzung und steigerte sich systematisch mit immer umfangreicheren Psalm-Vertonungen, bei denen Instrumente, mehrstimmiger Gesang und kleine Soli eine kompakte Einheit bilden, zu grandioser Klangwirkung am Schluss des Konzertes in großer Besetzung.
Dazu waren die Ausführenden aufgeteilt in musizierende Gruppen auf dem Altarplatz, den beiden (fast) darüber liegenden Choremporen und der, dem Altarplatz in einiger Entfernung gegenüberliegenden Empore, was einen gewaltigen Klang- und Raumeindruck hinterließ, wie er in der Barockzeit sehr beliebt war und praktiziert wurde.
Schienen die ersten Psalm-Darbietungen noch leicht mit der Akustik des Kirchenraumes zu kollidieren, war hier eine überwältigende Klangwirkung zu erleben. Trotz genauester Orientierung auf eine historische Aufführungspraxis wirkte hier nichts antiquiert oder „akademisiert“, sondern klangvoll und von Musizierfreude geprägt. Die Frauenkirche ist für solche wirkungsvollen Arrangements prädestiniert und baulich und offenbar auch akustisch dafür ausgelegt. Diese Möglichkeiten werden leider viel zu selten genutzt.
Die 12 Sängerinnen und Sänger (jede Stimmlage doppelt besetzt) und15 Instrumentalisten mit bekannten Streichinstrumenten wie Violine, Viola und Kontrabass (vermutlich barocker Bauart) und Blasinstrumenten wie Flöte, Trompete und Posaune sowie Pauke und Orgel, aber auch sehr speziellen Holzblasinstrumenten aus Renaissance und Barock, wie Schalmei (mit Doppelrohrblatt und konisch gebohrter Röhre), Dulzian, dem Vorläufer des Fagotts, und dem seltenen Rackett, ein relativ kleines Holzblasinstrument, spezieller Bauart („wie ein Turm der Stadtmauer von Sevilla“), mit dem außerordentlich tiefe Töne erzeugt werden können, machten hier den Klangeindruck des 17. Jahrhunderts authentisch erfahrbar.
Die „Zugabe“, zu der sich das gesamte Ensemble noch einmal am Altarplatz versammelte, brachte nach diesem grandiosen Klangerlebnis noch einen außergewöhnlichen Höhepunkt im Wechselspiel zwischen Instrumenten, Gesang und Solisten. Ist da die Musik von Heinrich Schütz nur etwas für Spezialisten und Enthusiasten“? Wenn sie so lebendig geboten wird, kann sie alle ansprechen und erreichen.
Einen Tag später (9.10.) erwies der Dresdner Kreuzchor unter der Leitung von Roderich Kreile in einer seiner sonnabendlichen Kreuzchorvespern mit einem reinen Heinrich-Schütz-Programm, bei dem drei Psalm-Vertonungen und vor allem acht Nummern aus der „Geistlichen Chormusik“ . komponiert im Friedensjahr 1848 zum Abschluss des Dreißigjährigen Krieges, zur Aufführung kamen, seinem „Hauskomponisten“, dem sich der Chor verpflichtet fühlt, alle Ehre. Bestens vertraut mit sakraler Musik aus dieser Zeit und insbesondere dem Komponisten selbst, sang der Chor in großer Besetzung bzw. zwei der Psalmen nur mit den jungen Sängern (Sopran und Alt) und Männerstimmen, um den Klangvorstellungen von Schütz nahezukommen, klangvoll, wenn auch ohne jede Textverständlichkeit, obwohl alles in Deutsch komponiert und gesungen wurde.
Mitten in diese besondere Welt der Harmonie, die sich Schütz auch über die schrecklichen Ereignisse des Dreißigjährigen Krieges bewahrt hatte, platzte Thorsten Göbel an der Orgel sehr kontrastreich und lautstark mit dem in sich ebenfalls sehr kontrastreichen, für diesen Rahmen relativ umfangreichen, „Tryptichon St. Michael“ von Walter Kraft (1905-1977) hinein, ein beachtenswertes Werk, virtuos, in entsprechender Klarheit interpretiert, aber leider unpassend. Kontraste sind zuweilen aufmunternd, hier schien es jedoch fehl am Platz. Von den zahlreichen Orgelkompositionen der Zeitgenossen von Schütz hätte sich gewiss etwas Passenderes finden lassen.
Zahlreiche weitere Konzerte finden in Bad Köstritz, Weißenfels, Zeitz, Gera und Dresden statt.
Ingrid Gerk