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DRESDEN/ Frauenkirche: „HEIMAT UND FREMDE“ – Drei Kompositionen von Antonin Dvorak

18.03.2023 | Konzert/Liederabende
 
Dresden/Frauenkirche:  „HEIMAT UND FREMDE“ – DREI KOMPOSITIONEN VON ANTONÍN DVOŘÁK – 17.3.2023

Wie kein anderer hat Antonín Dvořák den spezifischen Klang seiner böhmischen Heimat in die Welt getragen. Als Reisender zwischen den Welten nahm er die Inspiration der Grenzüberschreitungen auf, blieb aber immer in seiner böhmischen Heimat verwurzelt, die neben den Eindrücken der neuen Welten (auch der „Neuen Welt“) Niederschlag in seinen berühmten musikalischen Werken fand. Bis heute ist seine Musik der Inbegriff einer genialen Verbindung der musikalischen Einflüsse Böhmens und Europas und durch seinen Aufenthalt in den USA auch der Dynamik Amerikas, was in den drei, in diesem Konzert, vom FOK Prague Symphony Orchestra aufgeführten, Werken besonders zum Ausdruck kam. Sie ließen die Emotionalität dieser unterschiedlichen Welten besonders deutlich werden.

„Gaia“, die Riesen-Erdkugel aus der Sicht des Weltalls von Luke Jerram (siehe auch Konzert mit Daniel Müller-Schott – 3.3.2023) hängt noch unter der Kuppel der Frauenkirche und unterstrich das Konzert mit dem Blick auf die Weite und Vielfalt der Welt.

Mit der zehnminütigen Ouvertüre „Mein Heim“ (Můj domov“) (op. 62, B. 125a), einer von neun Nummern zu einem Schauspiel von F. F. Šamberk, stimmte das FOK Prague Symphony Orchestra unter der Leitung von Eugene Tzigane mit schwärmerischem Klang auf die Mentalität von Dvořáks böhmischer Heimat ein.

Das Orchester wurde 1934 von Rudolf Pekárek als Filmorchester gegründet und nahm in den 1930er Jahren die Musik für die meisten tschechischen Filme auf, trat regelmäßig in Live-Übertragungen des Tschechoslowakischen Rundfunks auf und wurde hauptsächlich  von Václav Smetáček gefördert, der es seit 1942 dreißig Jahre lang als Chefdirigent leitete und es in kürzester Zeit zu einem großen symphonischen Ensemble aufbaute. Danach übernahmen andere Dirigenten, u. a. Jindřich Rohan, Jiří Bělohlávek, Petr Altrichter, Martin Turnovský und seit 2020 Tomáš Brauner diese Position. Weltweit bedeutende Dirigenten und berühmte Solisten traten als Gäste auf. Das Orchester konzertierte in fast allen Ländern Europas, in Japan und den USA.

Bei dem Konzert in der Frauenkirche stand der junge Eugene Tzigane am Pult, der arm Anfang einer vielversprechenden Karriere steht. In Japan als Sohn eines US-Amerikaners und einer Japanerin.geboren, wuchs er in einer Künstlerfamilie auf und kam mit Musik unterschiedlichster Herkunft und Stilrichtungen in Berührung, von Klassik bis Jazz (seiner ersten Liebe) und bis hin zu osteuropäischer Volksmusik und Tanz. Er studierte Dirigieren in New York und Stockholm und widmet sich mit viel Energie Oper und Konzert.

Erfahrungsgemäß kann in der Frauenkirche hinsichtlich ihrer spezifischen Akustik folgende „Faustregel“ gelten, je kleiner die Anzahl der Musiker, desto transparenter und ausgewogener der Klang, so dass kleine Kammermusikgruppen und sogar Violine, Viola oder Cello solo die beste Wirkung erzielten, während bei großen Orchestern der Klang oft undurchdringlich wurde. Hier trat ein großes Orchester auf, und dennoch war man von der Klarheit überrascht. Tzigane erwies sich als souveräner Orchesterleiter. Mit seiner guten Dirigiertechnik und Ausstrahlung, seiner akribischen Präzision sorgte er für eine an dieser Stelle von großen Orchestern selten erreichte Transparenz und besondere Klangwirkungen, die zu Dvořáks musikalischer Ausdruckskraft gehören.

Tziganes Gefühl für die Zusammenarbeit mit Solisten kam auch der Aufführung von Dvořáks berühmtem, 1894/95 in den USA entstandenen „Konzert für Violoncello und Orchester h‑Moll“ (op. 104) zugute, ein zutiefst menschliches, persönliches und nicht zuletzt autobiografisches Werk, das unter anderem auch einen letzten Beweis seiner Zuneigung zu seiner Schwägerin Josefina Cermáková enthält, die während der Entstehung des Konzertes starb.

1937 spielte es der sechzigjährige katalanische Emigrant Pablo Casals in Prag mit dem Tschechischen Philharmonischen Orchester unter George Szell unter dem Eindruck des spanischen Bürgerkrieges als eine große Anklage, aber auch mit kämpferischer Vehemenz, wie auf der entsprechenden Aufnahme unmissverständlich zu hören ist. Bis heute kann sich kaum jemand der Wucht und Dramatik dieser Einspielung entziehen.

Jetzt interpretierte die in Paris, Berlin und Weimar ausgebildete franko-flämische Cellistin Camille Thomas auf „ihrem“ „Feuermann“-Cello von Antonio Stradivari (einer Leihgabe der Nippon Music Foundation) das Werk auf ihre spezielle Art. Einem internationalen Trend folgend, beeindruckte sie neben ihrem vitalen, ausgelassenen Cellospiel das Publikum durch ihre Mimik, mit der sie, teils Bewunderung für die Komposition, teils Freude über jede gelungene Passage, jeden Ton zum Ausdruck brachte. Immerhin hatte sie neben ihrem Spiel zwischen Euphorie und singendem Ton noch genügend Kapazität für „Publicity“, eine musikalische und eine „schauspielerische“ Darbietung, die dem Publikum gefiel. Angeregt vom vehementen Schluss des ersten Satzes applaudierte es nach jedem Satz, bis der Dirigent Einhalt gebot.

Für den begeisterten Applaus am Schluss bedankte sich Camille Thomas mit einer Zugabe „Der Gesang der Vögel“ („Song of the Birds“, „El cant dels ocells») von Pablo Casals nach einem alten katalonischen Volks- und Weihnachtslied und schloss damit den Kreis zu Casals legendärer Aufführung von einst.

Viel Liebe zur böhmischen Landschaft und der Mentalität seiner Bewohner klang auch in Dvořáks „Sinfonie Nr. 7 d‑Moll“ (op. 70) an, der ersten der drei großen Sinfonien, die auch kämpferische Passagen enthält, die seinen Zeitgenossen als patriotischer Beitrag zu einem selbstbewussten Nationalstaat willkommen waren, sowie Parallelen zu Tschaikowskis „Fünfter“, die hörbar „Pate stand“. Die Musikerinnen und Musiker ließen diese Liebe zur böhmischen Landschaft und Mentalität in einem warmen, mitunter feierlichen Orchesterklang spüren. Tzigane sorgte mit seinem Sinn für Exaktheit auch dafür, dass so manche Feinheit hörbar wurde, die sonst im allgemeinen Klangrausch untergeht. Ohne zu übertreiben, kann man von einer fast „authentischen“ Wiedergabe der Sinfonie sprechen.

Ingrid Gerk

 

 

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