Dresden/Frauenkirche: HAYDN PHILHARMONIE AUS EISENSTADT ZU GAST IN DRESDEN – 22. 10. 2016
„Meine Sprache versteht man durch die ganze Welt“ entgegnete Joseph Haydn vor seiner Abreise nach England seinem Freund W. A. Mozart auf dessen Bedenken, dass er doch die Sprache in dem anderen Land nicht verstehe. In der Tat versteht man Haydns Musiksprache in der ganzen Welt. Sie ist weltweit eine feste Größe in den Konzertsälen und überall dort, wo man sich der klassischen Musik zuwendet.
1987, noch vor dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ gründete Adam Fischer aus Mitgliedern der Wiener Philharmoniker und der großen ungarischen Orchester die Österreichisch-Ungarische Haydn Philharmonie, um die besten Musiker beider Länder zusammenzuführen und gemeinsam das Werk Joseph Haydns an jenem historischen Ort, für den er sehr viele seiner Kompositionen schrieb und aufgeführt hat, dem Haydn-Saal des Schlosses Esterházy in Eisenstadt (Austria), aufzuführen. Dieser Saal ist authentisch, ist er doch noch immer unverändert und bietet den gleichen Anblick wie zu Haydns Zeit.
Mit der Saison 2015/16 übernahm der deutsch-französische Cellist Nicolas Altstaedt als Chefdirigent die künstlerische Leitung des nunmehr (nur noch) als Haydn Philharmonie bezeichneten Orchesters. Gründungsdirigent Adam Fischer wird dem Orchester auch weiterhin als Ehrendirigent zur Verfügung stehen. Das Orchester setzt sich jetzt aus ca. 40 Musikern der großen Wiener und Budapester Orchester zusammen, den Wiener Philharmonikern, Symphonikern und der Volksoper sowie dem Budapester Staatsopernorchester, der ungarischen Nationalphilharmonie und dem Nationalradioorchester – etwas mehr Musiker als zu Haydns Zeit in der Hochblüte der Esterházyschen Hofmusikkapelle.
Für das Konzert in der Dresdner Frauenkirche hatte sich Altstaedt viel vorgenommen. Er spielte gleich in zwei der sehr anspruchsvollen Cellokonzerte den Solopart und leitete „nebenbei“ das Orchester, ein nicht unproblematisches Unterfangen, erfordern doch gerade die beiden aufgeführten Solokonzerte vom Solisten hohes technisches Können, Werkverständnis, Gestaltungsvermögen und Konzenration.
Das „Cellokonzert a‑Moll (op. 129) von Robert Schumann – hier in einer Bearbeitung für Streichorchester von Nicolas Altstaedt und Michael Watermann – an den Anfang des Konzertes zu setzen, das ansonsten nur Werke von Haydn enthielt, war gewagt, ist es doch kein ausgesprochener „Ohrwurm“. Seine Klangwirkung hängt mehr als bei anderen Solokonzerten sehr von der Interpretation ab.
Es ist verständlich, dass Altstaedt die beiden Solokonzerte möglichst weit voneinander im Programm postiert haben wollte, an Anfang und Ende, aber möglicherweise wirkten sich auch der neue, ungewohnte Aufführungsort, andere akustische Verhältnisse, anderes Publikum usw. auf den „Einstieg“ mit Schumanns Cellokonzert aus. Es konnte nicht die großartige Entfaltung erfahren, die es in sich birgt. Es gab schöne Details und gute Kantilenen, gelegentlich auch den berühmten „singenden Ton“ des Cellos, man vermisste aber dennoch im Zusammenwirken mit dem Orchester den organischen Fluss, den berühmten „roten Faden“, der das Cellokonzert als großartiges Ganzes erscheinen lässt, was seitens der Komposition nicht leicht zu bewerkstelligen ist.
Die oft diskutierte Akustik der Frauenkirche erweist sich für den Klang eines Cellos durchaus immer günstig. In akustischer Klarheit ging kein Ton, keine Feinheit verloren. Das Orchester schien sich stilistisch schon auf Haydn eingestellt zu haben. Es spielte mit bewusster Vehemenz und in kontrastreichem Wechsel zwischen kaum hörbarem Pianissimo und Forte und erinnerte fast an barocke Stufendynamik. Mit Temperament, das diesem Cellokonzert nicht unbedingt eigen ist, versuchten Solist und Orchester dem Werk Publikumswirksamkeit zu verleihen. Es ist nicht leicht für Musiker und auch Publikum, das Werk in seinem spezifischen Charakter sofort zu erfassen.
Bei Haydns (noch) dreisätzigen Sinfonien waren die Musiker danach in ihrem Element. Leicht und locker, mit schöner Klangfülle, Vitalität und Lebensfreude, jugendlich stürmisch, widmeten sie sich zunächst einer seiner „Jugendsinfonien“, der „Sinfonie C‑Dur“ (Hob. I:27). Die Streicher dominierten, die Bläser hielten sich zurück und ordneten sich behutsam in den Gesamtklang des Orchesters ein.
Ziemlich schnell (und mit nicht ganz klaren Bläsern) begann auch Haydns „Sinfonie ‚A‘ B‑Dur“ (Hob. I:107). Es folgten schöne harmonische Passagen und ein kontrastreicher Wechsel zwischen Lautstärken und Tempi zwischen den einzelnen Sätzen, sehr unterhaltsam und den geselligen Charakter betonend, wobei die Bläser ihre leichte Unschärfe beibehielten.
So langsam kamen alle Ausführenden „in Schwung“ und steuerten auf Haydns „Cellokonzert Nr. 1 C‑Dur“ (Hob. VIIb:1) zu, das dem Solisten einiges abverlangt, aber mit seiner mitreißenden Melodik beim Publikum immer „zündet“. Es bedeutete den Höhepunkt des Abends, so als hätte alles auf diesen Abschluss zugestrebt. Es war eine sehr eigene Interpretation, leicht und unterhaltsam, ausgeglichen und auf ansprechende Wirksamkeit bedacht, mit sehr schönen Momenten, flüchtigen und kraftvollen und in gutem Zusammenwirken zwischen Solist und Orchester.
Ingrid Gerk