DRESDEN / Frauenkirche: “EUROPÄISCHE WEIHNACHTEN“ MIT DEM TÖLZER KNABENCHOR – 11.12.2019
In die hierzulande gewohnte Chor- und Musiktradition der Weihnachtszeit, bei der vor allem J. S. Bachs beliebtes „Weihnachtsoratoriums“ in und um Dresden auf den Programmen steht, brachte der Tölzer Knabenchor eine weitere Facette weihnachtlicher Musik ein. Der Chor war schon mehrmals in der Dresdner Frauenkirche zu Gast, erst unter seinem künstlerischen Leiter Gerhard Schmidt-Gaden, der den Chor 1956 gründete und auf Vehemenz orientierte, jetzt unter der gemeinsamen künstlerischen Leitung (seit 2014), von Christian Fliegner, der einst selbst als Mitglied und Knabensolist, später Stimmbilder des Chores und Tenor-Solist, die Probleme der jungen Sänger genau kennt und dem die Leitung an diesem Abend im Wesentlichen oblag, sowie Clemens Haudum, Stimmbildner, Akkordeonist, Arrangeur und Begleiter des Chores an Klavier, Akkordeon und Orgel, der 2010 einen eigenen Männerchor des Tölzer Knabenchores etablierte.
Zusammen mit Theresa Förg an der Harfe engagierte sich Haudum bei diesem Konzert mit seinem Akkordeon für die instrumentale Begleitung des Chores mit stimmungsvollen Vor- und Zwischenspielen sowie passenden Instrumentalsätzen zwischen den vom Chor gesungenen Weihnachtsliedern aus ganz Europa. Harfe und Akkordeon, passt das zusammen (?), möchte man meinen, aber bei diesem dezenten Musizieren und perfekten Zusammenwirken der beiden Instrumentalisten ganz im Einklang mit dem Chor, passte es gut und erinnerte auch ein wenig an den innigen Klang der bayrischen „Stub‘nmusi“ (Stubenmusik, Hausmusik, Volksmusik), wo die kuriosesten Instrumentenkonstellationen miteinander harmonieren. Damit wurde nicht nur der spezifische Charakter der Weihnachtslieder aus dem süddeutschen und österreichischen Raum und die Mentalität seiner Bewohner unterstrichen, sondern auch ein wenig alpenländische Weihnachtsstimmung in das Konzert „gezaubert“.
Das passte so ganz zu den volkstümlichen Weihnachtsliedern aus Frankreich, England, Wales, Schweden, Finnland, Rumänien, Katalonien, der Schweiz, Flandern, Italien, Deutschland und Tirol, ergänzt von einem französischen „Weihnachtstanz“, einem andalusischen „Sternsingerlied“, einem polnischen „Wiegenlied“, einem „Hirtenlied“ aus der Steiermark, der „Herbergsuche“ aus Oberösterreich und einem sehr feierlich und getragen dargebotenen “Andachtsjodler“ aus Südtirol.
In abwechslungsreicher Gestaltung, bei der nur der Kinderchor oder nur der, dann von Haudum geleitete, Männerchor oder beide Chöre zusammen oder im Wechsel oder in kleinen „gemischten“ Gruppen auftraten, erfreuten auch kleine Soli von einem oder zwei sicher auftretenden Knaben mit ihren zarten, jungen Stimmen oder auch einem Vertreter des Männerchores die Zuhörer. In besonders schönen Momenten, wie beim schweizerischen, vom Kinderchor gesungenen „Dormi, Dormi“ mit empfindsam beginnenden Harfentönen, in die das Akkordeon leise einstimmte und ein Vertreter des Männerchores ein beachtliches Solo sang und das alles in völlig übereinstimmender Harmonie, oder dem, vom Männerchor sehr sauber und gut abgestimmt „zelebrierten“ deutschen Volkslied „Maria durch ein Dornwald ging“, ergaben sich schöne, Glück ausstrahlende, Höhepunkte.
Unkonventionell, weniger „durchgestylt“, nicht unbedingt mit nur kunstvollen Chorsätzen, sondern volkstümlichen, bodenständigen Weihnachtsliedern, auch weniger konventionell und bodenständig vorgetragen mit den kraftvollen Stimmen des (Jung-)Männerchors und den zarteren Stimmen des Kinderchores, der durch die mehr als doppelte Anzahl an jungen Sängern den klanglichen Ausgleich schaffte, kam eine zusätzliche Farbe in die hierzulande gewohnte Chormusik. Die jungen Sänger waren Buben geblieben. Sie standen nicht in „eiserner“ Disziplin da, sondern bewegten sich „locker“ zur Musik und waren mit sichtlicher Freude am Singen dabei. Mit dieser Bodenständigkeit war eine unmittelbare Beziehung zu den Weihnachtsliedern im Erleben, Fühlen und Empfinden des einfachen Volkes vergangener Zeiten gegeben, das sich in seiner Schlichtheit mit den Gestalten der biblischen Geschichte identifizierte.
Ingrid Gerk