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DRESDEN/ Frauenkirche: DAS TRADITIONELLE „ZDF-ADVENTSKONZERT“ MIT REGULA MÜHLEMANN, ABER LEIDER OHNE PIOTR BECZALA  

01.12.2019 | Konzert/Liederabende

Dresden/Frauenkirche: DAS TRADITIONELLE „ZDF-ADVENTSKONZERT“ MIT REGULA MÜHLEMANN, ABER LEIDER OHNE PIOTR BECZALA  – 30.11.2019

Alle Jahre wieder lädt das ZDF (Zweites Deutsches Fernsehen) in die Dresdner Frauenkirche zur „Adventlichen Festmusik aus Dresden“ ein. Dann stehen bekannte und beliebte „Ohrwürmer“, aber auch „kleinere“ Stücke oder Ausschnitte aus unbekannteren Werken großer Meister auf dem Programm, in diesem Jahr vor allem aus der Barockzeit, Klassik und Romantik. Der Innenraum der prunkvollen Barockkirche ist dann immer festlich angestrahlt, jedes Jahr in einer anderen Farbvariation, die eine neue, andere Stimmung zaubert. Die zusätzlich aufgestellten Kerzen werden angezündet und die Spannung wächst. Obwohl das Konzert live auf eine Großbildleinwand vor der Kirche übertragen und am nächsten Tag, dem 1. Adventssonntag, „live“ im Fernsehen gesendet wurde, strömten die Besucher in die Kirche, in der dann – „voll bis unters Dach“ – auch die Plätze mit Sichtbehinderung oder ganz ohne Sicht noch gefragt sind – man möchte dabei sein.

Seit dem ersten Konzert dieser Reihe werden die Konzerte von der Sächsischen Staatskapelle Dresden und dem Sächsischen Staatsopernchor sowie international sehr gefragten Solisten getragen, gleitet von renommierten Dirigenten. In diesem Jahr stand zum ersten Mal eine Frau am Pult, die junge mexikanische Dirigentin Alondra de la Parra, 2017 bis November 2019 GMD des Queensland Symphony Orchestra im australischen Brisbane und Gastdirigentin bei verschiedenen europäischen Orchestern.

Als offizielle Kulturbotschafterin ihrer mexikanischen Heimat passte sie gut zum Anliegen der Frauenkirche, die sich als Wahrzeichen für Frieden und Versöhnung versteht, weniger jedoch zu der auf Perfektion (auch bei den Einsätzen) und Klangsinn orientierten Staatskapelle. Da wollte sich trotz ihres charmanten Auftretens, sympathischen Lächelns und eleganten Armbewegungen nicht die gewünschte Harmonie einstellen, da ist weit mehr erforderlich. Dennoch faszinierte die Kapelle bei der Begleitung der Solisten mit instrumentalen Vor- und Zwischenspielen, unbeirrbar in ihrer gewohnten Exaktheit und Klangschönheit.

Eröffnet wurde das Konzert vom Staatsopernchor in der Einstudierung von Jan Hoffmann, der jetzt provisorisch den Chor leitet, bis 2020/21 André Kellinghaus die Leitung übernimmt. In sehr flottem Tempo und mit noch etwas „rauchigen“ Männerstimmen, aber in schöner Übereinstimmung mit der Staatskapelle folgten die Ausführenden dem „Stimmt an die Saiten“ aus Joseph Haydns Oratorium „Die Schöpfung“.

Danach brillierte Regula Mühlemann mit dem schwierigen „Rejoice greatly. O daughter of Zion“ aus dem “Messiah“ von G. F. Händel, immer strahlend und strahlend schön, in Höchstform und mit makellosen Koloraturen, bei denen sie kein Detail, auch nicht das kleinste „unterschlug“. Sie sang weniger kraftvoll, aber sehr sauber und klar, wodurch sich ihre Stimme „engelgleich“ über das Orchester erhob, das sehr einfühlsam und mitgestaltend begleitete.

Zusammen mit der jungen russischen Sopranistin Julia Muzychenko, seit 2019/20 im Jungen Ensemble der Semperoper, und Julian Prégardien gestaltete sie Ausschnitte aus der „Großen Messe in c‑Moll“ von W. A. Mozart mit der gleichen Perfektion und Hingabe an das Werk. Die Stimmen der beiden Sopranistinnen verschmolzen in idealer Weise, zwei Seelen im Gleichklang, von Prégardien komplettiert, der eingangs erstaunlich sicher und sehr sauber mit den a capella gesungen Worten „Gloria in excelis deo“ das „Gloria“ angestimmt hatte, dem „Quoniam tu solus“, „Jesu Christe“, „Cum Sancto Spiritu“ und „Et incarnatus est“ folgten. Regula Mühlemann bestach auch hier wieder mit ausgiebigen makellosen Koloraturen und sehr langem Atem. Sie schien getragen von der Musik. Ausdrucksstark und mit guter Textverständlichkeit formte sie die großen musikalischen Linien und setzte die Glanzlichter, in die Chor und Orchester (nach minimalen Unstimmigkeiten am Beginn, die das Publikum wahrscheinlich kaum wahrgenommen hatte) einstimmten und „nahtlos“ weiterführten.

Julian Prégardien, der Sohn des Tenors Christoph Prégardien und gefragter Tenor der jüngeren Generation, der vor allem durch seine lyrischen Partien in Opern, Passionen, Oratorien und Messen von Barock bis Romantik bekannt ist und mit führenden Ensembles und Dirigenten der historischen Aufführungspraxis zusammenarbeitet, war kurzfristig für Piotr Beczała eingesprungen, der wegen einer Erkältung abgesagt hatte. Er sang anstelle des mit Beczała vorgesehenen „Ohrwurms“ „Ombra mai fu“ aus „Serse“ von Händel ein wenig bekanntes Lied von Franz Schubert „Nacht und Träume“ (D 827) für Orchester, bearbeitet von Max Reger. Er sang es sehr getragen, fast meditativ und mit Bedacht.

Seinen „großen Auftritt“ hatte er mit dem „Sanctus“ aus der „Cäcilienmesse“ von Charles Gounod, ausgeglichen, mit sehr sicher geführter Stimme, guter Diktion und in schönem Zusammenwirken mit dem, piano einsetzenden, Männerchor und dem sich anschließenden Frauenchor des Staatsopernchores und der Staatskapelle.

Mit dem schwungvoll, bewegt und mit sehr viel Temperament und Verve, dramatischer Wucht und Lautstärke (was dem Publikum durchaus gefiel) interpretierten „Pas d‘action: Coda / Finale“ (1. Akt) aus dem Ballett „Dornröschen“ von P. I. Tschaikowsky kam unvermittelt eine ganz andere Farbe ins Spiel. Sehr saubere Bläser – wie nicht anders zu erwarten – und gute, flexible Streicher sorgten für eine exakte Wiedergabe, bei der der perfekte Übergang ins Lyrische bestach. Es war ein sehr dramatisches Ende des 1. Aktes, das dann doch märchenhaft ausklang.

Unter der Leitung von Frauenkirchenkantor Matthias Grünert sorgte auch der Kammerchor der Frauenkirche, der von der 1. Empore aus in gestochen scharfer A‑capella-Kultur sehr sauber und in guter innerer Abstimmung, feierlich und bewegend „Es kommt ein Schiff geladen“ von Max Reger und, gut in das weitere Programm eingebunden, „Ubi caritas“ von Maurice Duruflé sang, für eine schöne Bereicherung des Konzertes. Die betörende Klangwirkung der akustischen Möglichkeiten des Kuppelbaus hatte seinerzeit auch Richard Wagner entdeckt und in seinem „Liebesmahl der Apostel“ eingesetzt. Sie schwebte ihm auch bei den „Gralstempel-Chören“ im Parsifal“ vor.

Den Abend mit schönen Klängen und vorweihnachtlicher Stimmung beendeten alle Mitwirkenden, indem sie sehr ansprechend zwei Strophen des mitreißenden „Tochter Zion, freue dich“, ursprünglich aus einem Oratorium Händels und später mit einem adventlichen Text unterlegt, sangen. Das gewünschte Mitsingen der 3. Strophe durch das Publikum hielt sich dann allerdings in Grenzen. Sangesfreude war nur noch bei den Älteren vorhanden. Es ist leider nicht mehr wie früher, als es die Zuhörenden, angeregt von so viel guter und mitreißender Musik kaum erwarten konnten, selbst mit einzustimmen. Die hektische Zeit hat ihre Spuren hinterlassen, umso wichtiger und anregender ist dann das passive Musikerlebnis, das innerlich mitschwingen lässt. Mit riesigen Blumensträußen wurden Solistinnen und Solist sowie die Dirigentin verabschiedet. Der Dank des Publikums begleitete sie.

Ingrid Gerk

 

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