Dresden/Frauenkirche: DANIEL MÜLLER-SCHOTT UND DAS ZÜRCHER KAMMERORCHESTER – 3.3.2023
Den erstaunten Konzertbesucher empfing und verblüffte zunächst eine überdimensionale Erdkugel von sieben Metern Durchmesser, dünn, zart, zerbrechlich (obwohl 40 Kilogramm schwer), ein Kunstwerk des Briten Luke Jerram, der es anhand originaler NASA-Bilder von der, in den Tiefen des Weltalls klein erscheinenden, von Wasser dominierten Erdkugel detailgetreu nachbildete und schlicht „Gaia“ (Mutter Erde“) nannte. Innen beleuchtet und langsam rotierend, schwebt es in gut drei Metern Höhe über den Köpfen der Besucher, dominiert den Blick in den Hauptraum der Kirche und soll für den menschengemachten Klimawandel sensibilisieren (zu sehen 3./4. – 26.3.2023).
„Das Leichte und das Schwere“ war auch das Konzert des Zürcher Kammerorchesters unter der Leitung von Konzertmeister Willi Zimmermann betitelt. Leicht und locker, unbeschwert und unterhaltsam, frisch und herzhaft, in etwas eigenwilligem Klangbild begann das Orchester mit dem „Divertimento Nr. 17 D‑Dur“ (KV 334), das der 23jährige Wolfgang Amadeus Mozart 1779 für seinen Freund, den Amateurgeiger G. S. Robinig schrieb und dafür ursprünglich 2 Violinen, Viola, Bass und 2 Hörner vorsah. Hier wurde in großer Streicherbesetzung und zwei Hörnern musiziert, letztere anfangs mit leichter Dominanz, die sie allmählich zugunsten eines homogeneren Orchesterklanges zurücknahmen, so wie auch das gesamte Orchester im ersten Satz, einem „Allegro“ mehr und mehr zu Homogenität fand.
Der zweite Satz „Thema mit 6 Variationen“. Andante“ begann sanft, fast „getupft“, der dritte “Menuett – Trio“ entfaltete beinahe volkstümlich tänzerischen Charakter, der vierte „Adagio“ gestaltete sich vor allem musikantisch, beim fünften Satz „Menuetto – Trio I und Trio II“ schwelgte das Orchester in schönem, homogenem Klang, und im sechsten Satz präsentierte es ein schwungvolles „Rondo. Allegro“, alles in unkonventioneller Musizierweise und individuellem Klangbild und Musizierstil. Um den (unpassenden) Applaus nach jedem Satz (aus Unkenntnis der Besucher) abzublocken, gab es schnellere Übergänge zwischen den Sätzen als gewohnt, die jedoch den Gesamteindruck kaum beeinträchtigten.
Dann kam Daniel Müller-Schott mit seinem Violoncello und musizierte mit dem Kammerorchester „From jewish life“ des schweizerisch-amerikanischen Weltenwanderers Ernest Bloch (1880 – 1959), der während des Ersten Weltkriegs nach Amerika auswanderte und dort neben „Helvetia“ und „America. An Epic Rhapsody“ dieses Cello-Konzertstück schrieb. In einem Arrangement für Violoncello Solo, Streicher und Harfe wurde es so hochfein musiziert, das sich niemand dieser wehmütigen, melancholisch- elegischen Gefühlswelt entziehen konnte. Das Stück erschloss sich selbst ohne das Wissen um den komplexen biografischen Hintergrund des Komponisten, der seine vielen Kompositionen über jüdische Themen einmal als „Psychoanalyse“ bezeichnete. „Was mich wirklich interessiert“ konstatierte er, „ist die hebräische Seele. Diese komplexe, feurige, unruhige Seele, die die Bibel in mir zum Schwingen bringt… All das ist in uns, all das ist in mir…“.
Müller-Schotts schlanker, klangvoller Ton und Musizierstil, verschmolz mit dem hier sehr sanften des Kammerorchesters, bei dem zuweilen die Streicher zu klagen schienen, und nahm die Zuhörenden mit hinein in eine ungewöhnlich wehmütige Klang- und Gefühlswelt. Über allem schwebte der feine kontinuierliche Klang des Cellos und nahm unwillkürlich gefangen. Müller-Schott zeichnete die großen melodischen Linien nach und vermittelte unspektakulär, aber sehr intensiv und nachhaltig den Eindruck dieser ungewöhnlichen Komposition. Er spürte wie selbstverständlich dem jüdischen Leben nach, was sich mehr unbewusst als bewusst mitteilte und den Atem anhalten ließ. Da hätte es einer Konzertpause zum Nachklingen, bedurft, aber es gab nur eine längere Pause zum Überdenken.
Danach fiel es schwer, sich wieder auf das heitere, lebenbejahende „Cellokonzert Nr. 1 C‑Dur (Hob. VIIb:1) von Joseph Haydn einzustellen, das lange als verschollen galt und erst vor 60 Jahren in einer Abschrift im Prager Nationalmuseum wieder entdeckt wurde. Man musste innerlich erst wieder „umschalten“ und umdenken, um dieses Konzert genießen zu können, das zu den schwersten Stücken zählt, die trotzdem leicht und luftig klingen sollen. Es treibt manchem Cellisten „die Schweißperlen auf die Stirn“, den Zuhörern aber „ein glückliches Lächeln ins Gesicht“.
Für Daniel Müller-Schott gibt es da keine Probleme. Mit singendem, sehr klarem, relativ schlankem Ton lässt er wie selbstverständlich den Komponisten sprechen, zaubert eine virtuose Kadenz und lässt den Klang seines Cellos förmlich aus dem Orchester „herauswachsen“. Unter seinen Händen klingt noch die am schwersten zu spielende Passage ganz leicht. Technische Schwierigkeiten erscheinen bei ihm mühelos. Er nimmt alle Hürden ganz unangestrengt. Vor 30 Jahren begann seine internationale Karriere, als er 15jährig als erster (und einziger) Deutscher den Internationalen Tschaikowski-Wettbewerb in Moskau gewann. Jetzt zählt er zu den weltweit gefragtesten Cellisten auf allen großen internationalen Konzertbühnen von Amerika bis Asien und Australien und erfreut als „Botschafter der klassischen Musik im 21. Jahrhundert und Brückenbauer zwischen Musik, Literatur und Bildender Kunst“ die Konzertbesucher.
Für den aufrichtig begeisterten Aplaus gab es noch eine mit sensiblem Gespür gespielte Zugabe, den letzten Satz „Gigue“ aus der sieben Tanzsätze umfassenden „Suite Nr. 3 C‑Dur für Violoncello solo (BWV 1009) von Johann Sebastian Bach.
Ingrid Gerk