Dresden/Frauenkirche: DANIEL HOPE, DER NEU BERUFENE ARTISTIC DIRECTOR DER FRAUENKIRCHE, UND DAS BAROCKORCHESTER L’ARTE DEL MONDO – 11.11.2017
Daniel Hope, der vielbeschäftigte südafrikanisch-britische Stargeiger, Weltbürger und Wahlberliner übernimmt zu seinen vielen Engagements noch eine weitere wichtige Funktion, die neu geschaffene Position des Artistic Directors, des Künstlerischen Leiters, der Dresdner Frauenkirche, die ihm sehr am Herzen liegt und für ihn Verantwortung und Inspiration bedeutet. Er möchte „ein Teil der Frauenkirche“ sein, dazugehören, Dresden musikalisch unterstützen, ab 2019 mit seinen Programmkonzeptionen noch mehr Musik in die Musikstadt Dresden bringen und sich mit entsprechender Programmgestaltung auch an junge Leute und Menschen „von der Straße“ wenden, die sich bisher noch nicht für diese Konzerte interessiert haben, denn er liebt es, auch genreübergreifend zu agieren.
Er ist nicht nur Violinvirtuose, weltweit gefragter Solist renommierter internationaler Orchester, gefragter Uraufführungs-Interpret, leitet – wie sein Lehrer und Mentor Yehudi Menuhin, der zu den namhaftesten Beförderern des Wiederaufbaus der Dresdner Frauenkirche gehörte – Orchester von der Geige aus und schreibt Bücher. Seit der Saison 2016/17 ist er als Nachfolger von Sir Roger Norrington Musikdirektor des Zürcher Kammerorchesters.
Für die Frauenkirche wird er die Tätigkeit des bisherigen Konzertreferenten Dr. Ralf Ruhnau, der das Konzertleben der Frauenkirche mit höchstem Anspruch an Vielfalt und Qualität zu einem Markenzeichen gemacht hat und nach 15jähriger Tätigkeit nun dieses Amt mit dem Wunsch einer beruflichen Neuorientierung verlässt, weiterführen und erweitern.
Mit der Frauenkirche, die durch den Willen der Bevölkerung und vieler Prominenter im In- und Ausland und ausschließlich aus Spendengeldern aus aller Welt nach der Zerstörung im 2.Weltkrieg wieder aufgebaut wurde, ist er aufs engste verbunden. Er trat hier schon mehrmals als Violinsolist auf und erhielt anlässlich seines 25jährigen Bühnenjubiläums an dieser Stelle den Europäischen Kulturpreis für Musik.
Seine Konzerte (auch an anderen Veranstaltungsorten) und die „Hope-Gala“ sind in Dresden sehr beliebt und begehrt. Er ist für seine musikalische Vielseitigkeit und Kreativität bekannt und versteht es, mit immer neuen Programmen, und seiner Art zu musizieren die Kenner durch sein meisterhaftes Violinspiel zu begeistern und mit seiner Spielfreude und seiner niveauvollen Art des Crossover viele neue Freunde für gute Musik zu gewinnen.
Ein erstes Konzert in diesem Rahmen gab Hope mit dem Barockorchester l’arte del mondo, das vor allem Concerti von Antonio Vivaldi enthielt und bei dem er u. a. mit der Aufführung von vier verloren geglaubten und wiederentdeckten Violinkonzerten des Meisters im Rahmen des Vivaldi-Projektes „Verloren & wiederentdeckt“ überraschte.
Mit besonderem Wohlklang, der an das Geheimnis des „verschwundenen“ Klanges, von dem die Zeitgenossen des 17./18. Jahrhunderts in Briefen und Berichten schwärmten, ahnen ließ, eröffnete das 2004 gegründete Barockorchester l’arte del mondo unter der Leitung seines Gründers und Leiters Werner Erhardt, einem Spezialisten für Alte Musik, das Konzert – zunächst noch ohne Daniel Hope – mit dem viersätzigen „Concerto a quattro ‚da chiesa“ d Moll op. 2 Nr. 1″ von Evaristo d’all Abaco (1675-1742), einem Italiener und Zeitgenossen Vivaldis, der als Hofcellist, Konzertmeister und „Churfürstlicher Rath“ in Diensten des kurbayrischen Hofes in München stand. Sein Konzert ließ eine gewisse Nähe zu Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ erkennen, flott, mitreißend und mit dem richtigen Gespür vom Kammerorchester musiziert.
Die Original-„Vier Jahreszeiten“ von Vivaldi durften da natürlich auch nicht fehlen – mit Daniel Hope als Solisten -, zunächst nur durch „Sommer“ und „Winter“, zwischen andere Concerti ins Programm „eingestreut“, vertreten. Der „Herbst“ folgte dann erst nach dem offiziellen Programm als erste von mehreren, freigiebig gewährten, Zugaben. Der „Frühling“ entfiel der gegenwärtigen Jahreszeit gemäß. Mit anfangs sehr effektvoll gespieltem, Spannung bewirkendem Rubato und danach in zum Teil atemberaubendem, mitreißendem Tempo, kontrastierend zwischen lyrischen und dramatischen Passagen vom zartesten, leisesten, fast „zerbrechlichen“ Pianissimo (ppp) bis zum Mezzoforte gesteigert, wurde der „Sommer“ plastisch erlebbar. Der „Winter“ begann später frostig am Cembalo – man konnte die klirrende Kälte fast spüren – und gipfelte in einem sehr effektvoll gestalteten letzten Satz.
Zuvor aber hatte Daniel Hope die „Bühne“ als Spiritus rector für zwei der verloren geglaubten und von dem französischen Tänzer und Musikwissenschaftler Olivier Fourés ausfindig gemachten Concerti (Concerto per Violino e Moll RV 278 und D Dur RV 222), denen später noch zwei weitere (G-Dur RV 307 und G-Dur RV 365) folgten, betreten und dominierte das gesamte Konzert bis zum tatsächlich letzten Ton. Die zahlreich erschienenen Konzertbesucher (die Kirche war – wie lange nicht mehr – bis unters Dach gefüllt) wurden mit vier, in Dresden wohl bisher kaum bekannten Violinkonzerten Vivaldis, die vermutlich seinem Spätwerk zuzuordnen sind, vertraut gemacht. Vivaldi hatte bereits seinen Zenit überschritten und reagierte auf die zunehmende Popularität jüngerer Komponisten mit avancierten Experimenten, die in individueller Steigerung seiner ohnehin expressiven Tonsprache, zu einem noch abwechslungsreicheren und kontrast- und spannungsreicheren Stil führten.
Sie erfordern in den zahlreichen solistischen Passagen – mit oder ohne Orchester -, eine ungeheuer virtuose Bogentechnik und enorme Geläufigkeit und widerlegen Strawinskys vielzitierten Satz, Vivaldi habe ein Konzert sechshundertmal komponiert. Diese Konzerte haben ihren eigenen Stil, ihren eigenen Reiz. Vivaldis unverkennbarer Personalstil schimmert dennoch immer wieder durch und bestätigt ihre Authentizität. Es sind noch unbekannte, auch ein wenig ungewohnte, aber interessante Konzerte voller Virtuosität für den Solisten, die Hope souverän, mit scheinbarerer Leichtigkeit, viel Temperament, einschmeichelndem Klang seines weichen, samtenen Bogenstrichs und besonders schönem, singendem Ton, vor allem bei den Piani in hoher Lage, meisterte. Sein Spiel und der Klang seiner Violine verbanden sich in idealer Weise mit dem Orchester.
Bei Vivaldis bekanntem dreisätzigem „Concerto per due Violini a-Moll“ op. 3 Nr. 8 (RV 522) übernahm Andrea Keller vom Barockorchester die 2. Violine. Hier setzten beide auf belebende Dynamik und auch äußerliche Publikumswirksamkeit, indem sie ihre Darbietung mit freundlichen Gesten zum Orchester und zueinander unterstrichen. Ihr sehr lebhaftes Spiel sorgte für Abwechslung. Der langsame Mittelsatz (Larghetto e spirituoso) wurde mit viel innerer Spannung musiziert. Beim dritten und letzten Satz (Allegro) strebte Hope, um die Spannung zu erhöhen, ein eiliges Tempo an, unter dem aber Klarheit und Einheit der beiden Violinparts und des Orchesters nicht litten und auch nicht akustisch beeinträchtigt wirkten. Barockmusik und vor allem kleinere Besetzungen sind für die Akustik der Frauenkirche besonders gut geeignet und erlauben den Ausführenden diverse Freiheiten.
Die geschickte, abwechslungsreiche Programmgestaltung endete mit dem „Winter“ aus Vivaldis „Jahreszeiten“, aber – wie bei Hope nicht anders zu erwarten – folgte ein ausgiebiger Zugaben-Teil, der mit dem bereits erwähnten rhythmisch pointierten „Herbst“ begann.
Als Kontrast zu Vivaldis „Sommer“ brachte die 2. Zugabe „Summer Pt. 3“ aus der Feder von Max Richter, Vivaldis „Tongemälde“ recomposed, kraftvoller instrumentiert, mit größerem Klangvolumen und neuartigem Solo, für moderne Hörgewohnheiten erschlossen und neu belebt, transformiert in unsere Zeit, was vom Publikum begeistert aufgenommen wurde. Hope vermochte mit seiner Interpretation Tradition und Moderne nahtlos und sehr publikumswirksam zu verbinden.
„Wir können noch“ bemerkte er vor der 3. Zugabe, dem „Abschluss-Stück“, dem berühmten „Air“ aus J. S. Bachs „Orchestersuite Nr. 3 D Dur“ (BWV 1068). Entgegen sonstiger Interpretationen begann Hope solo sehr klangschön und spielte ohne Vibrato, feinsinnig und ausdrucksstark. Er hat die Gabe, z. B. auch Barockmusik für moderne Hörgewohnheiten zu erschließen.
… und schließlich folgte nach dem Zugaben-Teil noch eine weitere „Zugabe“ als nun endgültiger Abschied mit „Guten Abend, gute Nacht„, für Hope und seine Violine solo konzipiert und mit eigenen Varianten nach Johannes Brahms. Das Publikum summte leise mit und war glücklich …
Ingrid Gerk