Dresden/Frauenkirche: „BACH-NACHT“ – VON ACHT BIS MITTERNACHT“ – 7.9.2024
Johann Sebastian Bach hat für Dresden und die Frauenkirche eine besondere Bedeutung, hat er doch hier selbst die Silbermann-Orgel, die 1945 beim Bombenangriff zerstört wurde, gespielt, von einer Anstellung am Dresdner Hof geträumt und sich um einen Titel als „Kurfürstlich Sächsischer und Königlich Polnischer Hof-Compositeur“ beworben, den er nach „Einsendung der ersten Teile seiner berühmten „Messe in h‑Moll“ auch 1736 erhielt.
Das war Anlass für einen besonderen Konzertabend, bei dem Bachs Musik in ihrer Vielseitigkeit und allen Facetten in lebendiger, aufgelockerter Form in großem Umfang geboten wurde – von Acht bis Mitternacht“ – ein „Mammut-Programm“, bei dem es nicht möglich war, alle Darbietungen zu hören, da einige gleichzeitig an verschiedenen Orten innerhalb der Frauenkirche stattfanden. Doch zurück zum Anfang.
Der Abend begann mit der „Ouvertüre D‑Dur“ (BWV 1068), gespielt vom ensemble frauenkirche aus Mitgliedern der Sächsischen Staatskapelle und Dresdner Philharmonie, die ihre reichen Erfahrungen auf dem Gebiet einer guten Bach-Pflege mit historisch orientierter Aufführungspraxis einbrachten und mit dem spezifischen Staatskapellenklang und dem warmen Klang der Philharmonie festlichen Glanz verbreiteten. Daniel Hope, der feinsinnige Stargeiger und Artistic Direktor der Frauenkirche, faszinierte mit seiner sensiblen Gestaltungsart und feinster Tongebung auf seiner Guarneri del Gesù mit dem „Konzert für Violine und Orchester a-Moll“ (BWV 1041). Frauenkirchenkantor Matthias Grünert gab auf der neuen großen Orgel der Frauenkirche von Kern jun. einen Einblick in Bachs große Orgelkunst.
Die Kantate „Lobe den Herren“ (BWV 137) beschloss den ersten Teil im Hauptraum der Kirche, ausgeführt vom Kammerchor der Frauenkirche, ensemble frauenkirche und den Solisten Heidi Maria Taubert, Sopran, Laila Salome Fischer, Alt, Patrick Grahl, Tenor und Tobias Berndt, Bass.
Dann folgte ein „Wandelkonzert“ in freier Form durch die unterschiedlichsten und ungewöhnlichen Aufführungsräume des gewaltigen Kirchenbaus von der Unterkirche über die Treppentürme und die Wendelrampe, auf der einst die Esel das Baumaterial bis in den Turm, die „Laterne“, trugen. Auf der Plattform der Laterne musizierten Flöte und Oboe in luftiger Höhe, aber wer konnte schon zu Fuß so weit nach oben gelangen, denn der Lift für den Turmaufstieg stand leider nicht zur Verfügung. Die feinen Töne der beiden sanften Instrumente dürften in der Nacht im Geräuschpegel der Stadt verhallt sein, oder hat sie ein günstiger Wind in die laue Sommernacht hinaus getragen?
Nicht ganz so hoch, „nur“ bis in die Hauptkuppel, gelangten sehr viele Besucher, auch zahlreiche ältere mit eisernem Willen, denn dort präsentierte Daniel Hope sein Können mit Bachs „Suiten und Sonaten für Violine solo“, was trotz Feinheit bis in den Hauptraum der Kirche zu hören war, so lange, bis der Kammerchor der Frauenkirche dort kräftig Bachs Motetten anstimmte. Wer es nicht bis in die Hauptkuppel schaffte oder auf dem Weg dorthin an den Treppentürmen vorbei kam, konnte dort ebenfalls Musik genießen, zum Beispiel die „Zweistimmigen Inventionen“ von Bach, von zwei Violinen sehr ansprechend gespielt, bei denen die beiden konkurrierenden Stimmen harmonisch neben-, gegen- und miteinander geführt wurden.
Zurück in den Hauptraum der Kirche, wurden hier große Teile aus Bachs „Geschenk an Dresden“, der „h-Moll-Messe“ mit dem Kammerchor der Frauenkirche, dem ensemble frauenkirche und den vier Solisten, die mit Ausnahme der Altistin, die sich gut in das Ensemble einzufügen versuchte, schon oft bei diesem grandiosen Werk mitgewirkt haben und ihre guten Erfahrungen einbrachten, unter Grünerts Leitung aufgeführt. Trotz vorgerückter Stunde wurde es eine sehr beeindruckende Aufführung, die die Besucher in eine der vielen lauen Sommernächte entließ, von denen Heinrich von Kleist als die „Italischen Nächte in Dresden“ schwärmte.
Es war ein grandioser, sehr vielseitiger Abend, den man nicht so leicht vergessen wird, nicht nur wegen der ungewöhnlichen Form und den verschiedensten Orten, wo man sonst keine Musik hören kann, sondern auch, weil er Bachs Meisterschaft in ihrer ungeheuren Vielfalt wieder vor Augen führte. Bach ist eben doch „Anfang und Ende aller Musik“.
Ingrid Gerk