Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

DRESDEN/ Festspielhaus Hellerau: HOMMAGE FÜR GIUSEPPE SINOPOLI ANLÄSSLICH SEINES 20. TODESTAGES

24.04.2021 | Konzert/Liederabende

Dresden / Festspielhaus Hellerau: HOMMAGE FÜR GIUSEPPE SINOPOLI ANLÄSSLICH SEINES 20. TODESTAGES – 23.4.2021

Vor 20 Jahren, am 20.4.2001, starb Giuseppe Sinopoli, unerwartet und viel zu früh – mit 54 Jahren – in Berlin, zwar so, wie es sich viele Künstler wünschen (oder vorgeben, es zu wünschen) – „auf der Bühne“ bzw. wie er, im Orchestergraben der Deutschen Oper während einer Vorstellung von „Aida“ als Versöhnungsgeste für den verstorbenen Generalintendanten Götz Friedrich, aber als es geschah, war die musikalische Welt erschüttert. Sie verlor einen der bedeutendsten Dirigenten der Gegenwart, einen sehr vielseitigen, begabten Menschen und Künstler. Er galt als einer der profiliertesten Musikerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts.

In Dresden, wo er seine letzte intensive Schaffensperiode erlebte, ist er unvergessen. Seit 1992 leitete er hier 150 Konzerte und spielte etwa 70 Titel mit der Sächsischen Staatskapelle auf CD ein. Jetzt ehrte die Kapelle ihren ehemaligen Chefdirigenten (1992 bis 2001) anlässlich seines 20. Todestages postum mit dem Titel ‘Capell-Compositeur“ und einem besonderen Porträtkonzert. Seines 10. Todestages wurde seinerzeit (2011) mit einem Gedenkkonzert in der Lukaskirche gedacht.

Das ursprünglich geplante Porträtkonzert wurde in Kooperation mit dem Europäischen Zentrum der Künste in Hellerau im Rahmen des – diesmal nur online stattfindenden – Festivals TONLAGEN Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik mit gekürztem Programm live, aber ohne Publikum aufgenommen (17.4.2021) – in dem, 1911 von Heinrich Tessenow im Stil der Reformarchitektur erbauten Festspielhaus im Stadtteil Hellerau, ein Hauptwerk der Architektur des 20. Jahrhunderts – und über Rundfunk (MDR Kultur und MDR Klassik – 23.4.) gesendet.

Sinopoli war sehr vielseitig. Er war promovierter Arzt, Buchautor, Archäologe, Dirigent und Komponist und galt als prominenter Vertreter der musikalischen Moderne, bis er das Komponieren aus Unzufriedenheit mit der musikalischen Avantgarde seiner Zeit nach 1981 zugunsten seiner Dirigententätigkeit aufgab. Dem Großteil seines Œuvres, das  bis heute vornehmlich in Ausschnitten bekannt ist, liegt das Ideal einer „sinnlichen Musik, der man folgen und die man verstehen kann“, zugrunde.

Für dieses Porträtkonzert hatten (Kammer‑)Musiker der Staatskapelle Kompositionen ausgewählt, die die Vielseitigkeit und die Einflüsse anderer Musikerpersönlichkeiten auf sein Schaffen repräsentieren: seine „Klangfarben“ auf einer Reihe von Riccardo Malipiero“ für Streichquintett (1970), dargeboten mit viel Einfühlungsvermögen vom Fritz Busch Quartett und Andreas Ehelebe, sowie „Numquid et unum“ Dedicato a Franco Donatoni für Flöte und Clavicembalo (1970), einem seiner maßgeblichen Lehrer am Konservatorium in Venedig, Franco Donatoni, gewidmet, perfekt und hinreißend musiziert von Sabine Kittel und Johannes Wulff-Woesten. Von seinem anderen wichtigen Lehrer, Bruno Maderna, erklang „Aulodia per Lothar“ für Oboe d’amore und Gitarre ad libitum (1965) mit Michael Goldammer und Sabine Volkmann–Goldammer.

Beeinflusst von Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen, sorgte Sinopoli in den 1970er-Jahren zunächst mit seiner frühen zwölftönigen, elektronischen und seriellen Musik bei den Festivals für Neue Musik in Darmstadt und Donaueschingen für Aufsehen. Von den Komponisten der Vergangenheit übten besonders Franz Schubert und Robert Schumann zeitlebens eine besondere Faszination auf ihn aus. Bei der Trauerfeier in der Semperoper (2001) erklang, gemäß seinem, bei einer Probe mit der Staatskapelle geäußerten, Wunsch. „Wenn ich einmal sterbe, dann spielt das für mich“, der zweite Satz aus Schumanns „Frühlingssinfonie“. Jetzt spielte das Fritz Busch Quartett das „Streichquartett Nr. 10 Es‑Dur (D 87) von Franz Schubert, in harmonischem Zusammenspiel mit viel Hingabe.

Einige Tage zuvor, genau am Todestag (20.4.) wurde im Rundfunk (MDR Kultur) mit Live-Aufnahmen aus zwei früheren Symphoniekonzerten der Sächsischen Staatskapelle an Sinopolis Dirigate und seine Kompositionen erinnert. Er dirigierte nur selten eigene Werke in seinen Konzerten und spielte auch nur wenig selbst auf Tonträger ein, so dass bei der Staatskapelle vergleichsweise nur wenige seiner Kompositionen zu hören waren.

Zunächst erklangen (Aufzeichnung des 7. Symphoniekonzertes vom 18.12.1994) unter seiner Leitung, seine Hommage à Costanzo Porta“ (2) aus: „Pour un livre à Venise“, die Symphonie D‑Dur (Hob I:104) von Joseph Haydn mit Sinopolis durchsichtigem Orchesterklang, der auch kaum beachtete Details hörbar machte, und das Violinkonzert D‑Dur“ (op. 77) von Johannes Brahms mit Gil Shaham als Solist, der souverän, mit frappierender Technik, schönen Doppelgriffen, seinem berühmten geschmeidigen Ton und einer, mit allen Raffinessen gespickten, Kadenz und tänzerisch ausgelassenem „Rondo“, mit Temperament und Sensibilität bis zum feinsten Pianissimo und in ausgeglichener Korrespondenz mit dem klangschön musizierenden Orchester dem Konzert viel Vitalität und Lebensfülle verlieh, ein Konzert mit Verve und Leidenschaft, wie es Sinopoli liebte.

Ergänzend erklang (aus dem 9. Symphoniekonzert (Semperoper 06.03.2004) Tombeau d’Armor III“ für Violoncello und Orchester, ein avantgardistisches Werk Sinopolis, sehr modern, mit Klangballungen, aber auch Melodie und interessanten Wendungen, oft an der Melodie bewusst „vorbeischrammend“, in Anbetracht seines Lehrers Bruno Maderna, der eines Tages gesagt hatte: ‘Die Melodie muss wieder in die Komposition‘. Am Dirigentenpult war: Sylvain Cambreling, der sich für das sehr moderne, unkonventionelle Werk engagierte, am Violoncello: Peter Bruns, der mit seinen Fähigkeiten und wunderbarer Tongebung das Werk veredelte. Diese Aufnahmen ließen noch einmal die Leistungen der Staatskapelle in der Ära Sinopoli Revue passieren.

Von solch begeisternden Live-Konzerten mit Publikum im vollen Zuschauerraum kann man jetzt nur träumen während des ewigen Lockdowns, wo die Theater und Opernhäuser unverständlicherweise die strengsten Einschränkungen ertragen müssen – trotz bester, akribisch durchdachter, Hygienekonzepte (im Gegensatz zu manch anderen Bereichen).

Ingrid Gerk

 

 

Diese Seite drucken