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DRESDEN: DIE DRESDNER MUSIKFESTSPIELE GEHEN WEITER – TEIL II

30.05.2018 | Konzert/Liederabende

Dresden: DIE DRESDNER MUSIKFESTSPIELE GEHEN WEITER – TEIL II 10.5. – 30.5.2018

Im diesjährigen Festspiel-Jahrgang gab es einige Besonderheiten, eine Welturaufführung und ein Festival im Festival mit dem Violoncello im Fokus und dem geheimnisvollen, einprägsamen, aber bedeutungslosen Namen „Cellomania“ (12.‑21.5.), der einfach nur gut klingt oder doch etwas von dem Begriff „Manie“ im Sinne von Besessenheit zu diesem Instrument hat, von dem behauptet wird, dass es der menschlichen Stimme am ähnlichsten sei? Cellisten sind wohlwollende, kooperative Musiker. Das bewies auch Intendant Jan Vogler, als er beim Eröffnungskonzert gemeinsam mit seinem Vorgänger im Amt, Hartmut Haenchen auftrat. Er lud die Weltstars und herausragenden Individualisten des Cellos zu einem „Gipfeltreffen“ ein, bei dem in 11 Konzerten mit mannigfaltigen Celloformationen alle Möglichkeiten des Violoncellos ausgelotet wurden. Niemand musste Konkurrenz befürchten, denn alle präsentierten sich mit ihrer individuellen Interpretation als Meister ihres Faches.

Die grandiose Eröffnung hatte bereits im Vorfeld als „Palastkonzert“ mit Yo-Yo Ma (31.1.2018) in der Frauenkirche stattgefunden. In bewundernswerter Weise spielte er, über jedes Lob erhaben, alle sechs „Suiten für Violoncello solo“ von J. S. Bachs. Steven Isserlis, der 2017 den Glashütte Original Preis erhielt, gestaltete ein „Kinderkonzert“ (13.5.) im Schloss Wackerbarth und brachte im Palais im Großen Garten (11.5.) drei „Romanzen“ von Robert Schumann zu Gehör, moderiert von „Cello-Kollege“ Jan Vogler, der u. a. auch aus den „Musikalischen Haus- und Lebensregeln“ des Komponisten las. „Ohne Frack auf Tour“, eine Initiative der Sächsischen Staatskapelle, um Menschen auf volkstümliche Weise klassische Musik näher zu bringen, erfreuten vier Cellisten des Orchesters ganz unkonventionell die Besucher einer Gaststätte in der Dresdner Neustadt (14.5.).

Nicht weit davon entfernt, in der Martin-Luther-Kirche (14.5.), eröffneten andere Mitglieder der Sächsischen Staatskapelle, die renommierten Dresdner Kapellsolisten, ein heiter-festliches Konzert mit den beiden Cellokonzerten von Joseph Haydn und unterhaltsamer Musik von W. A. Mozart. Unter der Leitung ihres Chefs, Helmut Branny, „schwelgten“ sie beim besonders festlich, außergewöhnlich klangschön und „jubelnd“, in zügigem Tempo, aber nicht zu schnell, musizierten, „Divertimento D‑Dur“ (KV 136) in Mozarts Klangwelt.

Die beiden Cellokonzerte wurden von JOHANNES MOSER & DANIEL MÜLLER-SCHOTT in sehr unterschiedlicher Weise präsentiert. Der deutsch-kanadische Cellist Johannes Moser hatte bei seiner souveränen, forschen und kraftvoll-„kernigen“ Wiedergabe samt farbenreicher Kadenz des erst 1961 wiederentdeckten „Konzertes für Violoncello und Orchester Nr. 1 C‑Dur (Hob  VIIb:1), das obwohl in der Zeit der Klassik entstanden, noch spätbarocke Züge trägt, nebenbei noch Sinn und Kondition für ein wenig schauspielerische „Show-Effekte“, sehr zur Freude des Publikums. Mit verführerischem Lächeln und gespielter „Korrespondenz“ „flirtete“ er mit der Ersten Konzertmeisterin zwecks „Abstimmung“, die ohnehin sehr gut funktionierte.

Er hat sich offenbar auf ein weltweites Publikum eingestellt und unterstrich sein gutes, scheinbar müheloses Spiel auf einem Cello von Andrea Guarneri (1694) noch mit Mimik und Gesten, was nicht selten auch einen beinahe „mutwilligen“, fast „mechanischen“ Eindruck machte. Das Publikum geriet förmlich in Euphorie und wurde als Zugabe noch mit der, mit etwas herbem Ton gespielten, „Sarabande“ aus der „Suite Nr. 1 für Violoncello solo“ von J. S. Bach erfreut.

 Daniel Müller-Schott hatte Äußerlichkeiten nicht nötig, sein verinnerlichtes Spiel, mit dem er schlicht und „schnörkellos“, sehr konzentriert das, aus der Zeit der reifen „Wiener Klassik“ stammende, kantablere und lyrischere „Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 2 D‑Dur (Hob  VIIb:2) auf dem Cello „Ex Shapiro“ von Matteo Coffriller (Venedig, 1727) selbst in den schnellen Sätzen mit Feinheit und geschmeidiger, kantabler Melodik zu Gehör brachte, überzeugte erst recht. Ganz vertieft in sein Cellospiel, machte er die Struktur des Konzertes deutlich, verfolgte die langen melodischen Linien und meisterte den, mit Schwierigkeiten wie schnellen Dreiklangbrechungen in hoher Lage, Doppelgriffen und großen Sprüngen gespickten, Schlusssatz mit Bravour. Sein natürlicher, wunderbar singender Ton und feinste Nuancierung, ließen den, mit inniger Hingabe an das Werk gespielten Cello-Solo-Part und die temperamentvoll, enthusiastisch und klangvoll gespielte Kadenz zu einem besonderen musikalischen Höhepunkt werden. Als Zugabe wählte er den elegischen „Gesang der Vögel“ von Pablo Casals und beeindruckte mit großer Kantilene und herb-süßem Klang.

Den Abschluss bildete Mozarts „Sinfonie Nr. 29 A‑Dur“ (KV 201) in einer sehr eindrucksvollen Wiedergabe der sehr bekannten Komposition. Die euphorischen Wogen, die das Konzert durchzogen, glätteten sich hier, und heiter und entspannt, mit unbeschwerter Musizierfreude klang das ausgesprochen festliche Konzert aus. „Keine Wolk‘ am Himmelsbogen trübte hier den heit‘ren Sinn“. Das begeisterte Publikum entließ auch das Orchester erst nach einer Zugabe aus Mozarts Oper „Idomeneo“.

 Im Kulturpalast (15.5.) wurde einem der ganz Großen des Cellospiels, MISCHA MAISKY ZUM 70. GEBURTSTAG gratuliert, wobei er sich selbst das „Geburtstagsständchen“ brachte. Er „feierte in Familie“ mit seinen beiden Kindern Sascha Maisky, Violine und Lily Maisky am Klavier, und machte das größte Geschenk dem Publikum. In sehr schönem, ausgeglichenem Zusammenspiel, besonders feiner Tongebung und Werkverständnis brachten die drei „Trio èlégiaque Nr. 1 g‑Moll“, „Melodie“ und „Elégie“ aus „Morceaux de fantasie“ (op. 3 Nr. 3 und Nr. 1) sowie die „Vocalise“ von Sergej Rachmaninow zu Gehör. Den besonders guten, immer „singenden“ Ton gab der Meister auf seinem dereinst verkleinerten alten Meistercello an, dem er immer treu geblieben ist, und lotete die gedanklichen Tiefen aus.

Bei der „Sonate für Violoncello und Klavier d‑Moll (op. 40) von Dmitri Schostakowitsch hob Mischa Maisky, von seiner feinfühlig, im Gleichklang am Klavier mitgestaltenden Tochter begleitet, die klangschönen Seiten hervor, die bei Schostakowitsch auch vorhanden sind. Wieder „vereint in Familie“ widmeten sich die drei dem ebenfalls sehr melodiösen „Trio Nr. 2 e‑Moll“ (op. 67), flott temperamentvoll, virtuos, mit schöner Kantilene, feinstem Pianissimo und vielen Finessen, u. a. frappierenden Glissandi. So kann Schostakowitsch auch klingen! Es war eine meisterhafte Wiedergabe, durch die nicht nur dieses Trio noch intensiver erschlossen, sondern auch Schostakowitschs Musik in ihrer Vielseitigkeit beleuchtet wurde.

Mischa Maisky sorgte auch äußerlich für „Farbe, erst in silbergrau, dann in leuchtendem Blau munterte er das äußere Erscheinungsbild auf, ein Zugeständnis an die Entwicklung unserer Zeit, in der möglicherweise auch das strenge Gleichmaß des optischen Eindrucks die Jugend zurückhält? Bei dem Vollblutmusiker Maisky, bei dessen Spiel man ohnehin alles rings umher vergisst, ist das angesichts seiner großen Meisterschaft unwichtig. Das „Familienkonzert“ hätte noch lange so weitergehen können, aber es endete mit einer ebenso klangschönen wie harmonischen Zugabe, dem langsamen Satz aus dem Klarinettentrio“ von L. v. Beethoven (Bearbeitung).

Zu einer Besonderheit lud ein Konzert in das Palais im Großen Garten (18.5.) ein, bei dem sechs namhafte Cellisten die sechs „BACH-SUITEN“ unter sich aufgeteilt hatten. In chronologischer Reihenfolge spielten Christian Poltéra in seiner soliden Art die „Nr. 1“ mit sicherer Technik, sachlich und rational, Christian-Pierre La Marca die „Nr. 2“ mit musikalischem Gespür, Harriet Krijgh mit viel Charme und Eleganz und ihrer starken, individuellen künstlerischen Persönlichkeit die „Nr. 3“, Alban Gerhardt die „Nr. 4“ ohne Äußerlichkeiten, sehr konzentriert, verinnerlicht, mit schönem Ton und Bachs Solo-Suiten unmittelbar entsprechender Diktion, kurz: allgemein besonders ansprechend, Alisa Weilerstein die „Nr. 5“ sehr gedehnt, veräußerlicht, romantisierend und nicht ohne „Show“, sowie Pieter Wispelwey die „Nr. 6“ zwar auf einem Barockcello, das entsprechend nachgestimmt werden musste, aber in sehr individueller, eher klassisch-romantischer Art.

Waren bei Bach mehrere Generationen mit ihren verschiedenen Stilrichtungen vertreten, so gestalteten drei (angeblich) „JUNGE WILDE“, Preisträger renommierter Wettbewerbe, einen Abend mit drei verschiedenen Suiten und Sonaten des 19./20. Jahrhunderts (19.5. Palais im Großen Garten). Jung waren sie, aber alle schon gestandene Künstler. Ihre „Wildheit“ im Sinne von „ungezügelt“ hielt sich in Grenzen und spiegelte sich eher in Temperament und Leidenschaft für die aufgeführten Werke wieder, denen sie sich mit Vehemenz, aber sehr diszipliniert widmeten. Den Ruf eines „Jungen Wilden“ hatte zwar Igor Strawinsky wegen seinem „Le sacre du printemps“, aber bei seiner fünfsätzigen „Suite italienne“, die von Marie-Elisabeth Hecker meisterhaft und sehr kultiviert interpretiert wurde, blieb er sanft.

Narek Hakhnazaryan, wartete bei der „Sonate für Violoncello und Klavier g‑Moll (op. 19) von Sergej Rachmaninow mit virtuoser Technik und gelegentlich reichlich Temperament auf, obwohl hier, insbesondere im 1. Satz, eher schwelgerisches Melos und warmer, kantabler Celloton gefragt sind. Den 2. Satz (Allegro scherzando) spielte er mit großer Kantilene und leidenschaftlicher Steigerung. Wenn das Klavier das Sagen und das Cello zu schweigen hatte, legte er zur „inneren Sammlung“ sichtbar „die Hände in den Schoß“. Nach dem Wechselspiel von Licht und Schatten im langsamen 3. Satz konnte er im „handfesten“ Finale (4. Satz) sein stürmisches Temperament mit Leidenschaft ausleben.

Mit leicht singendem, warmem, dunkel gefärbtem Ton und eher lyrisch spielte Pablo Ferrández die „Sonate für Violoncello und Klavier Nr. 1 e‑Moll“ (op. 38) von Johannes Brahms mit geschlossenen Augen und (im Gegensatz zu den beiden andern Cellisten) ohne Noten. Er bot eine reife Meisterleistung und ließ diese Sonate in all ihren Facetten zur Geltung kommen.

 Am Flügel begleitete Michail Lifits. In einer breiten Palette an Ausdrucksmitteln von laut und hart bei Rachmaninow bis sensibel und feinsinnig bei Brahms passte er sich dem jeweiligen Cellisten und dessen Interpretationsweise perfekt an.

 Als Pendant zu den sechs Solo-Suiten von J. S. Bach mit sechs Cellisten, gab es fünf BEETHOVEN-SONATEN mit fünf verschiedenen Cellisten (19.5. Palais im Großen Garten). Nach den „Jungen Wilden“ kamen hier u. a. auch die musik- und lebenserfahrenen „Cello-Weisen“ zu „Wort“ bzw. Klang, die mit wunderbar klingendem, singendem Ton und Ausdrucksstärke, aber mit Benjamin Perénuyi, dem jungen, weniger einfühlsamen Begleiter am Klavier, auftraten: Lynn Harrell mit der „Sonate Nr. 1 F‑Dur“ (op. 5/1) und Miklós Perényi mit der “Sonate Nr. 5 D‑Dur” (op. 102/2). Hier war das Cello der menschlichen Stimme tatsächlich sehr nahe. Mehr auf Technik und Virtuosität orientiert, spielten Andreas Brantelid die “Nr. 2 g‑Moll” (op. 5/2) und Kian Soltani die “Nr. 3 A‑Dur” (op. 69), beide begleitet von Christian Ihle Hadland, sowie Alisa Weilerstein die “Nr. 4 C‑Dur” (op. 102/1) mit Aaron Pilsan am Klavier.

Doppelten Kunstgenuss versprach das „MEISTERKURSKONZERT“ in der Fürstengalerie des Residenzschlosses (20.5.). Auf der einen Seite großformatige Gemälde mit Sächsischen Kurfürsten und Königen, auf der anderen Marmorbüsten derselben und an der Stirnseite nacheinander 14 sehr junge „Spitzensolisten“, erfolgreiche Teilnehmer der unmittelbar in Dresden vorausgegangenen Meisterkurse von David Geringas, Natalia Gutman, Frans Helmerson, Ralph Kirschbaum und Ivan Monighetti, Rostropowitschs letztem Meisterschüler am Moskauer Konservatorium, von Jan Vogler in seiner lockeren Art vorgestellt. Auf dem Programm standen ausschließlich Kompositionen für Violoncello und Klavier, von Francœur (1698-1787), Beethoven, Schumann, Brahms, Dvorák, Tschaikowsky, Fauré, Debussy, Prokofjew, Schostakowitsch und Strawinsly, von denen meist nur ein Satz gespielt wurde (in Ausnahefällen auch mal zwei oder drei), wobei die mitunter sehr jungen Meister von morgen bereits sehr gute und reife Leistungen vorstellten.

Krönung und Abschluss war die „LANGE NACHT DES VIOLONCELLOS“ (21.5. Kulturpalast), bei der noch einmal „alles, was Rang und Namen hat“ auftrat. Beginnend mit dem romantischen „Hymnus für 12 Violoncelli“ (op. 57) von Julius Klengel ließen 14 gestandene Cellisten, die den „Cellomania“-Zylus mitgestaltet hatten, in sehr unterschiedlichen, gut gewählten Formationen mit der schönsten Solo- und Kammermusik und Celloensemble-Literatur in sehr abwechslungsreicher Folge noch einmal Revue passieren, „was Cello alles kann“, bis sie sich abschließend noch einmal alle zu gemeinsamem Spiel zusammenfanden und danach zu vorgerückter Stunde als Zugabe auch noch das „Air“ aus der „Orchestersuite Nr. 3“ von J. S. Bach einträchtig musizierten.

Vom sanften Celloklang wieder zurück ins „volle Musikleben“, zu einer (Welt‑)Uraufführung, die es künftig jedes Jahr geben soll. Die reichlich zweistündige „BUDDHA PASSION“ des chinesischen Komponisten Tan Dun, ein Auftragswerk der Dresdner Musikfestspiele, der Philharmonischen Orchester New York und Los Angeles und des Melbourne Symphony Orchestra, erfuhr in der Interpretation der Münchner Philharmoniker, der Chorakademie Lübeck, einem Solistenensemble aus Asien und speziellen chinesischen Instrumenten allgemein große Zustimmung. Bei der opulenten, sechsaktigen, konzertant aufgeführten Oper (23.5. Kulturpalast) stand der Komponist selbst am Pult und leitete sein Werk, in dem er Musikstile und –richtungen, Zeiten, Kulturen, Religionen und musikalische Traditionen verarbeitet und vereint hat.

Ein schon fest in der musikalischen Weltliteratur verankertes, großes sinfonisches Werk, die „Sinfonie Nr. 2“, die „Auferstehungssinfonie“ von Gustav Mahler, wurde vom BUDAPEST FESTIVAL ORCHESTRA, dem Tschechischen Philharmonischen Chor Brünn sowie Christiane Karg, Sopran und Elisabeth Kuhlmann, Mezzosopran unter der zwingenden Orchesterführung von Iván Fischer, dem Musikdirektor dieses Orchesters und Chefdirigent des Konzerthausorchesters Berlin aufgeführt (25.5. Kulturpalast). Bei Fischer war die musikalische Interpretation bereits an seinen Körperbewegungen abzulesen, so intensiv engagierte er sich für das Werk zwischen „Totenfeier“ und „Auferstehung“.

 Das Orchester folgte jeder seiner Bewegungen akribisch. Gestochen scharf, glasklar, mit entsprechender Wucht und einheitlichem, ungewohnt hartem, schrillem, sachlich modernem „Klang“, vor allem bei den sauberen Bläsern, die einen fast metallischen Orchesterklang bewirkten, noch unterstrichen durch ein wahres „Trommelfeuer“ des Schlagzeuges. Fischer führte das Orchester, in gewaltigem Crescendo und Decrescendo an- und abschwellend, zu infernalisch lauten, kraftvollen Höhepunkten, bei denen sogar der Fußboden zu vibrieren schien. Es gab furiose Szenen mit Schlagzeug, (vielen) Bläsern und sehr vielen Streichern in einem „Riesen“-Crescendo wie ein langsam anschwellendes Erdbeben oder ein Vulkanausbruch, aber im Kontrast zu den hart hereinbrechenden infernalischen Szenen auch behutsame, empfindsamere, sehr feine, durchsichtige Passagen und sehr feine Harfen- und gezupfte Streicherklänge wie z. B. bei der „Engelsvision“ im 4. Satz.

 Die beiden Solistinnen wurden bei ihrem „Einzug“ zum 4. Satz, überschrieben mit „Sehr feierlich aber schlicht. Nicht schleppen“ mit sehr harten Klängen empfangen, woraufhin Elisabeth Kuhlmann die Altpartie im Fragen und Ringen der Seele um Gott („Urlicht“) schlechthin ideal, mit feinstem Pianissimo „zelebrierte“ und auch fernerhin mit wunderbar geschmeidiger Stimme sehr einfühlsam, den Inhalt gestaltend, mit dem Orchester sang. Christiane Karg begann sitzend mit dem Chor zu „konferieren“ und „schraubte“ ihre Stimme langsam hoch, bis sie trotz räumlicher Entfernung ziemlich gut mit dem sehr sanft, eindrucksvoll und bewegend singenden Chor in der Einstudierung von Petr Fiala im Einklang war, wenn auch nicht immer einwandfrei zu verstehen.

 Es war eine sensationelle, spannungsgeladene Aufführung, die sowohl die Atmosphäre der Entstehungszeit und Mahlers psychische Verarbeitung einschneidender Ereignisse – wie die Totenfeier für Hans von Bülow – wiederspiegelte, aber auch die Empfindungen unserer Zeit. Da lag viel „in der Luft“ bzw. zwischen den Noten und Tönen.

 Ganz anders verhielt es sich dagegen in einem weiteren Konzert der Reihe ORIGINALKLANG“, die sich nicht nur auf Alte Musik im engeren Sinn (Renaissance, Barock) beschränkt, sondern auch neuere Musik (Romantik) einbezieht. Hier wandte sich, das 1991 gegründete, ORCHESTRE DES CHAMPS-ÉLYSÉES, die erste, auf historischen Instrumenten spielende französischen Formation von internationalem Renommee, in einem Konzert (27.5. Kulturpalast) zwei befreundeten, im Geist verwandten Komponisten zu, Robert Schumann und Johannes Brahms.

Mit aus heutiger Sicht relativ kleiner Orchesterbesetzung in „Original-Stärke“ und einem Flügel aus der Zeit von Robert und Clara Schumann bemühten sich der Pianist Alexander Lonquich und Philippe Herreweghe, der Gründer des Orchesters, um „authentische“ Wiedergabe von Schumanns „Konzertes für Klavier und Orchester a‑Moll“ (op. 54), das keine dreihundert Meter vom Aufführungsort, dem Kulturpalast (23.5.) entfernt, 1845 im Hotel de Saxe, uraufgeführt wurde. Das Ergebnis entsprach jedoch nicht unbedingt den Erwartungen. Es wirkte alles irgendwie „klanggebremst“. Lonquichs berühmte musikalische Sensibilität kam in den Weiten des relativ großen Konzertsaals nicht wirklich zur Wirkung. Es ist bekannt, dass Klaviere mit dem Alter nicht besser werden, der Stimmstock lässt nach, vor allem, wenn sie längere Zeit nicht oder nur selten genutzt wurden, und so konnte man nur die versierte Technik des Pianisten bewundern, der mit ziemlich moderner Technik und Diktion spielte. Dennoch war das Publikum, das sehr unromantisch in den letzten Ton hineinklatschte, angetan und entließ ihn erst nach zwei kleinen, feinen Zugaben: „Des Abends“ und „Aufschwung“ aus den „Fantasiestücken“ (op. 12), ebenfalls von Robert Schumann.

 Bei der Begleitung des Klavierkonzertes wie auch der nachfolgend aufgeführten „Sinfonie Nr. 3 F‑Dur“ (op. 9) von Johannes Brahms unter Herreweghes äußerlich zurückhaltender, interpretatorisch jedoch eher sehr gegenwärtigen Orientierung auf Vehemenz und Temperament der Jetztzeit wirkte der Klang der „Originalinstrumente“ eher „dumpf“, so dass die Feinheiten von Brahms‘ Musik kaum zur Wirkung kamen. Alte Instrumente oder deren Nachbauten, die ohnehin kaum den Klang wirklich guter alter Instrumente erreichen können (es gibt nur sehr wenige Ausnahmen) müssen nicht unbedingt ein Kriterium für Qualität sein und können gute Interpretationen eher „bremsen“. Man vermisste die Wärme und eventuell Beschaulichkeit, die ein Rückbesinnen auf die Aufführungspraxis dieser Zeit erstrebenswert erscheinen ließ, was offenbar auf die Instrumente zurückzuführen war. Die Komponisten waren seit Bach und Händel mit ihren Vorstellungen und Ideen ohnehin ihrer Zeit oft weit voraus. Was wissen wir denn von ihren Klangvorstellungen? Schumann und Brahms erreichen mit ihrer Musik immer eine gewisse Wirkung, auch in einer vorwiegend soliden Widergabe, ohne die extrem überbordende, spannungsgeladene Interpretation, wie sie jetzt allgemein üblich ist.

Unmittelbar vor dem Konzert wurden vom „QUARTETT DER KRITIKER“ unter Eleonore Büning die Interpretationsmöglichkeiten dieser Sinfonie in kontroversem Für und Wider anhand von Tondokumenten bekannter Orchester mit modernen Instrumenten unter berühmten Dirigenten diskutiert. Da gab es sehr eindrucksvolle Beispiele an Klangwirkungen, Klarheit und allgemeiner Verständlichkeit. Eine historisch orientierte Aufführung des Orchestre des Champs-Élysées erschien da doch mehr als interessantes Experiment, das eventuell sogar erklärt, warum manche Sinfonie ihren eigentlichen Siegeszug erst mit der Entwicklung modernerer Instrumente und mit individuellen Interpretationen bedeutender Dirigenten fernab von historischer Orientierung antrat.

Gerade erst mit dem diesjährigen Händel-Preis bei den Händelfestpielen in Händels Geburtsstadt Halle geehrt (26.5), den sie nicht ohne Rührung entgegennahm, erhielt Joyce DiDonato in Dresden den, alljährlich die Verdienste um die Vermittlung klassischer Musik und Nachwuchsförderung würdigenden, „Glashütte Original MusikFestspielPreis“ (28.5.), der bereits zum 15. Mal von der Uhrenmanufaktur Glashütte Original gestiftet und gemeinsam mit den Dresdner Musikfestspielen verliehen wurde.

Am Abend war sie mit ihrer „Show“ „JOYCE DI DONATO & IL POMO D’ORO”, die auch in Halle lief (26.5.) im Kulturpalast (28.5) präsent und sang hochdramatische, leidenschaftliche und beseligende Belcanto-Arien von G. F. Händel, Leonardo Leo, Emilio de’Cavalieri, Henry Purcell, Carlo Gesualdo und Arvo Pärt, eingeordnet in ihr Motto „War & peace“ („Krieg & Frieden“), das auch Thema ihrer Gesprächsrunde in der Frauenkirche am Abend zuvor (27.5.) war. Sie betrachtet es als Privileg, Händel singen zu können. „Händel ist alles“ für sie, denn „keiner erreicht diese wirkliche psychische Tiefe wie er. Es ist als ob die Zeit stehen bleibt“. Es macht sie „bescheiden und demütig“, wenn sie „ein bisschen eindringen darf in diese Welt“.

Da das Konzertleben, wie sie meint, in seiner äußeren Form mit immer gleichem Blick auf die Musiker ziemlich erstarrt ist, ließ sie eine große, etwa zweistündige Bühnenshow von Drehbuchautor und Filmemacher Ralf Pleger mit großer Ausstattung arrangieren, zwei großen Roben, einem „Kriegskleid“ in dunklem oliv und einem lichten „Friedenskleid“ in einer Mischung aus barocker Vision und moderner Kostümgestaltung (Vivienne Westwood), mit Lichteffekten (Henning Blum), Video-Einblendungen (Yousef Iskandar), die hier durch die Ränge ziemlich problematisch wirkten), Film und Tanz ( Manuel Palazzo), was sehr unterschiedlich aufgenommen wurde.

Über ihre sängerischen Leistungen, begleitet von dem italienischen Barockorchester Il Pomo d’Oro (Leitung, Cembalo und Zink: Maxim Emelyanychev) gab es keine kontroversen Meinungen, denn gesungen hat die Ausnahme-Mezzosopranistin aus den USA grandios. Da gab es nur uneingeschränktes Lob. Da wurden Leidenschaften und Stimmungen langsam auf- und wieder abgebaut und halsbrecherische Koloraturen wohlklingend und sicher gemeistert. Als Barock-Sängerin fühlt sie sich aber dennoch nicht. Sie singt alles mit der gleichen, zuverlässigen Technik und doch wirkt alles, was sie singt, spezifisch auf das Werk und dessen Entstehungszeit zugeschnitten. So war es auch kein Problem für sie, das Publikum mit „Der Morgen“ von Richard Strauss als Zugabe zu entlassen, wenn auch der Klang des auf Darmsaiten spielenden Barockensembles nicht unbedingt dazu passen wollte.

In War & Peace – Harmony Through Music”, „Kunst verändert Leben“, “Das Gegenteil von Krieg ist nicht Frieden, sondern Kreativität“ sind Worte ihres Credos. Sie sieht die Kunst auch als Botschafterin für humanistische Werte und siedelte deshalb ihr Programm im Spannungsfeld zwischen Krieg und Frieden, Freud und Leid an mit der Hoffnung, dass ein harmonisches Miteinander doch möglich ist.

Ingrid Gerk

 

 

 

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