Offenbach in Dresden – „Die Banditen“ (Staatsoperette, Premiere am 28.2.2020) und „Die Großherzogin von Gerolstein“ (Semperoper am 29.2.2020)
Nein, das hat Jacques Offenbach nicht verdient. Und nochmals Nein, das hat auch das Publikum (und nicht nur das der Premiere am Freitag, 28.Februar) der Staatsoperette Dresden nicht verdient. Diese szenische Verunstaltung von Jacques Offenbachs 1869 in Paris uraufgeführten Opéra-bouffe „Die Banditen“ (im Original „Les Brigands“). Wäre da nicht Offenbachs unsterbliche Musik, man würde in dieser Produktion das Werk nicht mehr erkennen. Dass es auch anders geht, bewies die Semperoper mit der Premiere der „Großherzogin von Gerolstein“ am Tag danach.
Foto: Staatsoperette Dresden
Zugegeben, jede Übersetzung der Texte von Henri Meilhac und Ludovic Halévy in eine deutsche Fassung ist problematisch, weil der Wortwitz und der Zeitbezug verloren geht. Aber zwischen einer zumindest einigermaßen werktreuen Übersetzung und einer eher mehr als weniger freien Nachdichtung liegen Welten. Und um konkret zu werden – Valentin Schwarz hat für die „Banditen“ eine Textfassung erstellt, die sich angeblich auf Ernst Dohm (1870) und Karl Kraus (1928) bezieht, aber zumindest mit dem letztgenannten wenige Gemeinsamkeiten hat (weniger freundlich ausgedrückt: wäre die Rotation der beiden im Grab an einen Dynamo angeschlossen, die Stromversorgung von Dresden wäre für einige Tage gesichert), während Josef E. Köpplinger die deutsche Fassung der „Großherzogin“ von Ernst Pöttgen in seiner Einrichtung für die Semperoper mit Fingerspitzengefühl aktualisiert hat. Wobei es in diesem Zusammenhang in einer Matinee zu Offenbach am Samstag Vormittag von einem der Experten der Diskussionsrunde eine interessante Aussage gab – die Übersetzungen aus der Zeit von Offenbach in Wien kommen dem Original wesentlich näher als jede heutige und auch die berühmten Fassungen von Karl Kraus sind eher sehr freie Übertragungen.
Kommen wir also zur musikalischen Seite der beiden Premieren, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Und auch hier wieder ein Verweis auf die Gesprächsrunde am Samstag Vormittag, in der Jonathan Darlington, der Dirigent der „Großherzogin“ darlegte, man müsse Offenbach so dirigieren, als läge eine Partitur von Mozart oder Haydn am Pult. Und Frank Harders-Wuthenow vom Verlag Boosey & Hawkes ergänzte, dass bis heute nicht eindeutig geklärt ist, ob die in deutlicher Divergenz zum Libretto stehende Musik auf ein Defizit in Französisch des Komponisten rückführbar oder gewollte Karikatur des Textes ist.
Seit der Spielzeit 2013/2014 ist Andreas Schüller Chefdirigent der Staatsoperette Dresden, hat seinen Vertrag aber (dem Vernehmen nach „aus künstlerischen Erwägungen“) mit Ende der laufenden Saison gekündigt. Sein Orchester ist, ich bin versucht zu sagen natürlich, kein Spitzenorchester, aber was Schüller aus den Musikern herauszuholen vermag, wie er nahezu sektperlend musizieren lässt, nötigt Respekt ab. Und es spricht Bände, dass das Orchester und der Dirigent den mit weitem Abstand deutlichsten Beifall erhielten. Nicht nachvollziehbar ist für den Gast aus Wien allerdings, warum sich der Dirigent manch einem sinnentleerten Regieeinfall (so wurde beispielsweise zwischendurch gerappt und nach dem Finale erklang ein Chor aus der „Matthäuspassion“) nicht nachhaltig widersetzen konnte. Da war der Regisseur der Intendantin zweifellos näher als der Chefdirigent.
Mit der Staatskapelle Dresden sitzt im Orchestergraben der Semperoper eines der europäischen Spitzenorchester, das es versteht, neben Strauss und Wagner und dem klassischen Opernrepertoire auch einen hier kaum gespielten Komponisten beinahe ideal zum klingen zu bringen. Das ist Wille und Können einerseits, aber gleichzeitig auch Verdienst des Dirigenten Jonathan Darlington.
Auch stimmlich blieb in der Staatsoperette mehr als ein Wunsch unerfüllt. Einzig Laila Salome Fischer in der Hosenrolle des Fragoletto entsprach mit ihrem gut geführten wohlklingenden Mezzo auch gehobenen Ansprüchen; Annika Gerhards (Fiorella) verfügt über eine nur kleine Stimme, vermag sie durchaus hörenswert einzusetzen. Hauke Möller (Falsacappa) singt anständig, Andreas Sauerzapf muss als Pietro Pomponazzi im schlimmsten entfernt an Wienerisch erinnernden Slang parlieren; für den Finanzminister beim Herzog von Mantua konnte mit Tom Pauls immerhin eine lokale Größe aus der Kabarettszene gewonnen werden, von dem man sich allerdings auch zumindest ein Mehr an Persönlichkeit erhofft hätte. Die übrigen Mitglieder des Ensembles machen das beste aus dem geforderten Unfug. Ein Pauschallob für den von Thomas Runge einstudierten Chor.
Die Grossherzogin von Gerolstein: Anne Schwanewilms. Foto: Ludwig Olah
Die Semperoper kann für die „Großherzogin von Gerolstein“ dem Premierenpublikum ein teils durchaus prominent besetztes und mit Gästen verstärktes Ensemble bieten. Anne Schwanewilms kann auf eine lange Karriere mit Schwerpunkt Wagner und Strauss zurück blicken, hat sich in den letzten Jahren immer wieder auch ausgefallenen Werken gewidmet und ist hier und jetzt in der Titelpartie zu hören. Obwohl nicht angesagt, fürchte ich, dass sie am gestrigen Premierenabend indisponiert war, anders kann ich mir die vorsichtige Stimmführung nicht erklären. Maximilian Mayer, Gast aus dem Gärtnerplatztheater, singt und spielt den Soldaten Fritz, der zunächst in Windeseile geadelt und zum General befördert und nach gewonnenem Krieg und Verschmähung der Großherzogin ebenso schnell wieder degradiert wird, bestmöglich; seine große Liebe Wanda wird bei Katerina von Bennigsen in Stimme und Darstellung ideal vereint. Martin Winkler poltert stimmgewaltig als General Bumm, Daniel Prohaska ist ein ebenso liebens- wie hörenswerter Prinz Paul, Sigrid Hauser ist eine Luxusbesetzung für die Erusine von Nepumukka, Jürgen Müller und Martin-Jan Nijhof komplettieren die wesentlichen Personen der Handlung als Baron Puck und Baron Grog. Und auch an diesem Abend gilt ein pauschales Lob den Damen und Herren des Chores (Einstudierung Jan Hoffmann).
Zu guter Letzt (der was die Staatsoperette betrifft auch zu schlechter Letzt) muss über die Inszenierungen geschrieben werden.
Die erst vor wenigen Monaten in die Funktion der Intendantin der Staatsoperette Dresden berufene Kathrin Kondaurow hat den jungen und kaum operettenerfahrenen Valentin Schwarz mit der Regie der „Banditen“ beauftragt. Wenn der in Wien ausgebildete Regisseur das Publikum mit seiner Arbeit provozieren wollte, so ist ihm das gelungen. Ernst nehmen kann man das, was er im Team mit Bühnenbildner Andrea Cozzi, dem für die Kostüme verantwortlichen Otto Krause und dem Choreographen Radek Stopka auf die Bühne gestellt hat, nämlich nicht. Längst abgedroschene und an Seichtheit kaum zu unterbietende Witzchen wechseln mit dümmlichen Sexszenen, Pistolengeknalle wird von wenig sinnvollem Herumgehüpfe abgelöst. Auch die Kostüme passen eher in den Wilden Westen und einen Karl May-Film als in ein Räuberlager. Dresdens Polizei müsste im Hinblick auf die Verballhornung ihrer uniformierten Mitglieder eigentlich unverzüglich mit einer Unterlassungsklage kontern (und nein, das wäre kein Ausdruck von Humorlosigkeit sondern gerechtfertigte Gegenwehr). Der Einsatz der Drehbühne ist mehr Mittel zum Zweck als dramaturgisch einleuchtend und ein an ein Cowboylager erinnerndes Bühnenbild samt entsprechender Kostüme ist von Offenbach so weit entfernt wie die Textfassung des Regisseurs vom originalen Libretto. Dass Hauke Möller als besonderer Gag (Witz komm heraus, Du bist umzingelt) die Stimme wegbleiben muss und er also vom Band eingespielt wird, ist so wenig lustig wie die gespielte Sperre der Bühne durch angebliche Inspektionsbeamte und das weitere Spiel vor dem Orchester. Irgendwann wird auch, wie passend, Barockmusik vom Band eingespielt, am Ende des Abends zitiert man die sieben letzten Worte am Kreuz und der bedauernswerte Chor muss Bach singen. Ach ja, der Regisseur beweist auch seine bildungsbürgerlichen Weisheiten, indem er Brecht zitieren lässt. Der kann sich gegen diese Vereinnahmung ja nicht mehr wehren – und Halévy und Meilhac noch weniger. Der Unmut über das szenisch Gebotene wuchs im Laufe des Abends zunehmend und entlud sich in einem Sturm an Ablehnung gegen den Regisseur und seine Mitstreiter bei der Verbeugung. Ihm zumindest dürfte das gefallen haben. Zum Desaster des Abends passt, dass es für einige Rollen Doppelbesetzungen gibt, dem Programmheft aber kein Zettel mit der Abendbesetzung beigefügt ist.
Tags darauf, gestern am Abend, bot sich in der Semperoper das genau gegenteilige Bild. Auch Josef E. Köpplinger hat den Text bearbeitet und in Teilen in die Gegenwart transferiert. Aber Köpplinger ist intelligent genug um zu wissen, was dabei möglich und sinnvoll ist. Und auch in seiner Inszenierung geht er mit der „Großherzogin von Gerolstein“ offenbachgerecht um. Über seine Witze kann man wirklich lachen, die zeitbezogenen Liedstrophen sind von schenkelklopfendem Humor weit entfernt, die Zitate an die neu eröffnete Gemälde-Galerie (Bühnenbild Johannes Leiacker) passen in die Räume der Großherzogin so wie auch die Kostüme von Alfred Mayerhofer den schmalen Grat zwischen Realität und Satire nie verlassen. Und selbst das Ballett der Soldaten (Choreographie Adam Cooper) wirkt nicht aufgesetzt. Köpplinger beweist einmal mehr, dass er nicht nur die Personen zu führen weiß, sondern auch mit passend eingesetzten szenischen Bonmots das Interesse des Publikums wach hält. Und selbst lange bekannte Gags wirken bei ihm nicht abgestanden sondern wie neu erfunden. Mit Recht konnte das Premierenpublikum einen gelungenen Abend bejubeln.
Michael Koling