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DRESDEN/ Comödie im Schloss bzw HILDESHEIM/Theater für Niedersachsen: THE ADDAMS-FAMILY

31.07.2020 | Operette/Musical

Die Addams Family in Hildesheim und Dresden

„Verrückt wird unterbewertet“, ist das Motto der Addams Family. Die morbide Sippschaft mit einer Vorliebe für Friedhöfe, Zugunglücke und andere Katastrophen trieb ihr Unwesen seit 1938 in den Cartoons, die Charles Addams für die Zeitschrift The New Yorker zeichnete. In den 1960er Jahren wurden sie in einer Fernsehserie von Schauspielern verkörpert, in den 1970ern und 1990ern gab es zwei Zeichentrickserien. In den 1990ern gab es nicht weniger als drei Spielfilme mit den Addams! Das Musical von Marshall Brickmann und Rick Elice (Buch) und Andrew Lippa (Songtexte und Musik) hatte 2009 in Chicago Première und lief 2010/11 am Broadway; 2014 fand die deutsche Erstaufführung statt.

In der letzten Zeit haben sich zwei kleinere deutsche Bühnen der monströsen Familie angenommen: Am Theater für Niedersachsen in Hildesheim kam das Musical im November 2018 heraus (Regie: April Hailer, musikalische Leitung: Andreas Unsicker), an der Comödie im Schloss in Dresden im Juli 2020 (Regie: Kerstin Poleske, musikalische Leitung: Andreas Goldmann; 40 Aufführungen bis Ende August). Beide Produktionen sind vergnüglich anzuschauen und anzuhören: Die fetzigen Songs (wie die Introduktion des ganzen Ensembles „Bist Du ein Addams“), die lyrischen Momente und die vielen Tanzeinlagen werden ansprechend dargeboten. Während Hildesheim sich weitgehend an die Fassung der Autoren hält, wurde in Dresden stärker ins Stück eingegriffen: Die Addams wurden nach Dresden versetzt („Rom, Mailand kann jeder – Übigau [der Stadttteil, in dem das Elbschloß steht] ist für die ganz Harten!“). Die Geister der Ahnen (mit großen Pappmasken) sind hier Figuren der sächsischen Geschichte, u.a. August der Starke und Karl May. – Zwei Figuren sind gestrichen: Vater Beineke weigert sich, zum Familiendinner zu kommen, weil ihm Vater Gomez Addams das Grundstück weggeschnappt hat, auf dem er ein „Zentrum für erneuerbare Energie“ bauen wollte; die Großmutter sitzt im Keller „in Quarantäne“ und macht sich nur gelegentlich durch Kraftausdrücke bemerkbar.

In Hildesheim spielte man im Theater, das Bühnenbild ist eine verschiebbare Treppe, die schnelle Verwandlungen ermöglicht. Die Kulisse für die Freilichtaufführung in Übigau bildet die Fassade des barocken Elbschlosses, an der Seite ein Friedhof mit dem Familiengrab der Addams.

Die Darsteller benötigen nur wenige Requisiten, das Spiel ist körperbetont, meist mit hohem Tempo, die gefühlvollen Nummern sorgen für Ruhepunkte.


Comödie im Schloss Dresden: Ensemble (Copyright Robert Jentzsch).

In den Cartoons von Charles Addams war Raul Gomez ein wohlbeleibter Herr. Hildesheim orientiert sich an diesem Vorbild; Alexander Prosek und seine Morticia (Marysol Ximénez-Carrillo) verkörpern ihre Rollen eindrucksvoll.


Theater für Niedersachsen Hildesheim: Alexander Prosek (Gomez Addams), Gerald Michael (Mal Beineke)

In Dresden ist Gomez Addams (Bert Callenbach) schlank, Typ schmieriger Latin Lover; er brilliert in seinen Tanzeinlagen, besonders in dem Tango, der ihn am Ende mit Morticia (Carolin Masur) versöhnt. Morticia ist die interessanteste Figur im Stück: Sie und ihr Mann sind verliebt wie am ersten Tag, obwohl (oder weil) sie ihn dominiert. Wenn er ihr, zum ersten Mal, nicht die Wahrheit sagt, bricht für sie eine Welt zusammen, sie will sterben, weil sie nicht mehr mit ihm leben kann („Ja, der Tod tritt um die Ecke“). Wenn sie dann erkennen muß, daß sie geworden ist wie ihre Mutter, ist das ein Choc, der die Wiederannäherung des Paares ermöglicht. Carolin Masur zeichnet ein differenziertes Portrait dieser schwierigen Frau.


Comödie im Schloß Dresden: Carolin Masur (Morticia). (Copyright Robert Jentzsch)

Die Tochter Wednesday (sie heißt Wednesday, weil es in einem Kinderlied heißt: „Wednesday’s child is full of woe“, Das Kind vom Mittwoch ist voller Weh) ist eine recht energische Person, die ihren Vater und den Liebhaber Lucas gut im Griff hat. Sie ist böse, wie es sich für ein Addams-Kind gehört, und erlegt mit ihrer Armbrust Kaninchen im Streichelzoo, aber nachdem sie Lukas kennengelernt hat, will sie die Kaninchen plötzlich streicheln („Er zieht mich auf neue Wege“). Sandra Pangl in Hildesheim, in ihrem ziemlich unvorteilhaften Kostüm mit der strengen Zopffrisur, glaubt man das raffinierte Lueder nicht so recht. Die reizende Susanne Mucha in Dresden fasziniert durch den Kontrast zwischen ihrem unschuldigen Aussehen und den schrecklichen Dingen, die sie tut.


Theater für Niedersachsen Hildesheim: Sandra Pangl (Wendesday), Jens Krause (Onkel Fester)


Comödie im Schloss Dresden: Susanne Mucha (Wednesday). (Copyright Robert Jentzsch)

In Hildesheim ist Wednesdays Verlobter Lucas Beineke (Nicolo Soller) ein typisch amerikanischer Junge, blond und optimistisch. Benjamin Mahns-Mary in Dresden, mit Haarknoten und Rock, wirkt ein bißchen feminin, was zum Rollenbild nicht recht paßt.

Ein letzter Höhepunkt ist, wenn der Butler Lurch, der sich den ganzen Abend ruckartig bewegt und nur gurgelnde Laute ausgestoßen hat (Michael Günther in Hildesheim sieht ein bißchen wie Frankensteins Monster aus), mit sonorem Baß (Philipp Richter) zu singen beginnt „Taucht hinab ins Dunkel und lacht“ und alle einstimmen. In Hildesheim (wo das Musical bis Anfang Juni 2019 lief) wie auch in Dresden wurde / wird das Stück vom Publikum begeistert aufgenommen.

 

Albert Gier

 

Eigener Internet-Auftritt: www.literatur-theater-libretto.de

 

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