Dortmund 10. Mai 2021 – Goldsaal der Westfalen-Hallen
Béla Bartók – Herzog Blaubarts Burg konzertant mit Videos als Stream
Oldtimer – Autos statt alter Burggewölbe
Foto: Michael Baker
Nicht aus dem Konzerthaus, nicht aus dem Opernhaus, sondern aus dem „Goldsaal“ der Dortmunder Westfalenhallen wurde am Montag als Stream gesendet eine konzertante Aufführung von Béla Bartóks einziger Oper „Herzog Blaubarts Burg“ (A kékszakállú herceg vára) in einem Akt auf den Text von Béla Balász. Ausführende waren unter Leitung von GMD Gabriel Feltz Mitglieder der Dortmunder Philharmoniker sowie in den Gesangspartien Adriana Bastidas-Gamboa von der Oper Köln als Judith und Bálint Szabó von der Staatsoper München als Blaubart.
Der von Bartók und dem Librettisten vorangestellte gesprochene Prolog fiel der „reduzierten Fassung“ zum Opfer. Dafür deutete Regisseurin Andrea Hoever die Handlung als eine Art bösen Traum Judiths. Zum Beginn mit dem Bekenntnis Judiths, ihr früheres Leben Blaubart zu Liebe aufgegeben zu haben, fuhren beide verliebt in einem Oldtimer durch die Gegend, als Judith einschlief.
Nun begann die eigentliche konzertante Aufführung, während der der Oldtimer zwischen den Sängern stand, wohl weil die hinter Blaubart aufgestellte Tanksäule kein Benzin abgab. Während der Zwischenspiele waren Videos von Oldtimer-Autos als von Judith geöffnete Räume zu sehen – die Aufführung sollte zunächst in einem Automuseum stattfinden. Als Videos sah man etwa in der „Folterkammer“ in einem Auto Utensilien von sadistischem Sex-Spielzeug und hörte das Seufzen der Gequälten, in der „Schatzkammer“ einen Koffer voll Geld und Waffen, als Garten ein Cabrio, in dem Judith den Beifahrersitz einnahm, beim Blick auf die weiten Lande wurde ein neues Auto und ein Palast auf einem Tablet gezeigt, vor dem „Tränensee“ fand Judith bereits Fotos der drei früheren Frauen Blaubarts im Handschuhfach, von denen ja die Tränen geweint wurden. Diese betrachtete Blaubart dann beim Öffnen der siebten Tür und ihrer Schilderung bewundernd.Nach Blaubarts letzten viermal immer leiser eindrucksvoll gesprochenem „Ewig“ (éjjel) und dem ppp-Schluß fahren beide nicht etwa, wie es Libretto und Musik verlangen, ins ewige Dunkel, sondern wohl erlöst in eine bessere Zukunft in dem Oldtimer, mit dem sie gekommen waren und der die ganze Zeit zwischen ihnen stand.
Die Besetzung des Orchesters war von der von Bartók spätromantisch vorgeschriebenen Grösse (z.B. 16 erste Geigen) auf die Fassung von Eberhard Kloke reduziert mit ungefähr dreissig Musikerinnen und Musikern. Dabei gab Eberhard Kloke anläßlich der szenischen Uraufführung dieser Fassung im kleinen Theater Biel-Solothurn zu, bei seiner Bearbeitung handele es sich nicht nur um eine Reduzierung für die Aufführung in kleineren Häusern, (oder angepaßt für Pandemie-Vorschriften) sondern um eine „an der Substanz des Notentextes durchgeführte Interpretation“ (zitiert von Musikkritiker Peter Hagmann in seinem Blog zur klassischen Musik)
Bekanntlich kommt Judith aus Liebe zu ihm in die Burg Blaubarts und verlangt nach und nach Öffnung der Türen zu allen sieben (Seelen-) Räumen – Symbole für seine charakterlichen Züge. Dafür erfand Bartók wie eine Art Suite für jeden Raum einen dessen Inneres teils impressionistisch beschreibende Musik. Durch die Bearbeitung Klokes wird insbesondere der auch bei Bartok an R. Strauss angelehnte spätromantische „Zuckerguß“, vor allem der grossen Streicherbesetzung, einiger Szenen reduziert, den Eberhard Kloke betreffend „Rosenkavalier“ in einem Interview mit dem Musikkritiker Harald Suerland in den Westfälischen Nachrichten als übertrieben empfand. Für manche Szenen ist das schade, etwa in der hymnischen C-Dur- ff-Szene beim Anblick von Blaubarts „weiten Landen“, wodurch dann der Kontrast zu Judiths ganz ohne Orchester gesungener Bestätigung um so eindrucksvoller wird oder etwa die Kantilene der Violinen beim „langen Kuß“ oder der Übergang vom ff zum ppp am Schluß, wobei die von Bartók geforderte Orgel nicht gestrichen war..
Auf der anderen Seite wurde die teilweise an die ungarische Volksmusik angelehnte Melodik und teils schroffe auch auf Pentatonik basierende Harmonik deutlicher. Auch wurden die instrumentalen Soli vor allem dank der großartigen Solistinnen und Solisten der Dortmunder Philharmoniker sehr gut hörbar. Erwähnt seien etwa die schnellen Tonleitern herauf und herunter gespielt von Xylophon und Holzbläsern in der „Folterkammer“, die Trompeten in der „Waffenkammer“, Horn, Oboe und Klarinette im „Garten“, Harfe, Cello Klarinette und Streichersolisten beim „Tränensee“, englisch-Horn und Klarinette/ Baßklarinette bei dem Betrachten der früheren Frauen Blaubarts oder Oboe und Flöten zum Schluß.
In dem erwähnten Interview in den Westfälischen Nachrichten bemerkte Eberhard Kloke zudem, schreiende Sänger über einem Riesenorchester wirkten heute wie aus der Zeit gefallen. Das reduzierte Orchester nutzte hier besonders der Sängerin der Judith Adriana Bastidas-Gamboa, indem sie nie zu forcieren brauchte und ausdrucksvoll die jeweiligen Gegensätze – erst Bewunderung, dann Entsetzen über das Innere von Blaubarts (Seelen)-räumen – im ariosen Sprechgesang stimmlich darstellte, etwa auch ganz zurückgenommen beim Betrachten des „Tränensees“.
Bálint Szabó als Blaubart verfügte über eine sonore Baßstimme, wäre auch mühelos bei einem grösseren Orchester zu hören gewesen und konnte sowohl befehlend scharf als auch fast liebevoll lyrisch bis hin zum p singen,
Gabriel Feltz leitete Solisten und Orchester überlegen mit exakter Zeichengebung, was bei dem Corona-bedingten notwendigen Abstand zwischen den einzelnen Streichern bzw. der Plastikabschirmungen zwischen den Bläsern besonders wichtig war. Die Anfangsmotive beginnend bei Judiths Berührung der nassen, weinenden Wände, die die einzelnen Szenen verbinden, waren wiederkehrend zu hören. Kurz vor Schluß gab es trotz des kleinen Orchesters eine gewaltige dynamische Steigerung, wobei das kurze Liebesduett der beiden zu einem Höhepunkt des Abends geriet.
Der Stream ist noch bis heute bis 23.59 über you-tube zu sehen.
Foto Michael Baker
Sigi Brockmann 11. Mai 2021
CD-Empfehlung. E. Obraszowa, J. Nesterenko, Orchester der ungarischen Staatsoper
ML J. Ferencsik, erschienen bei Capriccio, mit Bühnenbild der Uraufführung auf dem Cover