Dortmund Opernhaus Händel „Rinaldo“ – Liebe und Zauber im Krieg. Premiere am 9. Januar 2016
Foto: Thomas M. Jauk Stage Picture
Beliebt bei vielen Opernkomponisten waren Stoffe, die Torquato Tassos Epos von der Eroberung (Befreiung?) Jerusalems durch die Kreuzfahrer entnommen wurden. Im Mittelpunkt stand häufig die heidnische Zauberin Armida, aber auch der zeitweilig von ihr verzauberte christliche Held Rinaldo, sogar in einer Kantate von Johannes Brahms. Georg Friedrich Händel führte ein „dramma per musica“ mit ihm als Hauptperson im Zwiespalt zwischen Liebe und seiner Berufung als Kämpfer nach einem Szenario von Aaron Hill und und Libretto Giacomo Rossi 1711 als sein erstes Werk in London auf. Diese Oper in der Inszenierung von Jens-Daniel Herzog hatte nach Zürich und Bonn am letzten Samstag Premiere im Opernhaus Dortmund – die Reihenfolge sollte sicher keine Rangfolge sein!
Über die Inszenierung ist deshalb bereits mehrfach berichtet worden. Die Bühne von Chrisitan Schmidt zeigte an Stelle der Schauplätze wie Belagerungscamp vor Jerusalem, Gartenlandschaften, Zauberschloß mit Hilfe der Drehbühne Räume in einem Flughafen und eine Hotellobby im Stil der 50-Jahre – ein eher bescheidenes Ambiente für die üppige Melodik und Instrumentation Händels. Das galt auch für die wenig einfallsreichen Geschäftsanzüge der Herren, für die Muslime mit passenden Kopfbedeckungen, die Argante zum Zeichen seiner Niederlage gegen einen Bowler-Hut austauschte. Die Damen dagegen waren verführerisch farbig gekleidet – Kostüme auch von Christian Schmidt.
In diesem Rahmen stellte die Regie den Kampf statt zwischen Christen und Heiden ironisch verfremdet zwischen heutigen gegnerischen Wirtschaftsunternehmen dar, ließ aber der Darstellung echter Gefühle genügend Raum. Chef des einen war Goffredo (historisch Gottfried von Bouillon) mit seinem Bruder Eustazio, seiner Tochter Almirena, und Held Rinaldo, der Almirena liebt und als Belohnung für den Sieg über die „Heiden“ heiraten soll. Chef des anderen Argante, der sich der Hilfe der von ihm geliebten Zauberin Armida bediente, letztere trotz des anderen Titels die eigentliche Hauptperson der Oper. Begleitet wurden sie von einem Tanzensemble, das meistens die der Musik angepaßten teils auch in Zeitlupe ablaufenden Bewegungen der Hauptpersonen parallel vervielfachte.(Choreografie Ramses Sigl) Die von Händel passend für den damaligen Zeitgeschmack geforderten übernatürlichen Effekte wurden in diesen kühlen Rahmen etwas gewaltsam vor allem mit Einsatz von Bühnennebel eingebaut. Haupt-Clou war der schon mehrfach bewunderte Sturm, der zu Rinaldos Arie „Venti turbini“ (Kommt Stürme mir zu Hilfe) alle beiseite fegte.
Inzwischen in Dortmund weitgehend spezialisiert auf Hosenrollen sang Ileana Mateescu die Titelpartie mit brillanten Koloraturen. Ganz eindrucksvoll gelangen ihr auch die melancholischen Töne, etwa aus Liebeskummer, in deren Komposition Händel ja Meister war. Hervorgehoben seien als Beispiele das Largo „Cara sposa“ mit langen tiefen Klagetönen und die kurz darauf folgende Arie“Cor ingrato“ (Herz du weißt doch) mit dem die Trauer überwindenden wütenden schnellen Mittelteil. Eine Klasse für sich war wieder einmal Eleonore Marguerre als Zauberin Armida, die durch ihre erotische Ausstrahlung sogar Rinaldo verwirrt. Gleich ihre Auftrittsarie „Furie terribile“ (Grausige Furien) zeigte ihre musikdramatische Meisterschaft, gefolgt von der Arie „Molto voglio“ in der sie koloraturenreich ihre magischen Fähigkeiten darstellt. Ein Höhepunkt des Abends wurde so das Duett zwischen Rinaldo und Armida „Fermati“ in dem Armida ihre aufkeimende Liebe zu Rinaldo darstellt, die dieser zunächst empört zurückweist. Wenn Armida. um ihn zu verwirren, dann die Gestalt seiner geliebten Almirena“ annimmt, wurde das dadurch gelöst, daß Armida auf eine puppenartige Almirena entsprechende Gesten durch Zauberei übertrug.
Foto: Thomas M. Jauk Stage Picture
Diese von Rinaldo geliebte Almirena sang Tamara Weimerich mit jugendhaftem Sopran und perlenden Koloraturen. Sie hatte die dankbare Aufgabe den bekanntesten Hit der Oper , das Largo „Lascia ch´io pianga“ , in dem sie die Trennung von ihrem geliebten Rinaldo beweint, singen zu dürfen, ganz zärtlich und p, mit entsprechendem Zwischenapplaus. dDiese, wie fast alle Musiknummern der Oper, hat Händel aus einem anderen Stück (Il triomfo del Tempo) übernommen. Den Goffredo sang Kathrin Leidig mit perlenden Koloraturen, für den „Generalkapitän der christlichen Truppen“ hätte man sich eine gewichtigere Stimme gewünscht. Waren es vor sechs Jahren bei „Julius Cäsar in Ägypten“ noch mehrere, so sang jetzt als Jakob Huppmann als einziger Countertenor den Eustazio, der hier als Arzt passsend zu seinen aufmunternden, tongenau intonierten Arien mit Pillen und Spritzen den Kämpfern Tatkraft einflößte. Den Argante, Anführer arabischen Seite, stellte Gerardo Garciacano regiebedingt als Armida hörigen Trottel dar, der sich aber trotzdem in Almirena verliebte und durch Kleiderwechsel zwischen Armida und Almirena total verwirrt wurde. Dabei beherrschte er seine Koloraturen perfekt und konnte seiner Stimme verführerisches Timbre verleihen, etwa in seinem Liebesgeständnis an Armida mit „Vieni o cara“ oder an Almirena mit „Basta che sol“ Wieder ein Höhepunkt des Abends war sein Duett mit Armida, in dem beide sich Untreue vorwerfen, um sich dann zwecks gemeinsamen Kampfes zu versöhnen. Guten Eindruck hinterliessen auch Maria Hiefinger als Magier – hier eher eine Art Putzteufel – sowie Brigitte Schirlinger mit den beiden „Sirenen“ Keiko Matsumoto und Susann Kalauka verführerisch in Stimme, Bewegungen und Aussehen.
Motonori Kobayashi leitete umsichtig und überlegen das musikalische Geschehen und ließ die wie schon üblich im erhöhten Orchestergraben begleitenden Dortmunder Philharmoniker die kontrastreiche Instrumentierung Händels, besonders in lyrischen Sängerbegleitungen, aber auch und vor allem in den reinen Orchesterstücken erfreulich hörbar werden. Für den Barock-Sound sorgte dabei vor allem die Continuo-Gruppe mit Andreas Nachtsheim mit der Theorbe, Walewein Witten am Cembalo, der bei Begleitung von Armidas Arie über Kampfesmut (Vo´far guerra) mit einem Solo glänzen konnte. Solistisch glänzen konnten etwa auch Gudula Rosa mit der Vogelstimmen imitierenden Sopranflöte, die Oboe bei Begleitung von Almirenas Arie „Combatti da forte“ oder die Trompeten in Rinaldos martialischer Arie „Or la tromba“.
Natürlich wurde nicht gezeigt, daß wie bei Händel Armida und Argante sich zum stärkeren Christengott bekehrten, vielmehr gab es zum abschliessenden allgemeinen Lobpreis der Tugend Gerangel und Ringkampf zwischen alle sechs Mitwirkenden.
Für eine weitgehend unbekannte Oper war das Haus gut besucht, es gab verdienten Zwischenapplaus, besonders für die Damen der Hauptpartien, und Schlußapplaus, auch Bravo-Rufe für alle Sänger, den Dirigenten, das Orchester und den Regisseur. Vielleicht spielte auch etwas Lokalstolz bei denen mit, die es wußten oder im Programm gelesen hatten, daß Rinaldo der italienische Name für Reinoldus ist, den Schutzheiligen Dortmunds. Allerdings hat man deshalb die Oper nicht, auch nicht in den so modernisierten Übertiteln, in „Reinoldo“ umbenannt.
Sigi Brockmann 10, Januar 2016