Klangvokal Musikfestival Dortmund – Reinoldikirche – 15. Juni 2017
Frieder Bernius dirigiert „Bach pur“
Copyright: Bülent Kirschbaum
Am Fronleichnamsfest fand in der Reinoldikirche zu Dortmund im Rahmen des „Klangvokal Musikfestivals“ ein Konzert mit geistlichen Chorwerken Johann Sebastian Bachs unter dem Motto „Bach pur“ statt. Frieder Bernius dirigierte das von ihm gegründete Barockorchester Stuttgart, das mit nur etwas mehr als 20 Musikern nach historischer Aufführungspraxis auf der Zeit entsprechenden Instrumenten spielt. Natürlich wirkte auch mit der von ihm noch früher gegründete Kammerchor Stuttgart mit nur 22 Sängerinnen und Sängern. Diese waren halbkreisförmig direkt hinter dem Orchester aufgestellt, die Soprane links, die Altstimmen rechts, Tenöre und Bässe in der Mitte dazwischen , hätten sie etwas erhöht gestanden, wäre das für die hinteren Besucherreihen sicher vorteilhafter gewesen.
Wie mit demselben Programm am Tag zuvor in Braunschweig und am folgenden Tag in Fürth gab es eine Änderung der angekündigten Werkreihenfolge. Begonnen wurde mit der Messe in g-Moll BWV 235, eine der sogenannten „Lutherischen Messen“ . in denen Bach aus der katholischen Meßliturgie nur das „Kyrie“ und „Gloria“ vertont hat – eigentlich ganz passend zu Fronleichnam. In diesen Messen hat er bekanntlich Teile früherer Kantaten bearbeitet, in der aufgeführten Messe zum größten Teil aus der Kantate 187 „Es wartet alles auf dich“
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Bereits hier wurden im „Kyrie“ die hymnische Kraft und im fugierten Mittelteil „Christe eleison“ die polyphone Kunst des Chores deutlich hörbar. Im folgenden „Gloria“ wurde zu der schnellen 16-tel-Begleitung der Violinen der Gegensatz im Chor deutlich zwischen strahlendem Beginn mit „Gloria“ und im p folgendem „et in terra pax“ (Friede auf Erden). Im Bariton – Solo des „Gratias“ (Wir danken) zeigte Peter Harvey, daß er auch ganz tiefe Töne treffen konnte. Ganz grosse Bewunderung erregte der Countertenor David Allsopp in der Arie „Domine fili“ (Sohn Gottes) Zum tänzerischen 3/8 Takt des Orchesters hörte man glitzernde Koloraturen und lange gehaltene Töne zu einer gefühlvollen Darstellung des ganz verständlichen Textes, besonders eindringlich in der Bitte „miserere“ (Erbarme dich).Zur folgenden Tenorarie „Qui tollis“ (Du nimmst hinweg die Sünde) beeindruckte vor allem das Solo der Oboistin im einleitenden Adagio-Teil. Tenor Thomas Hobbs machte stimmlich den Unterschied dieses Teils zum wiederum etwas tänzerischen Allegro-Teil „Quoniam tu solus“ (Du allein bist der Heilige) stimmlich deutlich. Das abschliessende „Cum sanctu spiritu“ (Mit dem heiligen Geist) zeigte dann mit Fuge und grossem „Amen“ wieder die polyphone Kunst des Chors.
Wohl aus Anlaß des 500 jährigen Jubiläums folgte dann die Reformationskantate „Gott der Herr ist Sonn´ und Schild“ BWV 79 – passend für die Reinoldikirche, in der seit mindestens 450 Jahren evangelischer Gottesdienst gefeiert wird. Hier zeigte in der langen Instrumentaleinleitung das Barockorchester seine instrumentale Meisterschaft. Hervorzuheben sind die beiden Hornisten mit einem Thema, das leitmotivartig im späteren Choral „Nun danket alle Gott“ wiederkehrt. Geblasen wurden Naturhörner, die in der virtuosen Partie schwierig zu spielen waren, aber einen besonders weichen runden Klang erzeugten. Die unter den Instrumenten deutlich zu hörenden Pauken sollen angeblich an die Hammerschläge erinnern, mit denen Luther seine Thesen an der Schloßkirche zu Wittenberg befestigte. Der Chor konnte insbesondere im fugierten Teil der Einleitung wieder sein Können zu Gehör bringen. Zwischen den beiden Chorteilen bewunderte man wieder das Solo der Oboistin und die überlegene Stimmführung, Ausdruckskraft und Textverständlichkeit auch im deutschen Text des Countertenors David Allsopp. Im letzten Vers ließ der stimmlich den „Lästerhund billen“, vor dem uns Gott schützen soll. Vor dem abschliessenden Choral gab es das Duett „Gott ach Gott verlaß die Deinen nimmermehr“, wobei die Violinen mit ihrem markanten Motiv anders als gewohnt erst nach den Singstimmen einsetzen.. Es wurde beschwingt gesungen vom Solo-Bariton Peter Harvey und der Sopranistin Sarah Wegener. Letztere hörte der Verfasser zuletzt in der Hamburger Elbphilharmonie als „Magna Peccatrix“(Grosse Sünderin) in Mahler´s 8. Symphonie.
Nach der Pause schloß der Abend mit der bekanntesten und beliebtesten Kantate zu einem Reformationsfest „Ein feste Burg ist unser Gott“. Wie hier im Eingangschor jede einzelne Zeile des Chorals deutlich als kleine Fuge vorgetragen wurde und gleichzeitig der Choral dauernd als eine Stimme der Orchesterbegleitung ertönte (cantus firmus) , das war wohl betreffend Chorgesang der Höhepunkt des Abends. Im zweiten Satz leitete das markant gespielte „Tumultmotiv“ der Streicher ein Duett ein, das zur leicht verzierten Choralmelodie des Soprans dem Bariton Gelegenheit bot, seine Können im Koloratugesang hören zu lassen, Das konnte auch die Sopranistin in der folgenden Arie „Komm in mein Herzenshaus“ u.a. mit dem betonten häufigen „Weg“, – weg soll nämlich der „schnöde Sündengraus“. Im folgenden Rezitativ betreffend „Christi blutgefärbte Fahne“ betonte der Tenor durch eine kleine Koloratur das Wort „freudig“ bei „tritt freudig an den Krieg“, die vom den ganzen Abend maßgeblich mitgestaltenden Basso continuo wiederholt wurde. Ein solistischer Höhepunkt war das Duett von Countertenor und Tenor „Wie selig sind doch die“ mit einem großartigen Solo der ersten Violine.
Nach dem abschliessenden Choral „Das Wort sie sollen lassen stahn“ brach nach einer Pause der Besinnung grosser Beifall in der ausverkauften Reinoldi-Kirche aus mit Bravos und Fußgetrampel, ungewöhnlich aber verdient für dieses bewegende „Bach-pur“ Erlebnis.
Sigi Brockmann
Fotos Bülent Kirschbaum