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DORTMUND/ Opernhaus: NIXON IN CHINA von John Adams

01.03.2023 | Oper international

DORTMUND: NIXON IN CHINA von John Adams – Premiere
26.2.2023 (Werner Häußner)

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Morgan Moody (Henry Kissinger), Daegyun Jeong (Chou En-lai), Petr Sokolov (Richard Nixon), Irina Simmes (Pat Nixon) und der Opernchor des Theaters Dortmund. Foto: Thomas M. Jauk.

Die Zukunft ist jung und weiblich. Sie steht mit rotem Kleidchen an der Rampe und stemmt die Fäuste in die Hüften. Ein herausfordernder Blick, während die Motorik der Musik von John Adams erlischt. Aus dieser Szene erklärt sich, was Martin G. Berger in seiner Inszenierung von „Nixon in China“ in Dortmund vorher mit dem Eindruck bunter Belanglosigkeit vorgeführt hat. Belanglos heißt allerdings nicht bedeutungslos: Rückwärts gelesen gewinnt die Show ihren Sinn.

Das Mädchen am Ende ist das Gegenbild zu der jungen Frau, die am Beginn der Oper den Staatsbesuch des US-Präsidenten Richard Nixon 1972 in China am Fernseher verfolgt. Vincent Stefans verschwommene Videobilder überfluten die Bühne von Sarah-Katharina Karl: Ungefähre Eindrücke eines historischen Ereignisses, das bei der Uraufführung der Oper 1987 in Houston/Texas noch präsent war, in der Erinnerung nach 50 Jahren aber verblasst ist. Gleichwohl war es der Beginn einer Entwicklung, die China zur globalen Großmacht und Konkurrent der USA geführt hat.

Berger sieht Adams‘ Oper nicht wie Tomo Sugao 2018 in Würzburg als beziehungsreiche Polit-Parabel. Er will den Blick auf die unterdrückten Frauen richten, auf von Männern gemachte Politik und Ideologie. Das Kind des Anfangs – ein hinzuerfundenes „Ich“ (Jemina Rose Dean) – verknüpft ihre Lebensstationen als Frau mit dem für mediale Propaganda aufgezäumten Polit-Theater auf der Bühne. Wenn im zweiten Akt Nixons Ehefrau Pat, nicht viel mehr als eine naive amerikanische höhere Tochter, Fabrik und Kommune, Museum und Ballett besucht, überflutet die Bühne ein Meer clownesker Gestalten in lindgrün, schweinchenrosa und himmelblau, den Modefarben der Sechziger Jahre (Kostüme: Alexander Djurkov Hotter). Und immer wieder flirren Bilder im Hintergrund: Sternenbannerfetzen, Propagandaplakate, Schlagzeilen, die bis in die Zukunft gehen („2025 Ukraine neues EU-Mitglied“).

Die Übersteigerung einer verselbständigten Show in surreal geronnenen Kitsch mit fröhlich schrillen Tanznummern (Choreografie: Gabriele Bruschi) hat kaum mehr inhaltliche Beziehung den Ereignissen, wie sie der Text schildert. Aber das ist Absicht: Erinnerungen und Gedanken überlagern das Geschehen; Nixon erscheint als Marinesoldat, die „First Lady“ Pat Nixon als überhöhte goldene Madonna. Nur Mao und seine Frau Chiang Ch’ing ähneln historischen Ikonen gleich ihren Vorbildern.

Am Ende des zweiten Akts empfängt das „Ich“ als verstörte junge Frau eine Schürze für Heim und Herd. Als alte Frau beobachtet sie reflektierend den dritten Akt. Dem Zukunftskind in Rot entzieht sie eine Handpuppe ohne Gesicht – eine jener Puppen, mit denen am Anfang der Oper ein putziges Tänzchen zu sehen war. Das lässt sich als ein Bild von Empowerment lesen: Es ist vorbei mit der Entpersönlichung von Frauen, mit den netten Püppchen ohne Individualität. Und Obacht: Bergers Ansatz unterscheidet sich von dem modegeistigen Getue, das sonst gerne mal in Dortmund veranstaltet wird, vom Sternchen*gegendere bis zu Triggerwarnungen auf der Webseite.

Dieser dritten Akt, der eigentlich nur noch eine Meditation über Gedankenfetzen und Aphorismen ist, bildet den Schlüssel für das Verständnis der Inszenierung: Da flanieren bestimmende Gestalten der letzten 50 Jahre an der Tafelrunde der Politik-Senioren vorbei: Marx Arm in Arm mit dem Papst, Margaret Thatcher, Honi und Margot, Juan Perón und seine Frau in weißer „Evita“-Robe, der alte Revolutionär Fidel Castro. Der greise Henry Kissinger nässt sich ein und Daegyun Jeong als Chou En-lai, 1972 Ministerpräsident von China, stellt die entscheidende Frage, „wieviel von dem, was wir taten, gut war“.

Der von Fabio Mancini einstudierte Opernchor, ergänzt durch ein „Senior*innentanztheater“ aus Dortmunder Bürgern, trägt die turbulente Inszenierung fabelhaft mit. Die Sänger-Darsteller agieren mit Verstärkung und oft ziemlich unter Spannung: Petr Sokolov (Nixon), Irina Simmes (Pat Nixon), Alfred Kim (Mao Tse-tung), Hye Jung Lee (Maos Frau Chiang Ch’ing), Morgan Moody (Henry Kissinger). Olivia Lee-Gundermann trimmt das Orchester meist erfolgreich auf die rhythmische Präzision, die Adams‘ minimalistische „patterns“ fordern. Mit den harmonischen Tiefenschichten hat die Dirigentin ihre Probleme: Statt plastischer Räumlichkeit hört man Verschmelzung – ein breiiger Impressionismus, in dem Konturen verschwimmen.

Die Oper Dortmund wurde einen Tag nach der Premiere, am 27. Februar, mit dem „Oper! Awards“ 2023 als „bestes Opernhaus“ ausgezeichnet. Der Preis dürfte vor allem die ideenreiche programmatische Arbeit des Hauses anerkennen, die sich mit „Nixon in China“ eindrucksvoll bestätigt und die sich vom 18. bis 21. Mai im „Wagner-Kosmos“ weiterführt: In Dortmund wird zwischen 2020 und 2025 eben nicht bloß ein „Ring“ neu inszeniert (von Peter Konwitschny), sondern dazu auch Werke, die ideengeschichtlich auf Wagner verweisen und mit seiner musikalischen und philosophischen Welt verbunden sind – wie in der laufenden Spielzeit Jacques Froméntal Halévys „La Juïve“. Außerdem umrahmt die „Siegfried“-Premiere am 20. Mai ein hochkarätig besetztes Symposion („Liebe.Macht.Götter“). Eine inhaltliche Arbeit also, die manch großer Bühne gut anstehen würde.

„Nixon in China“ wird übrigens auch in Koblenz (19. Mai, Markus Dietze) und Hannover (3. Juni, Daniel Kramer) neu inszeniert: Reizvolle Vergleiche sind also vorprogrammiert!

Werner Häußner

 

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