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DORTMUND/ Theater: „LOHENGRIN“. Premiere

Elsas unmöglicher Traum

01.12.2019 | Oper

Christina Nielsson (Elsa von Brabant), Daniel Behle (Lohengrin) © Thomas Jauk, Stage Picture (Bild honorarfrei)
Christina Nilsson, Daniel Behle. Foto: Thomas Jauk – Stage Picture

DORTMUND: „LOHENGRIN“ in der Oper Dortmund. Premiere

Elsas unmöglicher Traum

30.11. 2019 (Karl Masek)

Die Ausgangslage für den Regisseur Ingo Kerkhof: „Elsa träumt. Der Stücktitel bezeichnet dabei den Traumgegenstand, also Lohengrin…ich glaube nicht, dass Lohengrin der ist, der sich sehnt und träumt, sondern Elsa…man hat das Gefühl, es könnte alles aus ihrer Perspektive erzählt werden…“

 Weiters kann man dem Einführungsvortrag der Dramaturgin Laura Knoll entnehmen, schon im „Lohengrin“ könnte es die Inzestproblematik der Geschwisterliebe (wie später bekanntlich in der Walküre)  zwischen Elsa und dem verschollenen Gottfried geben. Und bringt auch gleich die frühe „schwärmerische Neigung des ganz jungen Richard Wagner zu seiner um 10 Jahre älteren Schwester Rosalie“ ins Spiel.

Also, man macht sich auf eine gedankentiefe, tiefenpsychologisch unterfütterte Regiearbeit gefasst. Zumal auch Grimms Märchen „Brüderchen und Schwesterchen“ per Video zitiert wird…

Das ätherische A-Dur des Vorspiels hebt an. Gleich einmal gnadenlos zerhustet von einigen Rücksichtslosen im Auditorium. Kaum ist die Geräusch-Partiturzeile überstanden, beginnt die Bebilderung der Ouvertüre. Ohne eine solche kommt mittlerweile fast kein Inszenator, der auf sich hält, aus. Also: Elsa träumt, auf Video unnatürlich verdoppelt. In einem ärmlichen Zimmer, in einem spartanischen und höchst unbequemen Bett, einen unmöglichen Traum. Das Zimmer könnte in Dutzenden anderen Opern auch genauso vorkommen.

Der erträumte Ritter  oder Retter kommt – und alles könnte ja gut werden. Nach der Lesart Kerkhofs sieht Wagner das alles abstrakt, weil er „… von verschiedenen Bewusstseinszuständen“ schreibt. Schon im alten Indien sei der Schwan eine Metapher von einem Seinszustand in den anderen. Und nun kommt im Programmheft der Satz, der meiner Ansicht nach Ausgangspunkt für das klägliche Scheitern dieser Inszenierung ist: „Wenn man den Schwan auf der Bühne nicht sieht, kann man sich darauf konzentrieren, was mit den Menschen passiert, die meinen, ihn gesehen zu haben…Um nicht in die Falle zu geraten, den Schwan zu illustrieren, legen wir ihn dahin, wo er hingehört, nämlich in die Musik, in die Köpfe der Mitwissenden und der Zuschauer…der Schwan ist kein Taxi…“

Danke, diese Publikumsbelehrung war ganz wichtig!

Wenn man nach dieser bestechenden Logik alles in die Köpfe des Publikums legt, drückt man sich als Interpret aber auch um andere essenzielle Dinge einer durchdachten, spannenden, musikalischen Interpretation. Ja, ich will Platz haben zum Mitdenken und für Assoziationen. Und ich kapriziere mich nicht auf das Vorkommen eines Schwanes. Aber mich interessiert z.B., wie hält es der Regisseur gemeinsam mit dem Lichtdesigner, wenn es um die Farben in Wagners Musikkosmos geht? Hier die erste Ignoranz dem musikalischen Geschehen gegenüber. Nachtschwarz und fahlgrau dominiert bis zum Überdruss die Bühne. Mitverantwortlich für diese Bühnentristesse: Florian Franzen, der das Geschehen in eine Finsternis taucht, bei der man eine Winterdepression kriegen könnte. Weiters mitverantwortlich dafür: Dirk Becker. Wie schon angedeutet, das Bühnenbild macht den Eindruck, man habe Restbestände aus früheren Arbeiten exhumiert. Was sollten z.B. die Strohreste, die selbst im Brautgemach allgegenwärtig bleiben? Ja, und die Kostüme wirkten in ihrer uninspirierten Alltäglichkeit wie von früheren Produktionen zusammengesucht. Ob Brabanter, ob Schwanenritter, ob König: Nichts ist unterscheidbar, alles bleibt sich gleich. Verantwortlich dafür: Jessica Rockstroh.

Die Inszenierung bietet nicht einmal Erregungspotenzial. Und ist vor allem theaterhandwerklich, in der Führung der Protagonisten und vor allem des Chores, von erschreckender Hilflosigkeit. Wunderte ich mich noch unmittelbar vor Beginn der Vorstellung dass Seitenteile des Ranges völlig leer blieben (Gedanken über Auslastungssorgen  der Dortmunder Oper kamen auf), so war mit dem 1. Choreinsatz alles klar. Er sang im 1.Akt auf der Galerie,  da kam die hilflose Chorführung noch nicht zum Tragen, und Stellen wie „Seht hin! Sie naht, die hart Beklagte. Wie erscheint sie so licht und rein…“ machten in diesem Raumklang schon was her. Wie überhaupt der Opernchor Theater Dortmund markant und kraftvoll tönte (Einstudierung: Fabio Mancini). Für chaotische Auf- und Abgänge im 2. Akt, dann doch auf der Bühne, konnte er nichts.

Christina Nielsson (Elsa von Brabant), Daniel Behle (Lohengrin) © Thomas Jauk, Stage Picture (Bild honorarfrei)
Christina Nilsson, Daniel Behle. Foto: Thomas Jauk – Stage Picture

Bedauernswert an diesem szenischen Offenbarungseid waren die Sänger/innen. Allen voran Daniel Behle, dessen Weltdebüt in der Rolle des Schwanenritters man mit Spannung entgegen gesehen hatte. Er war in diesem Konzept dazu verurteilt, mit stocksteifem Zeitlupentheater alles auszumerzen, was nach „Glanz und Wonne“ aussehen könnte. Mit grämlichem Gesichtsausdruck und einer Körpersprachlichkeit, die baldigen Suizid befürchten ließ, schlich er von der rechten Bühnenseite barfuß und sonst in undefinierbarem Outfit herein. Alles nur keiner, der Elsa glaubhaft machen hätte können, für sie zu kämpfen und zu streiten. Sein „Elsa, ich liebe dich“ hatte die Emotionalität einer Tiefkühltruhe. Die Brautgemachszene hatte von der ersten Sekunde an den endgültigen Todeskeim in dieser Beziehung. Da gab es keine dramatische Zuspitzung wie eigentlich intendiert. Und immer wieder das Singen zusammengekauert, sogar während der Gralserzählung sitzend (!). Das  zeigt für mich, dass Kerkhof nichts vom Singen versteht, wenn er derlei ständig verlangt von seinen Sängern!

Kommen wir zur musikalischen Bewältigung. Dass Behle den Lohengrin souverän, mit edlem Timbre, schlank, lyrisch grundiert, sozusagen vom „Tamino“ kommend, s i n g e n  k a n n , hat der hochintelligente Sänger eindrücklich demonstriert. Um schließlich eine Gralserzählung abzuliefern, die in ihrer bestechenden Grundmusikalität und als innerer Monolog angelegt, ein Highlight war, das allein den Besuch der Premiere lohnte.

Die junge schwedische Sopranistin  Christina Nilsson, übrigens eine Stipendiatin u.a. der Birgit-Nilsson-Stiftung, legte als Elsa eine mehr als beachtliche Talentprobe ab. Ihr lyrischer Sopran, gleichwohl auch in dramatischeren Regionen belastbar, reicht rollentechnisch von der Mozart-Contessa bis zur Ariadne. Da kommt Elsa gerade recht. Sie bemühte sich nach Kräften, diese Konzeption auch mit roten Blutkörperchen anzureichern. Respekt!

Aufhorchen ließ als Telramund der kantige Bariton Joachim Goltz. Gottlob kein Forcierer auf Teufel komm raus, singt er die mörderische Partie souverän und ohne Ermüdungserscheinungen aus. Er muss einen nicht nur psychisch  sondern auch optisch derangierten Grafen mimen, der seiner Frau nicht nur mental, sondern auch sexuell hörig ist.

Ortrud (Stéphanie Müther) ist als Domina angelegt, die auch über exzeptionelle Qualitäten im Bett verfügt und mit Turandot- und Brünnhildensopran die wilde Seherin souverän auf die Bretter stellt.

Eine der vielen entbehrlichen Mätzchen: Das Zigarettchen nach erfolgtem Koitus, so als spielte  man Schnitzlers Reigen …

Geraucht wird mehrfach auf der Bühne. Auch vom  kleinbürgerlich- beamtenhaft gezeichneten König Heinrich von Shavleg Armasi.  Er begann recht imposant (bombensichere Höhe), schwächelte zwischenzeitlich (flache, substanzarme Tiefe) um im 3. Akt stimmlich erfrischt wiederzukommen.

Morgan Moody war als Heerrufer sozusagen ein wichtigtuerischer Pressesprecher des Königs. Er dirigierte sogar den Brabantenchor. Auch entbehrlich! Die Baritonstimme des kalifornischen Ensemblemitglieds: hart, trocken, höhensicher, belastbar.

Albern die Bildzuspielungen, die auf die Gebrüder Grimm verweisen. Auch da „erhellt sich nichts“. Und über „Revolution“ gab es auch etwas zu lesen. Richtig, Wagner hatte auch eine revolutionäre Phase!

Die musikalische Leitung hatte GMD Gabriel Feltz. Er erwies sich als höchst Wagner-kompetent, war der ruhige Sachwalter der Partitur, hatte den Chor auch hinter seinem Rücken bestens im Griff. Die Dortmunder Philharmoniker spielten ohne Fehl und Tadel. Ihre klangprächtige, inspirierte Wiedergabe gehörte zur Haben-Seite dieses Abends.

Das Dortmunder Opernpublikum akklamierte die Leistungen der Solist/innen, des Chors, des Dirigenten und des Orchesters gebührend und strafte das Inszenierungsteam für finsteres, langweiliges, statisches Regietheater aus der Mottenkiste mit deutlich artikuliertem Missfallen ab. Erste Buhrufe gab es schon nach dem 1. Akt…

Karl Masek

PS: Als Wiener Gast kann ich nicht umhin, der von mir bisher wenig geschätzten Wiener  Homoki-Inszenierung („Lohengrin“ in Lederhose, Wadelstutzen und Dirndln) Abbitte zu leisten. Im brabantisch-bayerischen Riesenwirtshaus geht es wenigstens farbenprächtig zur Sache, es tut sich was, gerauft wird, und Bierkrügeln werden gestemmt…

 

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