Foto: Dortmunder Philharmoniker
Dortmund Konzerthaus Mahler Symphonie Nr. 8 „Symphonie der Tausend“
Aufführung am 3. Juli 2018
Gerne nutzen Orchesterleiter die Gelegenheit, das Publikum zu überwältigen und es von der eigenen Dirigierkunst zu überzeugen, indem sie sinfonische Werke mit riesiger Anzahl von Mitwirkenden aufführen..Da gibt es von Berlioz das „Requiem“, von Schönberg die „Gurre-Lieder“, die beide schon im Konzerthaus Dortmund zu erleben waren. Im Rahmen der Aufführung von Symphonien Gustav Mahlers leitete GMD Gabriel Feltz am vergangenen Dienstag zum Abschluß der Saison eine Aufführung von dessen 8. Symphonie in Es-Dur in zwei Sätzen für grosses Orchester (einschließlich u.a. Glocken, Celesta, Klavier Harmonium Orgel) mit zusätzlichen Trompeten und Posaunen eines Fernorchesters, acht Gesangssolisten, zwei grosse gemischte Chöre und Knabenchor.
Bekanntlich nutzte Mahler diese riesige Anzahl Mitwirkender, die dem Werk den Beinamen „Symphonie der Tausend“ eintrug – soviel waren es in Dortmund nicht – , um zwei im Abstand von ungefähr 1.000 Jahren entstandene bedeutende Texte abendländischer Dichtung zu vereinen, die anscheinend wenig gemeinsam haben. Es handelt sich um den mittelalterlichen Hymnus „Veni creator spiritus“ (Komm Schöpfer Geist) des Mainzer Erzbischofs Hrabanus Maurus und die Schlußszene von Goethe´s „Faust – der Tragödie zweiter Teil“, die nach Mephistos endgültigem Scheitern die Reinigung und den Aufstieg von Fausts Seele in immer höhere Himmelsregionen darstellt. Dieser Aufstieg zu reiner, göttlicher, allumfassender Liebe nach Anrufung des Heiligen Geistes kann dann doch als inhaltliche Verbindung der beiden Teile betrachtet werden, Diese ist viel deutlicher in Themenverwandschaften zu hören auch bei den gewaltigen Schlußchören – Lob Gott-Vaters im ersten sowie „Chorus mysticus“ im zweiten Teil – lebenbejahend wie selten bei Mahler.
Bereits der Einzug der Mitwirkenden war sehr beeindruckend. Die Dortmunder Philharmoniker passten in ihrer grossen Zahl von 120 Mitwirkenden gerade so auf das Podium, daß noch Platz für den Dirigenten und die Solisten blieb. Die Chöre waren auf den Emporen platziert, hinter dem Orchester in der Mitte rot gekleidet der Knabenchor der Chorakademie Dortmund, einstudiert von Jost Salm. Die beiden gemischten Chöre waren aus Osteuropa angereist, nämlich der Tschechische Philharmonische Chor Brünn (Einstudierung Petr Fiala ) sowie der Slowakische Philharmonische Chor Bratislava (Einstudierung Jozef Chabroň) Die Damen stellten sich spiegelbildlich rechts und links neben dem Knabenchor hinter dem Orchester auf, die Herren ebenfalls spiegelbildlich rechts und links auf den seitlichen vorderen ersten Rängen – insgesamt waren es so ungefähr 300 Sängerinnen und Sänger.
Begeisternd erklang zu Beginn das markante Hauptthema des gewaltigen„Veni creator spitirus“.Im ersten Teil der Symphonie singen die Solisten vorwiegend gemeinsam, so bei der auf den Eingangschor folgenden Bitte um Gnade. Hier klangen die Stimmen von Emily Newton und Michaela Kaune, Sopran, Iris Vermillion und Mihoko Fujimura, Alt, Brenden Patrick Gunnnell, Tenor, Markus Eiche, Bariton sowie Karl-Heinz Lehner. Bass, wie eine gesangliche Erweiterung der Orchesterstimmen. Die gute Akustik des Saals zeigte sich daran, wie deutlich das virtuose Solo der ersten Geige (Shinkyung Kim) beim „Infirma nostri corporis“ (Schwäche unseres Körpers) zu hören war, das galt natürlich auch für die entsprechenden Geigen-Soli im zweiten Teil. Zum Vibrieren kam der Saal beim weiteren akustischen Höhepunkt dem „Accende lumen sensibus“ (zünde den Sinnen das Licht – gemeint ist der Liebe – an). In rasantem Tempo sangen alle Chöre und alle Solisten unisono, wobei Mahler in der Partitur ausdrücklich untersagt, daß die Solostimmen sich hier „schonen“ – das taten sie nicht, man hörte sie auch in der folgenden einer Doppelfuge ähnlichen musikalischen Entwicklung deutlich über die Chor- und Orchestermassen hinweg, wobei man bei Emily Newton fast zu viel des Guten vernahm.. Beim abschliessenden mächtigen „Gloria“ war besonders der Knabenchor zu bewundern, der stimmlich lupenrein und auswendig singend sich mit einer Art „Cantus firmus“ gegen die mehrstimmigen Chöre und Orchester behaupten konnte.
Überzeugend und die gute Akustik des Saals beweisend geriet auch die rein instrumentale Einleitung des zweiten Teils beginnend mit dem pizzicato der acht Kontrabässe und zehn Celli. Bei den choralartigen folgenden Passagen konnten die weich und rund klingenden Bläser bewundert werden. Nach einer grossen Steigerung folgte, was man Mahlers einzige Oper, dann aber gleich ein „Bühnenweihfestspiel“. nennen könnte. Er hat ja auch alle Szenenanweisungen Goethes beibehalten. Zu Beginn wirkte beim thematisch dem„Macbeth“ nachempfundenen pp-Beginn der Männerchöre „Waldung sie schwankt heran“ die Aufstellung rechts und links vom Orchester ebenfalls theatralisch, da Chor und Echochor nach etwas ungenauem Beginn deutlich hörbar zu unterscheiden waren. Auch die Singstimmen werden fast opernhaft behandelt. Ganz textverständlich und dynamisch abgestuft bis zur Steigerung auf „ewiger Liebe Kern“ glänzte Markus Eiche als „Pater Ecstaticus“ Mit gewohnt mächtigem Baß sang Karl-Heinz Lehner den „Pater profundus“ Wie schon vor einem Jahr als „Gerontius“ von Elgar versah Brenden Patrick Gunnell die Partie des „Doctor Marianus“ mit heldentenoraler Kraft gipfelnd im mächtigen „Blicket auf“ ,dem Pendant zum „Accende lumen“ des ersten Teils,. So traf er nach der sich steigernden Bezeichnung Marias als „Jungfrau, Mutter, Königin, Göttin“ bei „Bleibe gnädig“ mühelos den Spitzenton. Emily Newton als „Magna Peccatrtix“, Iris Vermillion als „Mulier samaritana“ und Mihoko Fujimura als „Maria Aegyptiaca“ bereiteten einzeln und mit ihrem Terzett, wieder begleitet von der Solo-Violine, einen musikalischen Höhepunkt des Abends. Die Mandoline (Christian Kiefer) leitete dann über zur Arie des früheren „Gretchen“ (Una poenitentiorum), die Michaela Kaune eindringlich, dynamisch abgestuft und weitmöglichst textverständlich interpretierte mit grosser Steigerung bis hin zum jubelnden „Er kommt zurück“ und zum lang gehaltenen Spitzenton bei bei „der neue Tag“ Aus der Höhe sang Ashley Thouret die kurze Partie der „Mater gloriosa“ und erfreute mit lang gehaltenem leisen hohen Tönen.
Auch um zweiten Teil glänzte stimmlich sehr beweglich der Knabenchor als „selige Knaben“ – wieder auswendig singend.
Gabriel Feltz dirigierte zum Teil durchaus rasche Tempi mit passenden ritardandi. was manchmal zu kaum bemerkbaren Unstimmigkeiten führte.Viele Soli einzelner Instrumente zeigten die Qualität des Orchesters Eindrucksvoll geriet der Übergang von Harfen, Klavier, Celesta, Harmonium und den pp-Flöten zum Beginn des „chorus myticus. Hier konnten die Chöre mit „Alles Vergängliche..“ ihre Kunst des ganz leisen Singens – „wie ein Hauch“ schreibt Mahler. – beweisen. Umso stärker geriet dann dynamisch und akustisch die Steigerung aller Chöre und des Orchesters bis zum fff- „Hinan“ . Nachdem wie zum Ende des ersten Teils von oben hinter dem Publikum Trompeten und Posaunen die Es-Dur-Schlußakkorde des Orchesters verstärkten, brauchte das überwältigte Publikum im ausverkauften Haus erst eine kurze Pause der Besinnung, bevor Beifall und Bravos, schon bald stehend, alle Mitwirkenden, Sänger, Chöre, hier zu Recht wieder besonders den Knabenchor, das riesige Orchester und den Leiter der Aufführung feierten.
Sigi Brockmann 4. Juli 2018
PS: Rheinländer können diese von. Adorno so bezeichnete„Riesenschwarte“ am Wochenende in der Tonhalle Düsseldorf erleben, aber mit Chören aus der Region!