Copyright: Bülent Kirschbaum
Dortmund Klangvokal Musikfestival Abschlußkonzert – Le Banquet Céleste
St.-Reinoldi Kirche – 10. Juni 2018 – Caldara – Magdalena zu Christi Füßen
Von den wenigen Frauenschicksalen, über die in der Bibel berichtet wird, finden besonders die Interesse, bei denen man eine charakterliche Entwicklung vermuten kann. Das sind vor allem Eva, die vom Paradies zum beschwerlichen sündigen Leben wechselt, oder etwa Maria Magdalena, die vom sündigen Leben wohl ins Paradies gelangt. Über beide wurde zwischen den vielen Konzerten unter dem Motto „Auf Schatzsuche“ beim Klangvokal Musikfestival in Dortmund je ein Oratorium aufgeführt. Nach Jules Massenet`s „Ève“ folgte nicht etwa dessen „Marie-Magdeleine“, sondern man ging in der Zeit fast zweihundert Jahre zurück zu Antonio Caldaras „Maddalena ai piedi di Cristo“ (Magdalena zu Christi Füssen), eins von dessen 40 Oratorien, wahrscheinlich um 1700 in Rom entstanden.
Allerdings hat bei Beginn des Oratoriums Maria Magdalena sich vom sündigen Leben bereits verabschiedet. Ob sie zu dessen Annehmlichkeiten zurückkehren oder über Reue und Umkehr himmlischen Lohn erstreben soll, darum kämpft sie innerlich in zwei Stunden Oratoriums-Musik. Um sie auf diesem Scheideweg (bivio)zu beeinflussen treten als allegorische Personen auf „ amore terreno“ (irdische Liebe) und „amore celeste“ (himmlische Liebe). Dieser Gegensatz betreffend zwei Auffasungen von Liebe hat zwar noch Wagner im „Tannhäuser“ beschäftigt, scheint uns heute aber eher fremd. Aus dem Johannes-Evangelium entnommen ermahnt Martha zusätzlich Maria Magdalena zu Reue und Askese. Als letztere dann beschließt, zu Christi Füssen ihre Sünden zu bereuen, kann sogar ein selbstgerechter Pharisäer, (Lukas-Evangelium)der in Magdalena die Sünderin sieht, diese vielleicht selbst begehrt und deshalb nicht an ihre Erlösung glaubt, Christus nicht daran hindern, Magdalena Frieden und damit Erlösung zu verheissen.
Musikalisch wird diese Handlung dargestellt in Rezitativen und Da-capo-Arien der Solostimmen, letztere mit Koloraturen häufig auf wichtigen Worten oder auf der letzten Silbe. Etwas Opern-Atmosphäre entsteht, wenn die Rezitative in Form von Gesprächen mehrerer Personen oder als Streit zwischen „himmlischer“ und „irdischer Liebe“ ablaufen, es gibt sogar am Ende des ersten Teils darüber ein Streitduett zwischen beiden. (Caldara schrieb etwa 80 Opern)
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Glänzend aufgeführt wurde das Oratorium durch das aus der Bretagne (Rennes) angereiste erstmalig in Deutschland auftretende Alte-Musik-Ensemble Le Banquet Céleste (himmlische Mahlzeit). Geleitet wurde es von seinem Gründer Damien Guillon, der als Countertenor gleichzeitig die Rolle des „Amore celeste“ (Himmlisch Liebe) gestaltete. Wenn er zum Publikum gewandt sang, gab er mit Handzeichen und Schulterbewegungen gleichzeitig Einsätze, was bei dem Orchester von 14 Spezialisten ohne Schwierigkeiten gelang. Sehr delikat klangen seine Koloraturen im Zusammenspiel mit der ersten Solovioline (Pablo Valetti) bei der Arie „Da quel strale“, wo er feststellt, daß die irdische Liebe ihre süssen Giftpfeile umsonst auf Magdalena verschossen hat. Diese „Amore terreno“ wurde mit beweglicher Altstimme gesungen von Benedetta Mazzucato.
Bei manchen Arien wird die erste Silbe ohne Begleitung langsam vorweg gesungen. So begann sie das Oratorium ganz grossartig mit einem auf demselben Ton sich vom p dynamisch steigernden „Dormi“ (Schlafe), mit dem Magdalena zu lustvollem Träumen angeregt werden sollte. Überhaupt konnte sie ihrer Stimme schmeichlerisches Timbre verleihen, um Magdalena zu verführen, Wut, als das nicht klappt, und sie in rasendem Rache-Tempo die Furien der Unterwelt zu Hilfe rief (Orribili) um dann nach ihrer Niederlage koloraturenreich in ebenso schnellem Tempo zum Tartarus herabzufahren.
Durch abwechselnde Stimmfärbung sowie dynamisch zwischen p und stärkerer Tongebung glänzte ebenfalls Emmanuelle de Negri in der Titelpartie der Magdalena, sie machte hörbar den Kampf der „zwei Magdalenen“ (due Maddalene) deutlich. Zweifel gab es noch bei „Pompe inutile“, wo sie zur Begleitung des Solo-Cellos (Julien Barre) von falschem Prunk Abschied nehmen will, was in einer anderen Arie „Diletti“ durch jetzt nicht mehr nötigen Tanzrhythmus des Orchesters ausgedrückt wurde. Verzweiflung hörte man bei „In lagrime“, wo das Orchester rhythmisch den Fluß ihrer Tränen nachzeichnete.
Die Magdalena den rechten Weg zur Vergebung empfehlende Marta sang mit leuchtendem Sopran und beweglichen Koloraturen Maȉlys de Villoutreys, etwa in der schnellen Arie mit der Aufforderung an Magdalena „Geh lauf fliege“ begleitet von unisono-Violinen.
In tongenauen Koloraturen und tiefen exakt getroffenen Baßtönen verriet Benoît Arnould als Pharisäer zuerst Unglauben und Skepsis betreffend Erlösung von Magdalena, um in seiner letzten Arie Gottes unergründliche Geheimnisse zu preisen – dies auch in zurückgenommenen p-Tönen. Die Tenorpartie des Christus mit seinen frommen Ermahnungen sang Reinoud van Mechelen mit glänzenden Koloraturen bis hin zur erlösenden Aufforderung an Magdalena, in Frieden zu gehen (vattene in pace)
Musikalische Farbe durch virtuoses Spiel und ganz unterschiedliche Kombination der Instrumente erhielt der Abend auch durch das Orchester, weniger in den beiden raschen den ersten und zweiten Teil einleitenden „Sinfoniae“ als bei Einleitung, Zwischenspielen und kommentierender Begleitung der Arien. Besonders soll gelobt werden die einfühlsame Begleitung der Rezitative durch die Continuo-Gruppe von Orgel, Cembalo, Laute und Cello.
Nachdem die bekehrte Magdalena zum Schluß koloraturenreich sang, wollüstige Liebe bedeute niedrige Knechtschaft, applaudierte das Publikum in der ausverkauften Kirche nach dem langen Abend anhaltend und mit Bravorufen.
Sigi Brockmann 11. Juni 2017
CD-Tipp: Es gibt bei harmonia mundi eine Aufnahme des Oratoriums mit der Schola Cantorum Basiliensis unter René Jacobs. Eine CD der oben besprochenen Aufführung erscheint im September 2018 bei Alpha Classic