Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

DORTMUND: HÄNSEL UND GRETEL – im Zauberwald und Hexenkeller

21.11.2016 | Oper

Opernhaus Dortmund  Hänsel und Gretel – im Zauberwald und Hexenkeller  

 Premiere 7. November 2015  – Wiederaufnahme 6. November 2016

besuchte Vorstellung 20. November 2016

Hänsel und Gretel, Oper Dortmund
Foto: Anke Sundermeier

 Abgesehen vom eher zufälligen weil mehrfach verschobenen Datum der Uraufführung am 23. Dezember 1893 (unter Leitung von Richard Strauss) paßt „Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperdinck auf die Dichtung von Adelheid Wette eigentlich nicht nur in die Weihnachtszeit. Wie bekannt pflücken die beiden kleine Walderdbeeren (Erbeln), übernachten im Wald,  die Lerche singt, alles wohl eher im Sommer möglich. Auch die salbungsvolle Schlußbotschaft  von Vater Peter nach geglückter Wandlung der Hexe zum Kuchen gilt (hoffentlich) nicht nur zur Weihnachtszeit. Soll aber zu Weihnachten  auch für Kinder verständlich richtig anspruchsvolle Oper aufgeführt werden, scheint  dieses  „Märchenspiel in drei Bildern“ trotzdem unverzichtbar. Deshalb wurde auch im Opernhaus Dortmund die Inszenierung von Erik Petersen aus dem letzten Jahr jetzt  wieder aufgenommen, eine intelligente Inszenierung verständlich für alle, da sie in phantasievoller Weise nachvollziehbar die Handlung darstellte.

Dazu trug ganz erheblich bei das Bühnenbild von Tatjana Ivschina. Im ersten Bild zeigte der baufällige Verschlag, in dem die Familie hauste, ebenso deren Armut  wie ihre mehrfach ausgebesserte  wohl früher einmal vornehmere Kleidung (Kostüme ebenfalls von Tatjana Ivschina). Im zweiten Bild zeigte die Darstellung des Waldes alle zauberischen Möglichkeiten heutiger Bühnen- und Beleuchtungskunst – bis in den  Zuschauerraum (Licht Florian Franzen). Die Bäume erschienen mal wie Schlingpflanzen bedrohlich, mal hellgrün idyllisch, wozu auch bewegliche bemooste Gestalten beitrugen (Choreografie Adriana Naldoni)  Zur geträumten Nachtruhe legten sich Hänsel und Gretel auf ein  etwas über den Boden schwebendes silbrig bemoostes Beet. Die vierzehn Engel in blinkenden Lichterkostümen wiegten zur Pantomime nicht nur Hänsel und Gretel in den Schlaf, sondern schritten zu Beginn der Pause auch noch durchs  Foyer. Etwas ernster wurde es im dritten Bild. Unter einem Knusperhäuschen als Schornstein trafen die Kinder die Hexe zunächst im gediegen möblierten Wohnzimmer auf einer Ottomane sitzend. Danach mußten sie dank Zauberstab in einen durch eine trübe Neonlampe beleuchteten bunkerartigen Keller mit unheimlichen Stahltüren herabsteigen. Es wurde aber nicht ganz so schlimm, wie daraus zu befürchten war.. Auf dem Foltertisch bestreute die Hexe – nach dem Hexenritt nicht mehr im quietschgelben Kleid mit Puffärmeln sondern mit fleckiger Schürze –  Gretel  mit Backzutaten. Aus den Stahltüren kamen nachher die erlösten Kinder.

Hänsel und Gretel, Oper Dortmund
Foto: Anke Sundermeier

Durch viele Aufführungen eingeübt beherrschten alle Mitwirkenden ihre Partien stimmlich und konnten spielfreudig agieren. Das gilt vor allem für das Titelpärchen. Keck im Spiel  sang Tamara Weimerich  mit frischem hellen Sopran die Gretel. Nach dem Aufwachen im dritten Bild „tirelierte“ sie die Tonleiter herauf und herunter bis zum Triller und ganz hohen Spitzenton. Erfahren in allen Hosenrollen zwischen Händel und Richard Strauss spielte Ileana Mateescu burschikos den Hänsel. Ihr  klangvoller Mezzo setzte sich deutlich vom Sopran der Gretel ab, was besonders die kurzen aber  teils rhythmisch schwierigen Duette der beiden zu musikalischen Höhepunkten werden ließ.

Für Vater Peter war Sangmin Lee eine Luxusbesetzung. Im Rhythmus der Musik  sich behende bewegend  sang er raumgreifend  (auch im Zuschauerraum) im ersten Bild vom „Hunger als dem besten Koch“, aber auch den „Kümmel als Leiblikör“ nach geglücktem Besenverkauf glaubte man ihm. Almerija Delic als Mutter Gertrud  war keine böse Mutter wie sonst manchmal. In der Pause verteilte sie Bilder von Hänsel und Gretel, damit die Zuschauer, besonders die kleinen, bei der Suche helfen konnten. Sie hatte zunächst Mühe, sich stimmlich gegen das Orchester durchzusetzen. Vom grossen Stimmumfang ihrer Partie hörte man das hohe h bei „So hau ich“, dasganz tiefe h bei „Geld herab“ weniger.

Eher komisch als unheimlich oder brutal wirkte Fritz Steinbacher als tanzende hüftenschwingende Knusperhexe. Sein helltimbrierter Tenor und grosse Textverständlichkeit verstärkten diesen Eindruck. In ganz phantastischen Kostümen trat Vera Fischer als Sand- und Taumännchen auf, als letzterer in schöner Kantilene bis zum hohen a sich steigernd.

Wenn  Kinderchor verlangt wird, hat die Oper Dortmund das Glück, auf den Opernchor der Chorakedemie zurückgreifen zu können. In der Einstudierung von Zeljo Davutovic sangen sie mit angeblich geschlossenen und später offenen „Äuglein“ exakt und fehlerlos, auch dann wenn sie mehrstimmig mit Hänsel und Gretel zusammen singen mußten.

Hänsel und Gretel, Oper Dortmund
Foto: Anke Sundermeier

Dem Opernfreund bereitet an dieser Oper häufig das Orchester die größte Freude, Das sieht wohl der Dortmunder GMD Gabriel Feltz ähnlich und übernahm die Musikalische Leitung der Wiederaufnahme. Wie immer wählte er teils recht rasche Tempi, was etwa bei der grossen Steigerung in  der „Pantomime“ zu Ende des zweiten Bildes sehr passend war. Er sorgte für exakten Rhythmus, besonders etwa beim Hexentanz, und musikalischen Schwung beim „Knusperwalzer“. Angemessen im Tempo und zurückhaltend begleitet er die volksliedhaften Soli wie etwa von der Suse oder vom Männlein, das im Walde steht.  Ganz zurückgenommen und spannend gestaltete er den Übergang vom „Kusperwalzer“ zum Einsatz der „Kuchenkinder“. Wo es in der Partitur „wagnert“ (vor allem „Meistersinger“ und „Parsifal)  ließ er die wunderbaren Orchesterfarben leuchten und das Geflecht der Motive hörbar werden, besonders natürlich in den Zwischenspielen. Das ermöglichten ihm die Dortmunder Philharmoniker mit seidigem Streicherglanz, sonorem Klang von Celli und Bässen, rundem Klang der Hörner – auch und besonders im p –  und  den individuellen Klangfarben der Holzbläser.  Letztere konnte man schön nacheinander spielend zu Beginn des Knusperhäuschen-Bildes hören.  Besondere Erwähnung verdienen die Baßklarinette zur Begleitung der Hexe und die Soli von Cello und Violine im zweiten Bild.

Dabei waren besonders für jüngere Zuschauer die Übertitel hilfreich. Weniger der Werbung entsprechend als zwischen sieben und siebzig mochte man das Alter der Zuschauer zwischen acht und achtzig im nicht ganz gefüllten Opernhaus schätzen. Die ganz jungen waren beeindruckt, auch vom Blick in den Orchestergraben während der Pausen. Mochten  etwas ältere sich herablassend amüsieren, so konnten noch ältere nostalgisch schwärmen. Das zeigte sich am starken Beifall mit Bravos und Pfeifen, der viel zu kurz durch Schliessen des Vorhangs beendet wurde.

 Sigi Brockmann  21. November 2016

 

 

 

 

 

 

 

Diese Seite drucken