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DORTMUND: FAUST von Gounod – der Alte blickt zurück. Premiere

18.09.2016 | Oper

Dortmund Opernhaus – Gounod „Faust“ – der alte   blickt zurück

 Premiere 17. September 2016

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Foto: Thomas M. Jauk, Stage Picture

Engstirnige Verehrer Goethes gibt es heute nicht mehr, die es ablehnen, daß die Oper in fünf Akten von Charles Gounod auf ein Libretto von Jules Barbier und Michel Carré  in Deutschland  unter dem von den Autoren gewählten Titel „Faust“ aufgeführt wird. Als dennoch kleiner Unterschied wird  in Unterhaltungen auf Deutsch häufig von Gounods Oper „Foost“ gesprochen . Trotz des Vermerks „nach Goethe“ entstand unter Verwendung insbesondere der „Gretchen-Tragödie“  kein tiefsinniges Welterklärungs-Drama,  sondern  eine für die Mitte des 19. Jahrhunderts typisch-französische „opéra lyrique“ vor allem mit sentimentaler Liebesgeschichte von der Sopranistin, die vom leichtsinnigen Tenor verlassen wird, einem Baß als elegant-zynischem Zauberer sowie grossen Chorszenen.

Im Opernhaus Dortmund inszenierte John Fulljames , Co-Direktor der Covent Garden Oper  London, entsprechend dem Titel die Oper so weit eben möglich als Schicksal von Faust.

Der alte Faust hatte sich zurückgezogen in eine wohl unterirdische Neon-beleuchtete Betonkuppel mit grossen runden Ausgängen zur Seite und nach oben, die seitlichen geeignet für Auf- und Abtreten der Mitwirkenden und um beleuchteten Dampf auf die Bühne zu lenken (Licht Ralph Jürgens) Aus der oberen wurde ein  auf den Kopf gestellte Baum herabgelassen, von dem Siébel die Blumen für Marguerite pflückte und der auch als Marthes Garten diente (Bühne Magdalena Gut)  Für Chorszenen ließ sich die Rückwand herabsenken.

In diesem Einheitsbühnenbild blieb der alte Faust während der ganzen Oper anwesend, sodaß er, gespielt von David N.  Koch, zu einer Hauptfigur wurde. Im Rollstuhl sitzend wollte er sich zu Beginn umbringen nicht mir einem Gift, sondern, indem er die ihn  am Leben haltenden Infusionsschläuche herausriß, die dann von einer Krankenschwester – später Méphistophélès  – lebensverlängernd wieder angelegt wurden. Er mußte sich  gefallen lassen, auf seinem Stuhl immer wieder wild im Kreis gedreht zu werden. Er  nahm Anteil, wie er als junger Mann – auf der Bühne sein Double –  Marguerite lieben lernte, gab etwa seinem Bedauern über die von ihm  verursachte Tragödie der Marguerite Ausdruck, streichelte sogar ihren Babybauch  – geschmacklos – und blieb nach deren Rettung wieder allein auf dem Betonboden liegen, als ihm Méphistophélès den  unterschriebenen Teufelspakt auf den Bauch knallte.

Dies alles spielte sich ab in wenig originellen heutigen Kostümen (Julia Kornacka) Für die Kirmesszenen im zweiten Akt war Karneval angesagt, alle bis auf Marguerite waren maskiert und trugen als Kopfbedeckung wieder einmal die lustigen (?) dreieckigen spitzen Hütchen, die Dortmunder Opernbesucher noch aus „Peter Grimes“ her kennen.

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Foto: Thomas M. Jauk, Stage Picture

Dieses reduzierte Bühnenbild mußten die Darsteller durch Gesang und Spiel ausgleichen. So sang  etwa Lucian Krasznec seine Kavatine von der keuschen und reinen Kammer (Salut demeure chaste) zwar ohne eine solche vor Augen, aber ganz beeindruckend mit beweglicher, dem französischen Idiom verpflichteter  lyrischer Stimme und strahlendem Spitzenton, aber auch fast gehauchtem trotzdem gut hörbarem p. Mit Recht bedauern  Dortmunder Opernfreunde, daß dies seine Abschiedsrolle  vor seinem Engagement am Gärtnerplatztheater München ist.

 

Im Gegensatz zu Goethes naivem Gretchen ist Marguerite bei Gounod eine durchaus selbstbewußte junge Frau, umso tiefer dann ihr Fall. Dies zeigte Eleonore Marguerre  ganz bewundernswert in allen  Facetten. Noch ganz verhalten beim Lied vom „König von Thule“ gelang die folgende „Juwelen-Arie“ mit ihren Trillern, Koloraturen und strahlendem Spitzenton grandios . Verzweiflung über die vergebliche Hoffnung auf Rückkehr des immer noch  Geliebten  vermochte sie erschütternd darzustellen (Il ne revient pas) Leider ging die perfekt gesungene Szene in der Kirche – eine der stärksten Momente der Oper – dadurch etwas unter, daß in dem Bunker-Bühnenbild der „Geister-Chor“ aus den Dorfbewohnern in Alltagskleidung hinten stehend sichtbar gesungen wurde, die Orgel war natürlich nur zu hören. Hymnische Stimmkraft ließ sie zum Schluß im Kerker über Orchester und Chor hinweg strahlen. Das Liebesduett im II. Akt zwischen ihr und Faust wurde zum musikalischen Höhepunkt, sie durften es deshalb auch halbhoch im Baum singen.

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Foto: Thomas M. Jauk, Stage Picture

Mit gewaltiger Baßstimme erfreute der gerade aus Bayreuth zurückgekehrte Karl-Heinz Lehner als alle Mitwirkenden lenkender Méphistophélès. Beim „Rondo vom goldenen Kalb“ verfügte  er Geld an die Menge verteilend über zynische Stimmfärbung. Die ganz tiefen Töne der Partie traf er , etwa wenn er nach seinem „Ständchen“ im III. Akt dreimal nacheinenander „Ha ha ha“ zu singen ist, jeweils eine ganze Oktave tiefer.

Auch alle übrigen Partien wurden gut gesungen.  Gerardo Garciacano glänzte bei einem schon in  der Introduktion vom Orchester gespielten  Hit der Oper, dem Gebet vor dem Abschied in den Krieg, mit Legato-Bögen, auch im p, und feurigem Kriegsgesang. Beim blasphemischer Abschiedsgesang vor seinem Tod beeindruckte sein tiefer Ton beim Fluch auf Marguerite (soi maudite ici bas)

Als Spezialistin für Hosenrollen in Dortmund gefiel Ileana Mateescu als Siébel besonders im bescheidenen Liebeslied an Marguerite „Blümlein traut“ Almerija Delic sorgte  darstellerisch und stimmlich für heitere Abwechslung  als   heiratswütige Marthe. Die Partie des Wagner – hier passend nicht Brander genannt- sang Ian Sidden

Chor und Extrachor waren erfolgreich einstudiert von Manuel Pujol. Besonders gut gelang die „Strassenszene“ im III. Akt, als  Marguerite wegen ihrer unehelichen Schwangerschaft  ausgegrenzt wurde. Ein besonderes Lob gebührte dem zackig   „Tempo marziale“ singenden Herrenchor als zurückkehrende Soldaten.

Motonori Kobayashi leitete bis auf wenige Premieren-Ungenauigkeiten zuverlässig des musikalische Geschehen, wählte manchmal rasche Tempi ließ aber Zeit für die harmonischen und lyrischen Glanzlichter der Partitur.. Die Dortmunder Philharmoniker klangen dadurch ausdrucksstark und düster bereits im langsamen Vorspiel  und zeigten ihr Können besonders in den Soli, etwa das Violinsolo zu Fausts Kavatine, Hörner und Posaunen, dann Flöte und Klarinette zu Beginn der Gefängnis-Szene oder die beiden Harfen zur Erlösung Marguerites.

Der Schlußchor „Christ ist erstanden“ ertönte aus dem dritten Rang des Opernhauses, was eine gelungene  Schluß-Apotheose erzeugte .

Im gar nicht übermässig gut besuchten Opernhaus gab es für diesen Opernabend mit wenig Bühne, gutem Spiel und grossen Gesangsleistungen langen Beifall, mit Bravos für die Darsteller der Hauptrollen, aber auch  für das Leitungsteam, wie heute schon fast üblich auch stehend.

 

Sigi Brockmann 19. September 2016

 

 

 

 

 

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