Opernhaus Dortmund Mozart Don Giovanni Premiere am 8. März 2015 – auch halbszenisch überzeugend und grandios gesungen
Seit Beginn seiner Intendanz führte Jens-Daniel Herzog zweimal Oratorien szenisch auf, zuletzt – ganz um die Ecke gedacht – die „Jahreszeiten“ von Joseph Haydn.
Nun „drehte er den Spiess um“ und inszenierte das „Dramma giocoso“ (auf deutsch etwa heitere Handlung) von Wolfgang Amadè Mozart auf auf das Libretto von Lorenzo da Ponte „Don Giovanni“ genauer „Il dissoluto punito ossia in Don Giovanni“ als fast halbszenische Aufführung. Der italienische Titel wurde für Dortmund genannt „Der bestrafte Lustmolch oder Don Giovanni“ – ähnlich drastisch wurden für die deutschen Übertitel auch andere Textstellen übersetzt.
Foto: Thomas Jauk stage picture
Auf ein Bühnenbild im herkömmlichen Sinne wurde verzichtet, dafür war das Orchester hinter einem Gazevorhang auf der Bühne platziert, der für die beiden Finali hochgezogen wurde. Wie bei halbszenischen Aufführungen war vor dem Orchester Platz für theatralisches Spiel, zusätzlich ragte ein Steg von der Bühne bis zur 14. Reihe in den Zuschauerraum, der für Auf- und Abgänge und auch Spielszenen benutzt wurde, Zuschauer in den vorderen Reihen mußten jeweils den Kopf weit drehen – Bühne Mathis Neidhart. In edle Garderoben heutiger Zeit hatte Sybille Gädeke wenig einfallsreich die Mitwirkenden gekleidet, Don Giovanni selbst noch am wenigsten elegant, andererseits wurde Donna Anna in der aparten Erscheinung von Eleonore Marguerre je nach Gelegenheit in eine Reihe erlesener Roben gekleidet – aber auch in rein konzertanten Opernaufführungen wechseln inzwischen besonders Sängerinnen mehrfach die Garderobe.
Entsprechend der Handlung konnten die Spielorte verschieden beleuchtet werden (Licht Ralph Jürgens), der Zuschauerraum war wie bei konzertanten Aufführungen üblich immer erleuchtet, in den vorderen Reihen beklagten sich Zuschauer über dadurch mangelnde Lesbarkeit der Übertitel.
Foto: Thomas Jauk stage picture
In diesem Rahmen zeigte Jens-Daniel Herzog kammerspielartig Don Giovanni als verführerischen Dreh- und Angelpunkt der Handlungen und Gefühle aller Beteiligten, nicht nur, weil er fast dauernd anwesend war, sondern weil er unterdückte Begierden freisetzte. Von vielen einzelnen Aktionen seien beispielhaft folgende genannt. Zu Beginn sassen alle Beteiligten, Opernbesucher mit Programmheften karikierend, nebeneinander auf einer Stuhlreihe – im Theater Bremen gab es kürzlich ähnliches bei „Figaros Hochzeit“. Dahinter beantworteten Don Giovanni und Donna Anna sehr einverständlich und sichtbar mit „ja“ die sonst zu Beginn der Oper gestellte Frage „Haben sie oder nicht?“ Das mußte Donna Anna wohl derart gefallen haben, daß sie beim nächsten Treffen ihrem Verlobten Don Ottavio gierig die Kleider vom Körper riß, was dieser verdutzt mit der vom Dortmunder Startenor Lucian Krasznec klangvoll und mit kräftigem Legato gesungenen Arie „Dalla sua pace“ beantwortete. Gesteigert wurde dies, als im II. Akt Don Ottavio Don Giovanni mit einer Pistole erschiessen wollte, sich aber dann als unentschlossener Schwächling von ihm küssen ließ – Don Giovanni war wohl „bi“. Es folgte auf die entsetzte Reaktion Donna Annas koloraturenreich von Krasnec gesungen Ottavios Arie „Il mio tesoro“
Oder als Zerline, frisch und kess gesungen von Tamara Weimerich, ihren zusammengeschlagenen Verlobten mit der Arie „Vedrai carino“ wieder munter machte, blickte sie voll Sehnsucht den dahinter stehenden Don Giovanni an. Dabei war Sangmin Lee stimmlich und körperlich ein kräftiger wenn auch etwas bäuerlicher Masetto und ließ das trotzdem geschehen.. Ehemänner bzw. solche, die es werden wollen, haben in Herzogs Inszenierung nicht viel Glück, wenn Don Giovanni in der Nähe ist!
Letzteren spielte Gerardo Garciacano ganz in der Inszenierung aufgehend. Stimmlich beherrschte er völlig die Partie, klang aber zwischen Verführung, Lebenslust und Hybris zum Schluß etwas eindimensional. In der berühmte Arie „Finch’han dal vino“ (Champagnerarie) zeigte er hektisch die Angst, etwas zu verpassen, konnte aber mit dem viel zu schnellen Orchester kaum mithalten.
Dies gelang mit unglaublich schnellem parlando und in allen Lagen sicher getroffenen Tönen Morgan Moody als Leporello. Seine „Registerarie“ ganz ohne Register war ein meisterliches Kabinettstück. Emily Newton als Donna Elvira liebt ja Don Giovanni bis zum Schluß und zeigte das auch körperlich immer wieder. Stimmlich gelangen gleich im ersten Terzett „Ah, chi mi dice mai“ die Oktavsprünge, sie traf die tiefen Töne und sang in ihrer zweiten Arie geläufige Koloraturen, Eine sängerische Klasse für sich war wie immer Eleonore Marguerre als Donna Anna. Schon sehr hochdramatisch klang ihre Stimme im ersten Akt bei „Or sai chi l’onore“ Ganz großartig gestaltete sie Rezitativ und Rondo „O crudele“ im 2. Akt mit strahlenden Spitzentönen und berauschenden Koloraturen . Mit seinem markanten Baß war Christian Sist ein Achtung gebietender Komtur. Wenn er auch zu Beginn starb, im Programmheft heißt es „wie auch immer das passierte“, war er doch bis zum Schluß immer wieder auf der Bühne anwesend, selbst als Don Giovanni im letzten Aufbegehren des toten Komturs Asche aus der Urne in die Gegend schleuderte. Der Opernchor sang passend.
Erstaunlich sind die grossen Gesangsleistungen auch deshalb, weil das hinter dem Gazevorhang platzierte Orchester den Kontakt mit den Sängern schwierig gestaltete. Kein noch so grosser Monitor konnte den fehlenden Blickkontakt hin und her zwischen Dirigenten und Sängern ersetzen, was häufiger als notwendig zu Unstimmigkeiten führte. Zusätzlich waren musikalische Feinheiten, insbesondere Soli einzelner Instrumente, kaum zu hören. Dazu kam, daß GMD Gabriel Feltz besonders im ersten Akt zu schnelle Tempi wählte, was den Sängern die Aufgabe erschwerte, etwa schnelles parlando überhaupt zu artikulieren. Auch wenn Mozart bei langsamen Tempobezeichnungen häufig „Alla breve“, also nicht 4/4 sondern 2/2, vorschreibt, klang etwa die Wucht der d-moll Passagen zu Beginn der Ouvertüre oder beim letzten Auftritt des Komturs durch zu schnelles Tempo wenig eindringlich. Gut war die Idee, beim Finale des ersten Akts die rhythmisch ungleichen Tanzthemen der kleinen Orchester aus der Höhe der Ränge ertönen zu lassen, nur klappte auch hier das Zusammenspiel nicht besonders.
Wie man Mozarts Rezitative einfühlsam begleitet, zeigten auf der Bühne platziert Andrei Simeon Violoncello und besonders durch kleine Motiveinschübe Luca De Marchi am Hammerklavier.
Bei Don Giovannis letzter Mahlzeit, wo er statt des besungenen „Marzemino“ Weißwein trank, waren wieder alle auf den vom Anfang bekannten Stühlen versammelt. Nach Giovannis Weigerung zu bereuen erdolchten ihn jeder für sich und alle zusammen. Dann konnte das Schlußsextett zeigen, daß bürgerliche Ordnung nur ohne einen Don Giovanni gedeihen kann.
Begeistert von Mozarts Wunderwerk galten riesiger Beifall und Bravi vor allem den Sängern, auch dem Dirigenten und Orchester, das Leitungsteam bekam Buhs und Beifall zu hören
Sigi Brockmann