Dortmund Opernhaus – Mozart „Die Zauberflöte“ – von Menschen und Märchenwesen
Premiere 28. November 2016 – besuchte zweite Vorstellung 4. Dezember 2016
Foto: Björn Hickmann stage picture
„Verorten“ nennt man das wohl auf Regisseur-Deutsch, wenn die Handlung einer hinlänglich bekannten Oper in ein völlig unerwartetes Umfeld verlegt wird. Dafür scheint sich die „deutsche Oper“ in zwei Akten „Die Zauberflöte“ von Wolfgang Amadè Mozart auf den Text von Emanuel Schikaneder besonders zu eignen. Der dort angegebene Handlungsort „Ägypten“ wurde eher beiläufig dem von Matthias Claudius übersetzten französischen Roman „Sethos“ entnommen, der als eine der Vorlagen der Oper diente. Das läßt jeglicher Regie-Phantasie freien Lauf. In Dortmund ließ sich der durch Musical-Inszenierungen bekannte Stefan Huber von der bunten Welt Walt Disneys.(selbst Freimaurer) inspirieren – erheblich sehenswerter als die öden Neon-beleuchteten Räume oder Irrenhäuser für jegliche Oper, die manche Regisseure bevorzugen. Teils recht hurtig spielten dazu die wie üblich für Mozart höher platzierten Dortmunder Philharmoniker unter Leitung von GMD Gabriel Feltz.
Knallbunt in Farbe und Beleuchtung (Licht Florian Franzen) waren die großflächigen Bühnenbilder von José Luna, die teils an Comic-Illustrationen erinnerten, für den Westfalen auch an Otmar Alt, etwa betreffend den Baum, an dem sich Papageno aufhängen will. Als „Weisheitstempel“ sah man eine Burg bestehend aus Gebäudeteilen vieler Großstädte, so u.a. der Kreml, der schiefe Turm von Pisa, die Freiheitsstatue mit einem für Gespräche über Liebe passenden Symbol statt der Fackel und als „Tempeltor“ ein schiefes Brandenburger Tor. Entsprechend dem häufig dargestellten hohlen Pathos der Priestergesellschaft hatte dieser Tempel als Rückseite der riesigen Fassade nur ein kleines Gebäude mit Freimaurersymbol.
Die Mitwirkenden waren teils als Menschen teils als Tiere aus Disneyland kostümiert (Kostüme auch José Luna). So trugen Sarastro einen goldenen und seine Priester andere glitzernde Business-Anzüge mit freimaurerischen Dreiecken verziert, um wiederum die Macht des für Unterhaltung sorgenden Konzerns zu zeigen.
Auch wohl aus diesem Grunde sang Sarastro (Luke Stoker mit warmem Baß aber Schwierigkeiten bei den extrem tiefen Tönen der Partie) seine „Hallenarie“ vor einem weit aufgerissenem zähnefletschenden Rachen.
Musikalisch war ein Höhepunkt Paminas Arie von enttäuschter Liebe „Ach ich fühl’s“ von Ashley Thouret sowohl im p als auch bei der Koloratur und dem grossen Intervall bei „Ruhe im Tode“ mir ergreifendem Ausdruck gesungen. Ebenso verfügte sie über dramatische Stimmkraft gegenüber Chor und auch im Duett mit Tamino.
Foto: Björn Hickmann stage picture
Diesen gestaltete Joshua Whitener mit stets gleichem hellen Tenortimbre recht dramatisch, stimmliche Nuancen besonders zum p hin gelangen ihm weniger.
Über die verfügte umso mehr Morgan Moody als Papageno, der vielleicht menschlichsten Partie nicht nur Mozarts. Trotz seines unglücklichen Entenkostüms sang er seine beiden „Hits“ mit schlanker gut geführter Stimme, verfügte über ergreifendes p, als er sich aus Liebeskummer erhängen wollte. Er war szenisch und sprachlich-sehr präsent, ohne die komische Seite der Partie zu übertreiben oder Wiener Akzent zu versuchen. Natürlich zum glücklichen Schluß ebenfalls im Entenkostüm sang und spielte Tamara Weimerich keck die alte und junge Papagena.
Ebenfalls in ungewöhnlichem Kostüm als Mickey-Mouse sang Fritz Steinbacher den Monostatos gar nicht als Buffo-Partie sondern mit schöner Tenor-Stimme. In seiner Arie „Alles fühlt der Liebe Freuden“ konnte er mit dem sehr schnell spielenden Orchester im Tempo und im p singend perfekt mithalten.
Als Königin der Nach war Cristina Piccardi vom Theater Hagen ganz kurzfristig eingesprungen. Dafür und trotz der für den teils weiten Abstand zum Publikum etwas kleinen Stimme gelangen ihr sowohl der Maestoso-Teil ihrer ersten Arie und die Koloraturen besonders der zweiten „Rache“-Arie sehr passend. Es zeigt das sängerische Niveau der Dortmunder Oper, daß die vielen kleineren Rollen aus dem Ensemble gut besetzt werden konnten. So wechselten sich Thomas Günzler und Blazej Grek als Geharrnischte und Priester ab. Schnippisch in Schmetterlingskostümen glänzten im Spiel und Gesang die drei Damen von Inga-Britt Andersson, Ileana Mateescu und Almerija Delic, allerdings konnten sie dem schnellen vorgegebenen Tempo im Allegretto ihres Terzetts im ersten Teil des ersten Aktes sängerisch und sprachlich kaum folgen.
Das schnelle Tempo beherrschten neben sängerischem Können die drei als Schweinchen-Schlau kostümierten Knaben der Chorakademie Dortmund Joshua Kranefeld, Vincent Schwierts und Nick Esser. Ihr Ensemble mit der liebeskranken Pamina war ein weiterer musikalischer Höhepunkt. Es zeigt die Bedeutung dieser Chorakademie, daß gestern zu derselben Zeit in der „Zauberflöte“ der Staatsoper Hamburg drei weitere ihrer Solisten, Böer, Bouchard und Ammer, die drei Knaben sangen.
Der Opernchor einstudiert von Manuel Pujol konnte im furiosen Tempo des ersten Finales vortrefflich mithalten. Würdig sangen die Herrn allein als Priester, die Chordamen beeindruckten zusätzlich als Sklavinnen des Monostatos mit raschem Bühnenspiel – einem Teil ihres Outfits nach hätten es sogar Sexsklavinnen sein können.
Nicht immer regte GMD Gabriel Feltz die Dortmunder Philharmoniker zu dem von ihm gewohnten schnellen Tempo an. Zwar schien z.B. die Orchesterbegleitung des Chorals der „Geharnischten“ für „Adagio“ recht rasch. Andererseits erfreute schon in der Ouvertüre beim Übergang vom Adagio zum dann wieder sehr schnellen Fugato ein gefühlvolles Ritardando mit bewundernswert zartem p. Besonders für die Begleitung von Pamina und Tamino wählte er zurückhaltendere wenn erforderlich auch variable Tempi. Die Bläser spielten die berühmten Es-Dur-Akkorde würdig und mit rundem Klang, die vielen Soli der Holzbläser wurden zur Freude des Hörers sorgfältig ausgeführt.
Zum Schluß schmissen Tamino und Pamina den von Sarastro jetzt beiden umgehängten Königsmantel diesem vor die Füsse, entledigten sich ihrer Kleidung, Tamino des Pfadfinderanzugs – sein Pfad war nun zu Ende – und Pamina des Abendkleids und rannten in die Ferne.
Auch dank der Übertitel bei den Arien folgte das Publikum im ausverkauften Dortmunder Opernhaus sehr aufmerksam dem Geschehen und applaudierte Solisten, Chor, Orchester und Dirigenten, vor allem aber den drei Knaben, mit Klatschen und Bravos bis zum Senken des Vorhangs. Wie schade, daß es vorbei ist, hörte man eine Meinung – wie passend am Vorabend des 225. Todestags von Mozart!
Sigi Brockmann 5. Dezember 2016