Dortmund Opernhaus „Arabella“ – musikalisch ein Hochgenuß
Premiere 24. September 2017 besuchte Aufführung 20. Oktober 2017
Copyright: Thomas Jauk/ stage picture
Im Jahr 1923 erbat Richard Strauss von Hugo von Hofmnnsthal „am liebsten einen zweiten Rosenkavalier, ohne dessen Fehler und Längen“ Hofmannsthal antwortete nur wenig später „Was Sie unter einem „zweiten Rosenkavalier“ verstehen, glaube ich genau zu fühlen. Es müßte die Handlung in Wien spielen etwa 1840 oder so“ Daraus entstand nach üblichem Hin und Her die lyrische Komödie in drei Aufzügen „Arabella“ op. 79. Uraufgeführt wurde sie erst nach Hofmannsthals Tod im Jahr 1933 in Dresden . Gewidmet war sie zunächst dem Dirigenten Fritz Busch und dem Intendanten Alfred Reucker, beide wurden durch die Nazis vorher ihrer Posten enthoben, die Uraufführung dirigierte Clemens Krauss.
Zum Glück ging in Dortmund Intendant Jens-Daniel Herzog in seiner Inszenierung darauf nicht ein. Auch konnte konnte man von ihm nicht erwarten, eine biedermeierlich – elegante Wiener Gesellschaft auf der Bühne zu sehen. Vielmehr wurde Arabella dargestellt als heutige kapriziöse etwas arrogante junge Frau, die mit ihren drei dekadenten Verehrern ihr Spiel trieb – Spiele jeder Art, wie gezeigt wurde, ganz im Gegensatz zu ihrer wahrer Liebe fähigen Schwester Zdenka. Insgeheim sehnte sich Arabella aber nach einem Macho , der ihr zeigte, „wer der Richtige“ war, also „ihr Gebieter“ werden könnte. Da kam Mandryka als herrisch auftretender Großbauer aus östlichen Wäldern und Feldern wie gerufen – war er ja auch, nämlich vom Vater. Zuerst trat Mandryka allerdings auf wie ein neureicher Mafia-Boss mit einem Muskelprotz als Leibhusar (Mario Ahlborn).
Das alles spielte sich ab auf einer kühlen Einheitsbühne mit sparsamen Mobiliar, meist reichte eine Reihe von unbequemen Stühlen, die natürlich bei Bedarf umgeworfen werden mußten. (Bühne Mathis Neidhardt). Passend konnte man hinter der durchsichtigen Rückwand im ersten Aufzug Graf Waldner mit Kumpanen am Spieltisch sehen, im zweiten Aufzug den Faschingsball ahnen. Einzig das gefühlvolle Ende spielte auf einer trotz Neonbeleuchtung einen Rest von Romantik vermittelnden Treppe. Etwas nostalgischer, nämlich etwa in der Mitte des vorigen Jahrhunderts angesiedelt, waren die Kostüme von Sybille Gädeke, für die Damen prächtige Abendkleider, die Herren im Smoking.
Zum grossen Abend wurde die Aufführung durch die musikalische Darstellung. Alle stimmlichen Leistungen waren zu loben, zudem waren alle soweit eben möglich, textverständlich, bei einem Textdichter vom Rang Hofmannsthals ist letzteres wichtig, aber auch besonders erwähnenswert angesichts der vielen Herkunftsländer der Mitwirkenden.

Copyright: Thomas Jauk, Stage Picture
Begeisterung erweckte Eleonore Marguerre in der riesigen Titelpartie. Jugendlich in Aussehen und Spielfreude gelang ihr eine glaubhafte Darstellung der jungen Frau – eben keine schon etwas ältere Diva. Ohne Ermüdungserscheinungen sang sie bis zum Schluß das oft chromatisch auf- und absteigende schnelle Parlando, traf auch die tiefen Noten ihrer Partie und glänzte in den nachdenklichen Selbstgesprächen mit leuchtenden Legato-Bögen bis zu hohen Spitzentönen, etwa dem viertaktigen hohen b zum abschliessenden „nimm mich“ Ihre beiden „Hits“ (Aber der Richtige – Du sollst mein Gebieter sein) hinterliessen hörbar besondere Freude bei den Zuhörern – es summte jemand mit! Grossen Eindruck hinterliess auch Ashley Thouret als Zdenko/Zdenka in der trotz aufgezwungener Knabenkleidung glaubhaften Darstellung der grossen Liebe – charakterlich ist die Rolle fast vielschichtiger als die der Arabella. Auch sie beherrschte das rasche Parlando, sang fast ohne zu forcieren ihre teils noch höheren Spitzentöne. So geriet das Duett der beiden Schwestern im ersten Aufzug zu einem Höhepunkt des Abends – zu Recht gab es hier den einzigen Zwischenapplaus.
Wenn nötig konnte sich Sangmin Lee in der Paraderolle des Mandryka mit ganz grosser auch bedrohlicher Stimme bis zu den sehr tiefen Tönen gegen das stark besetzte Orchester steigern – „Fettgewebeentartung der Instrumentation“ nannte letzteres etwas übertrieben der englische Musikwissenschaftler Neville Cardus. Bei Aufzählung seiner Ländereien angesichts der Beschreibung seines Jagdunfalls mit einer Bärin bewunderte man das ganz schnelle Parlando. Regiebedingt konnte der die gefühlvolleren Teile seiner Partie – etwa die Erzählung von seiner verstorbenen Frau oder in den Duetten mit Arabella – nur stimmlich zum Ausdruck bringen.
Als noch recht jugendlicher Graf Waldner überzeugte Morgan Moody stimmlich und im Spiel elegant, der als besorgter Familienvater aber seine Abhängigkeit vom Glücksspiel nicht aufgeben wollte. Aus seiner Frau Adelaide machte Almerija Delic stimmlich mit wohlklingendem Mezzo und szenisch passend eine gelungene Charakterstudie der älter werdenden Frau, die einem Liebesstündchen mit Arabellas abgelegtem Verehrer Dominik (Marvin Zobel) nicht abgeneigt war. Letzterer sowie Alexander Sprague als Elemer und Luke Stoker als stimmächtiger und zum Abschied lange und intensiv geküßter Lamoral spielten witzig dekadent und sangen dazu passend die drei schmeichlerischen Verehrer Arabellas. Mit heldentenoraler Stimmkraft behauptete sich Thomas Paul gegen das grosse Orchester, statt „Jägeroffizier“ ungünstig kostümiert als Sicherheitsbeamter. Anders als in früheren Aufführung jodelte jetzt Emily Fultz höhensicher die Koloraturen der Fiakermilli, besonders die grossen Intervallsprünge, als sie ohne Orchesterbegleitung sang. Für die kleine Partie der Kartenaufschlägerin war Julia Amos eine Luxusbesetzung.
Die kurzen Choreinwürfe im zweiten Aufzug sang in schrägen Faschingskostümen gewohnt zuverlässig der Chor des Theaters Dortmund einstudiert von Manuel Pujol.
Als Hauptträger des musikalischen regte GMD Gabriel Feltz die Dortmunder Philharmoniker zu transparentem aber wenn gewollt auch süffigem Richard-Strauss-Klang an. Letzteres galt besonders für die verschiedenen Walzertempi. Insgesamt entsprach sein Tempo wohl mehr oder weniger nach den Metronom-Zahlen, wie Strauss sie vorgesehen hat. Soweit möglich versuchte er die Lautstärke bei Begleitung der Sänger zurückzuhalten. Orchestraler Höhepunkt war die Überleitung vom zweiten zum dritten Aufzug, von der Darstellung von Zdenkas und Matteos wilder Liebesnacht bis zur ganz wunderbar p gesungenen Reflektion Arabellas über ihr künftiges Leben als Großbäurin. Da hörte man, daß zwischen „Rosenkavalier“ und „Arabella“ Strauss die „Frau ohne Schatten“ und die „ägyptische Helena“ komponiert hat – beide schon in Dortmund aufgeführt..Stellvertretend für die vielen instrumentalen Soli sei das der Bratsche vor Arabellas Selbstbetrachtung „Mein Elemer“ gelobt.
Der Schluß war zunächst wenig überzeugend. Nach Arabellas Abgang trank Mandryka wohl aus Liebeskummer so viel Wodka, daß der auf einer Treppenstufe einschlief, sodaß Arabella mit ihrem Glas Wasser in der Hand ohne Reaktion des Angesprochenen allein singen mußte. Das Wasser tauschte er erwacht dann auch gleich gegen Wodka. Dann aber gab es einen vielleicht doch gute Zukunft des Paares andeutenden Abschluß. Im zweiten Aufzug hatte Mandryka der rauchenden Arabella ihre Zigarette weggenommen, jetzt bot er ihr selbst eine an, die sie wegwarf – eheliche Rücksicht?
Das Publikum im nicht übermässig gefüllten Opernhaus klatschte lange Beifall, einige erhoben sich auch von den Plätzen.
Sigi Brockmann 21. Oktober 2017