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DORNACH/Goetheanum/ Basel: „Faust I und II – ungekürzt“ . Faust am Goetheanum auf neuen Wegen

28.03.2016 | Theater

Dornach: Goetheanum – Grosser Saal – „Faust I und II – ungekürzt“  –  Besuchte Aufführungen: 25. – 27.03.16

 Faust am Goetheanum auf neuen Wegen

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Goetheanum Dornach. Copyright: Goetheanum

Das Goetheanum zu Dornach – Entworfen und gebaut wurde der imposante Bau durch Rudolf Steiner, nachdem das erste Goetheanum, welches 1913 in Dornach errichtet wurde, einem Brandanschlag zum Opfer fiel.

Der 1925 – 1928 in Eisenbeton errichtete Bau sowie die Nebenbauten fügen sich mit ihren speziellen Formen in die umliegende Juralandschaft ein. Eingebettet in eine herrliche, grosse Parkanlage bietet das monumentale Gebäude das ideale Ambiente zum Studieren, Philosophieren, Musizieren – und Theaterspielen.

So gelangen in Dornach nebst bedeutenden Klassikern der Theaterliteratur zentral die Werke Rudolf Steiners – namentlich die vier Mysteriendramen – und eben Goethes „Faust I und II“ in ungekürzter Fassung zur Aufführung.

Interpretiert die heutige Theaterpraxis häufig zeitliche Entwicklungen und Vorgänge, so sind die Dornacher Aufführungen stark im Sinne Steiners als Seelenvorgänge angelegt und stellen den Menschen und seine Seele ins Zentrum des Geschehens. Die „äussere“ Aufführungspraxis, will sagen: Bühnenbild und Personenführung, erschienen bislang weitgehend traditionell und orientierten sich streng an der Inszenierungspraxis Rudolf und Marie Steiners.

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Copyright: Goetheanum

Diese Sichtweise scheint sich jedoch zumindest mit der Neuinszenierung des „Faust“ zu wandeln. Zur 75. Gesamtaufführung schlägt die Goetheanum-Bühne mit Regisseur Christian Peter eine neue Richtung ein. Dies geschieht jedoch nicht radikal, sondern als „sanfte Revolution“. Das ist sicher der richtige Weg, werden dadurch die Aufführungen in Dornach auch für Nicht-Anthroposophen nachvollziehbar, verständlich und somit verstärkt attraktiv. Regisseur Peter wirkt schon lange als Regisseur und Schauspieler im Goetheanum – auch im „Faust“ – er weiss also, was er tut. Unterstützt wird er dabei durch die Basler Regisseurin Andrea Pfaehler.

In der Neuinszenierung setzen der Regisseur und sein Bühnenbildner Roy Spahn auf grosse Räume entrümpelte Bühne. So bilden in Faust I zwei mobile Gerüste, von welchen eines begehbar ist, die Bühne. Durch deren Verschiebung werden eindrückliche Räume gebildet. Faszinierend schlicht gerät Gretchens Zimmer. Das Bett, wo ja des Mädchens Leid seinen Anfang nimmt, steht verheissungsvoll bedrohlich hinter der Trennwand, am Bühnenrand ein Tisch, ein Stuhl, eine Truhe – schlicht, schnörkellos. Dass Faust’ s Studierzimmer ein gotischer Raum ist, wird lediglich durch die Stuhllehne erkennbar. Durch die wenigen, jedoch gezielt eingesetzten Requisiten werden Goethes Anweisungen jedoch auf gekonnte Weise zumindest angedeutet. Den Rest besorgt das überwältigende Lichtdesign von Ilja van der Linden. Auch die Kostüme wurden durch Rob Barendsma sanft modernisiert und bleiben daher zeitlos. Im zweiten Teil der Tragödie dominieren Elemente, welche durch entsprechende Kombinationen die Bühne bilden.

Dies alles wirkt nicht schockierend neu, sondern wird als gekonnte Weiterentwicklung des Bisherigen empfunden. Weiterhin wird viel mit Tüchern gearbeitet, welche fantastisch beleuchtet für mystische Bühnenmagie sorgen. Schade, dass die Umbauten, welche oft auf offener Szene vorgenommen werden, vielfach geräuschvoll über die Bühne gehen.

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Copyright: Goetheanum

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Copyright: Goetheanum

Die geniale Musik (Zusammenstellung und eigene Kompositionen) von Florian Volkmann lockert die Aufführungen gekonnt auf. Gerade der erste Akt des zweiten Teils gerät zum veritablen Singspiel; dies zur grossen Begeisterung des Publikums. Der Komponist ist zusammen mit einem kleinen Musikerensemble musikalisch selber aktiv. Sopranistin Marion Ammann – ja, DIE Marion Ammann – gibt die kleinen, aber dafür mörderisch schweren, solistischen Gesangsparts. Ein Highlight für sich ist der Schüler David Aurel Stuten an der Klarinette und an der Bassklarinette.

Fester, integraler Bestandteil der Aufführungen ist und bleibt die Eurythmie. Die durch Rudolf Steiner zur expressiven Kunst weiterentwickelte Kunst geht auf das 19. Jahrhundert zurück. Steiner entwickelte daraus eine Gebärdensprache, mit welcher Texte durch den ganzen Körper dargestellt werden. Dort, wo Steiner genaue Anweisungen gab, setzt diese Margrethe Solstad (Regie Eurythmie) auch in der Neuinszenierung gezielt ein, alles weitere entwickelt sie neu. Dabei kommen auch Ballett- und Tanzformen zum Einsatz. Das alles setzt das grossartige Eurythmie-Ensemble gekonnt um und macht die Eurythmie-Elemente auch für Unkundige zum faszinierenden Erlebnis. Solistisch tritt da Margrethe Solstad als Sorge (Faust II, Mitternacht) besonders eindrücklich in Erscheinung. Bei den Herren gefallen die eleganten, geschmeidigen Eurythmisten Rafael Tavares de Oliveira und Angelus Huber besonders. Huber bringt durch sein Tanzstudium an der Ballettschule der Wiener Staatsoper noch besondere zusätzliche Voraussetzungen mit.

Seit einiger Zeit verfügt die Goetheanum-Bühne – mal von der „Jungen Bühne“ abgesehen – über kein eigenes Schauspielensemble mehr. So werden für die jeweiligen Produktionen Ensembles aus verschiedenen Theatern Europas zusammengestellt. Als „alter“ Faust ist Bodo Bühling im Einsatz. Der an der Novalis-Bühne Stuttgart ausgebildete Schauspieler ist Mitbegründer des Schauspielensembles „Im-Puls“ und wirkt als Theaterpädagoge in München. Bühling verleiht Faust starke körperliche Präsenz. Leider hat er des öfteren mit Textlücken – er kann sich aber voll und ganz auf die Souffleuse verlassen – und der sprachlicher Verständlichkeit zu kämpfen. Letzteres ist nicht ausschliesslich auf den Künstler zurückzuführen. Der Saal ist akustisch sehr schwierig und bereitet deswegen auch anderen, an dieser Bühne nicht so erfahrenen Künstlern etliche Probleme. Den „jungen“ Faust gibt Bernhard Glose überzeugend. Auch die Rolle des Mephisto hat Christian Peter „geteilt“. Der freischaffende Basler Schauspieler Urs Bihler, der bis 2012 als Ensemblemitglied am Theater Basel wirkte, stürzt sich mit wahrer Spielfreude in die Rolle des Höllenchefs. Leider kann er wegen grosser Textunsicherheit sein phantastisches Potenzial für Mephisto nicht voll ausschöpfen. Was wirklich in ihm steckt, – des Pudels Kern so quasi – zeigt Bihler als Trunkener im Mummenschanz und erhält dafür hoch verdienten Szeneapplaus. Als zweiter Mephisto begeistert Maarten Güppertz mit sanft niederländischem Akzent. Ein absolut berührendes Gretchen gelingt der jungen hiesigen Schauspielerin Elena Conradt. Von Katja Axe als Marthe hätte ich mir etwas mehr „Biss“ erhofft. Wunderbar verständlich gerät Barbara Stuten die schöne Helena. Sie zählt zu den an dieser Bühne erfahrenen Schauspielerinnen und kann deshalb die akustischen Probleme des Saals souverän meistern.

Fazit I: Alles in allem ist „Faust I und II, ungekürzt“ am Goetheanum Dornach ein faszinierendes Erlebnis. Als Tagung organisiert, bieten die Veranstalter eine Vielfalt von Veranstaltungen, wie Einführungsvorträge und Führungen durch das Haus. Im Teil „Fragen zur Inszenierung“ stellen sich Christan Peter, Margrethe Solstad, Andrea Pfaehler und Alexander Höhne (dramaturgischer Berater) den kritischen Fragen der Zuschauer und geben offen Auskunft. Organisatorisch wäre die Verbesserung des Transportes mit dem örtlichen Bus vom Bahnhof zum Goetheanum zu überprüfen. Schade auch, dass das „Kaffee- und Speisehaus“ nicht geöffnet hatte; denn nicht alle Besucher buchten die Tagung mit integrierten Mahlzeiten im Schreinereisaal. Grossen Zuspruch fanden verdient die Verpflegung mit Kaffee, Tee, leckerem Kuchen, kalten Getränken und feinen Snacks in den kleinen Pausen.

Fazit II: Hochverdiente Standing Ovation am Schluss für die Aufführenden – und wohl auch für die vielen guten Geister hinter den Kulissen. Die „Kinderkrankheiten“ von „Faust I und II ungekürzt“ werden sich im Lauf der Zeit auskurieren; denn auch dieses riesige Projekt wird sich weiter entwickeln. Auf dem richtigen Weg ist es auf jeden Fall!

Michael Hug

 

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