Dornach/Schweiz: Neues Theater – swiss offspring ballet – «liebst du um schönheit» – Franz Brodmann und Enrico Musmeci (Choreographie)
– 16.06.2023
Die Schönheit im Gegensatz
Das swiss offspring ballet bietet im Rahmen eines Bühnenpraxisjahres jungen professionell ausgebildeten Tänzerinnen und Tänzern, welche am Anfang ihrer Karriere stehen, die Gelegenheit wertvolle Erfahrungen auf verschiedenen Bühnen sowie mit verschiedenen Choreografen zu sammeln. Mit ihren Programmen tourt die Compagnie durch verschiedene grössere und kleinere Bühnen in der Schweiz.
In der Regio Basiliensis sind sie heuer mit dem zweiteiligen Tanzabend «liebst du um schönheit» im Neuen Theater Dornach (in diesem Ort steht auch das «Goetheanum») zu Gast.
In seiner titelgebenden Choreografie «liebst du um schönheit» setzt sich Choreograf Franz Brodmann zur Musik von Bach, Busoni, Biber, Monteverdi, Flecha mit der Frage auseinander, ob heute Schönheit in der Kunst heutzutage überhaupt noch vertretbar ist. Insbesondere die «schöne Linie» im klassischen Ballett stellt Brodmann in seiner jüngsten Arbeit in Frage. Es wird nicht überraschen, dass diese Frage nicht abschliessen beantwortet werden kann. Das ist gut so, denn so bleibt künstlerische Weiterentwicklung möglich.
«liebst du um schönheit» – Foto: Jean-Pierre Adorr
Und so startet der Abend mit einem klassischen Pas de Deux, in welchem der Choreograph die strengen klassischen Formen und Linien aufbricht und in Movements des Modern Dances überleitet. Besetzt ist das Duett mit Risa Yatsuki und Alex Hallas, wobei sich die junge Tänzerin gerade bei den Hebungen deutlich zu modernen Movements «hinreissen» lässt, während ihr Partner eher dem klassischen Stil treu bleibt – ein harmonischer Konflikt sozusagen … Die Compagnie nimmt dieses Grundmotiv auf und steigert es weiter, dabei gefällt Camelia Steiner mit ihrem Solo zu Monteverdis «Illustratevi, O Cieli». Das Ganze gipfelt zur Musik von Bach/Busoni («Chaconne, Bearbeitung für Klavier aus Partita Nr. 2») zum totalen Bewegungswahnsinn, dem sich die Compagnie extatisch hingibt. Dabei sticht der gross gewachsene Schweizer Tänzer Lorenzo Rufo mit seinem schier unerschöpflichen Bewegungsrepertoire besonders heraus. Er bildet den eigentlichen Gegenpart zu Alex Hallas, der in den herkömmlich klassischen Phasen überzeugt.
«addio bambole» – Foto: Jean-Pierre Adorr
«addio bambole» ist ein Stück, welches der freischaffende italienische Choreograf Enrico Musmeci als Auftragswerk für das swiss offspring ballett geschaffen hat. Es handelt sich dabei um eine Hommage an die italienische Film-Ikone Anna Magnani. «addio bambole» könnte auch als Tanztheaterstück verstanden werden, fliessen dabei auch Gelächter, Schreie und gesprochene Textfragmente mit ein. Das Ensemblestück zeigt eine Gruppe Puppen oder Marionetten, welche aus ihrem mechanischen Bewegungsrepertoire ausbrechen und den Zugang zur «schönen Linie» des klassischen Tanzes finden wollen – also gerade der Gegensatz zu Brodmanns Stück, in welchem die klassischen Movements in Richtung Moderne aufgebrochen werden.
Musmeci erweitert mit seiner Arbeit die tänzerische Sprache der Aufführenden. Präzise, exakt werden die messerscharfen, clownesken Bewegungen der «Puppen» ausgeführt. Eine beeindruckende Erfahrung für das Publikum (und sicher auch für die Tanzenden) die Compagnie eine ganz andere, ungewohnte Sprache tanzen zu sehen.
Ilaria Graci, Letizia Bonacini, Risa Yatsuki, Alicia Axelius, Carmelia Steiner, Gioia Stehli, Gabriella Arcuric sowie Alex Hallas und Lorenzo Rufo bilden eine bestens aufeinander abgestimmte Gruppe auf technisch sehr hohem Niveau. In «addio bambole» sind exakte Abläufe und präzise Übergänge von existenzieller Wichtigkeit, genauso wie in «liebst du um schönheit» nebst dem Rhythmus auch Melodie und Emotion der Musik ausgetanzt werden müssen. Zwei Herkulesaufgaben, welche das swiss offspring ballet beeindruckend meistert.
Foto: Michael Hug
Franz Brodmann und seine Compagnie dürfen sich zu Recht über den freudigen Applaus des Publikums freuen.
Michael Hug