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DORNACH/ Goetheanum/ Schweiz: PARSIFAL – Eurythmie in Verbindung mit dem Bühnenweihfestspiel. Neuinszenierung

10.04.2023 | Oper international

Dornach/Goetheanum: PARSIFAL NI am 7. April 2023

 Eurythmie in Verbindung mit dem Bühnenweihfestspiel

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Roman Payer (Parsifal). Foto: Francois Croissant

 Wenn man langsam den Berg hinaufwandert, um zum über Dornach thronenden Goetheanum aus dem Jahre 1928 (Bühnensanierung mit Einbau eines Orchestergrabens 2014) mit seiner einzigartigen Architektur im organischen Sichtbetonstil in der anmutigen Juralandschaft zu kommen, hat man das Gefühl, man gehe hinauf zu einer Gralsburg. Und wenn man bedenkt, wie grün dieser Hügel im Sommer sein wird, ist assoziativ auch der legendäre Grüne Hügel von Bayreuth nicht fern… Also, was liegt hier näher als Richard Wagners Abschiedswerk „Parsifal“ aufzuführen? Dabei war das keineswegs selbstverständlich und Resultat einer langen und so sorgsamen wie detailverliebten Vorbereitung nach der Idee des Prozenten Alexander von Glenck, der im Goetheanum schon einen „Figaro für Operneinsteiger“ gegeben hat, um Schulkinder mit der Kunstform Oper vertraut zu machen. Ein äußerst löbliches Unterfangen, das man viel öfter realisieren sollte, um der Oper eine längeres Überleben zu sichern.

Die andere Säule der Idee und Vorbereitung dieses Dornacher „Parsifal“ ist die Deutsch-Iranerin Jasmin Solfaghari, die, und das sieht man an ihren Inszenierungen, Musiktheaterregie bei Götz Friedrich in Hamburg studiert hat und die Bühnenbild-Ästhetik von Adolphe Appia schätzt, der bei Cosima und Siegfried Wagner bekanntlich abblitzte, wohl zum Nachteil von Bayreuth. Mit seinen Vorstellungen von einer hierarchischen Differenzierung des unbelebten Bühnenbildes, wonach an erster Stelle das Licht, dann die Dekorationen und zuletzt die Malerei kommt und der Musik eine Sonderrolle zugewiesen wird, zumal sie die Bewegungen des Darstellers im Raum festlegt, hätte der Hort des Wagnertums wohl eine andere und innovativere Richtung eingeschlagen. Dabei nahm sich Appia ähnlich wie Wagner das griechische Theater zum Vorbild.

Und wie bei Appia stehen auch bei Solfaghari, die übrigens 2018 im dänischen Odense einen beachtlichen „Ring“ inszenierte (Merker 07/2018), Handlung und Vorgang im Mittelpunkt und werden durch die Schlichtheit und Offenheit des Bühnenraumes nicht mehr als künstlich empfunden. Solfagharis Personenregie in den Bühnenbildern und die stets zur Gesamtoptik passenden und geschmackvollen Kostümen sowie das Videodesign von Walter Schütze finden sich in dieser Inszenierung in vollständiger Harmonie mit den dramaturgischen Intentionen Wagners. Sie bewirken eine unmittelbare Verständlichkeit und damit hohe Erlebnisintensität dessen, was auf der Bühne vor sich geht, ganz im Unterschied zu den exzessiven Formen des Wagnerschen Regietheaters. Dazu trug auch das hervorragende Lichtdesign von Klaus Suppan bei.

So macht diese Produktion einen besonders starken in sich geschlossenen Eindruck, da mit der Bewegung der Solisten und Ensembles auf der sich immer wieder verändernden Bühne auch eine beeindruckende Harmonie mit der Musik und ihrer jeweiligen Aussage durch die Leitmotive und thematischen Linien erreicht wird. Denn die Bühnensegmente verschieben sich immer wieder nahezu unmerklich und geben damit Auftrittsflächen für Sänger, Chor oder Ballett frei, die auf ganz natürliche Weise umgehend eingenommen werden, sodass ein holistischer musiktheatralischer Eindruck entsteht. Dabei werden für das Bühnenbild im wesentlichen geometrische Formen gewählt, wobei durch zwei leichte Ausschnitte links und recht eine zur Thematik des Stücks bestens passende Kreuzandeutung gemacht wird.

Und nun kommt eine für die Wagner-Bühne bisher wohl ganz neuartige Kunstform für die Interpretation des Geschehens hinzu, die Eurythmie. Dafür muss man zunächst ein paar Worte zu Rudolf Steiner (1861-1925) sagen. Der Philosoph, Naturwissenschaftler und Goethe-Forscher entwickelte die Anthroposophie als Geisteswissenschaft: einen individuellen und christlich-spirituellen Entwicklungsweg, sichtbar in der Kunst, in sozialer Gestaltung und praktischen Initiativen, wie im Programmheft unterstrichen wird. Anthroposophie wird von Steiner also als Weisheit vom Menschen benannt, eine Methode, mit der das Spirituell-Geistige auf einem bewussten Erkenntnisweg gefunden werden kann – ein Weg, der grundsätzlich jedem Menschen offen steht.

Das Goetheanum in Dornach ist heute Sitz der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft und der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft, sowie internationales Tagungshaus, ein Museum und eine der größten Theater-Bühnen in der Schweiz. Aus dem Konzept der so verstandenen Anthroposophie entwickelte sich eine neue Bewegungskunst, die Eurythmie. Die Goetheanum-Bühne unterhält auch das weltweit älteste Eurythmie-Ensemble. Diese Bewegungskunst wurde vor etwa 100 Jahren von Rudolf Steiner entwickelt, um das Geistige in Sprache und Musik sichtbar zu machen. In diesem Sinne sollte sich also nun in der Eurythmie-Regie von Stefan Hasler, seit 2018 Mitglied des Goetheanum-Eurythmie-Ensembles und Verfasser von Forschungsarbeiten u.a. zur Ton- und Lauteurythmie und zur Eurythmie-Pädagogik, die Eurythmie mit der Oper in „Parsifal“ verbinden.

Das sah dann konkret wie folgt aus. Bereits im langen Vorspiel und dann bei allen Orchesterzwischenspielen, aber auch in von Protagonisten beherrschten Szenen wie jener Klingsors zu Beginn des 2. Aufzugs oder in der Blumenmädchen-Szene erleben wir tänzerische Interpretation mit einer der jeweiligen Szenenaussage entsprechenden Farbgebung in den Kostümen und auch in der Dynamik und Gestaltung der Bewegung. Sie wird dargestellt vom Goetheanum-Eurythmie-Ensemble und dem Else-Klink-Ensemble, Eurythmeum Stuttgart unter der Leitung von Severin Fraser. Das ist durchaus immer wieder eindrucksvoll, weil damit ein zusätzliches Interpretations-Element zum rein Musikalischen hinzutritt und sich mit der Musik in hohem Maße optisch und rhythmisch zu verbinden und so eine integrale Harmonie herzustellen versucht – wenn man so will, eine Weiterung der Wagnerschen Vorstellung vom Gesamtkunstwerk. Dieses ist ja gerade im „Parsifal“ als seinem letzten Werk von so großer Bedeutung.

Allerdings kann das Konzept der Eurythmie auch über das Ziel hinausschießen, wie die Vervierfachung der Figur der Kundry offenbarte, die mit drei hexenartig kostümierten weiteren Kundrys sozusagen getrippelt wurde. Das machte nun gar keinen Sinn, denn die Kundry ist nicht durchwegs eine schlechte Figur, wie das durch die immer wieder auftretenden Hexen unabhängig von der jeweiligen Szene und ihrer Aussage insinuiert wird. Außerdem stören die Bewegungen der drei die im Vordergrund stehende Interaktion Kundrys mit Gurnemanz, Klingsor, Parsifal und anderen. Die Bewegungskunst der Eurythmie ist auf der Wagner-Bühne aber eine interessante Option, wegzukommen von den mittlerweile nicht nur inszenierten sondern immer wieder auch überinszenierten Vorspielen bzw. Ouvertüren und durch den Tanz wieder zu einer musiktheatralisch angemessenen Form der Deutung eben auch solch längerer Orchesterstücke zu gelangen. Es kommt also auf eine gute und den normalen dramaturgischen Ablauf nicht störende oder verwässernde Dosierung an. Hier ist enge Kooperation zwischen der Regie und der Regie der Eurythmie gefragt.

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Ivonne Fuchs (Kundry). Foto: Francois Croissant

Zu diesem dem Gesamtkunstwerk-Gedanken Wagners sehr nahe kommenden Dornacher „Parsifal“ trug natürlich auch ein sorgfältig ausgewähltes Sängerensemble bei, welches ebenfalls von der Regisseurin gecastet wurde. Andreas Hörl singt einen souveränen Gurnemanz mit einem dunklen und resonanzreichen Bass bei bester Diktion. Roman Payer ist ein jugendlich drängender Parsifal mit schönem tenoralem Timbre, wenn auch die Stimme noch an Volumen hinzugewinnen kann. Alejandro Marco-Buhrmester ist ein ebenso bewährter Amfortas mit Bayreuth-Hintergrund wie Wilhelm Schwinghammer als Luxusbesetzung für den Titurel. Dieser steht übrigens die ganze letzte Szene des 1. Aufzugs in königlichem Ornat auf der Bühne, während das blutrote Gewand von Amfortas symbolhaft die sich nicht schließende Wunde andeutet. Thomas Jesatko ist ein stimmstarker und resoluter Klingsor. Einen außerordentlich guten stimmlichen und auch darstellerischen Eindruck machte Ivonne Fuchs als Kundry, die in Dornach mit dieser Rolle debutierte. Mit großer Gesangskultur und mühelosem Meistern auch der dramatischen Momente zum Ende des 2. Aufzugs konnte sie das gesamte Publikum begeistern. Von ihr wird sicher als Kundry noch oft zu hören sein, und nicht nur mit dieser Rolle.

Alina Behning, die auch die Stimme aus der Höhe sang, Rebecca Davis, Marion Ammann und Margaret Rose Koenn waren exzellente Blumenmädchen ganz in Rot – auch hier die Farbe wieder mit starker Aussagekraft! Und sie wurden choreografisch auch gut vor dem Damenchor herausgestellt. Alexander Papandrea und Frieder Flesch waren gute Gralsritter, und Taryn Knerr, Teaa An, Grégoire Delamare sowie Pawel Jeka ebenso gute Knappen. Andreas Klippert hatte das Vokalwerk der Opernfestspiele Heidenheim, welches dort von GMD Prof. Marcus Bosch gegründet wurde, einstudiert. Dieser Chor wurde in jeder Weise den hohen Anforderungen des „Parsifal“ gerecht. Herrlich allein das Verklingen des Damenchores aus „höchster Höhe“ im Finale…

Roland Fister dirigierte mit großer Wagner-Kenntnis, die sich insbesondere ab dem 2. Aufzug zeigte, die Philharmonie Baden-Baden, die relativ weit unten im Graben saß, was neben der ohnehin exzellenten Akustik des mit 1.000 Zuhörern vollbesetzten Saales einen wunderbaren „Parsifal“-Sound ergab. Fister hatte schon den zu Beginn erwähnten „Figaro für Operneinsteiger“ in der Regie von Jasmin Solfaghari im Goetheanum dirigiert und scheint offensichtlich vertraut mit den musikalischen und akustischen Bedingungen.

Allein dieser Klang ließ nahezu zwangsläufig den Gedanken aufkommen, dass es wohl ein großer Gewinn wäre – aber zunächst mal nur „ein großer Gedanke“ – wenn dieses Haus eine regelmäßige Spielstätte für Richard Wagner würde, der ja gerade in der Schweiz einen so großen Teil seines Oeuvres geschaffen hat, solange sich der rechte Träger und die erforderlichen Sponsoren finden.

Schon jetzt wurde verlautbart, dass dieser „Parsifal“ aufgrund der großen Nachfrage (alle drei Aufführungen waren ausverkauft!) im kommenden Jahr zu Ostern erneut dreimal gespielt werden soll! Sehr schön!                  

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Andreas Hörl beim Schlussapplaus. Foto: Klaus Billand                                                    

Klaus Billand

 

 

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