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DONAUESCHINGER MUSIKTAGE 2016 – Musik und Dialogpartner

17.10.2016 | Konzert/Liederabende

 Donaueschinger Musiktage 2016

MUSIK ALS DIALOGPARTNER (14 . – 16. Oktober 2016)


Copyright: Ralf Brunner

Donaueschinger Musiktage 2016 setzten vom 14. bis zum 16. Oktober Akzente auf die Annäherung zur Pop-Musik/DONAUESCHINGEN Die Donaueschinger Musiktage 2016 erkundeten die vielschichtigen Schnittstellen zwischen Avantgarde und Pop-Musik. Und man kann sich vorstellen, dass sie sich auch in den folgenden Jahren in diese Richtung weiterentwickeln werden. Man will sich ganz bewusst für neue, andere Ideen öffnen. Björn Gottstein betont als Organisator, dass er Polemiken gegen Neue Musik nicht leiden könne. Allerdings gehöre die Annäherung an die Unterhaltungsmusik zu unserer Zeit dazu. Es gebe aber auch Anfeindungen gegen populäre Musik. Das Festival ist immer noch von Armin Köhler geprägt, der als Gottsteins Vorgänger 2014 starb. Man will außerdem den angelsächsischen Blick im Auge behalten. Hier ist Roger Scrutons interessanter Vortrag über die „Zukunftsmusik“ in den Donauhallen zu erwähnen, wo er Richard Wagners „Tristan und Isolde“ als eine radikale Umformung der Dreiklangsharmonik und der tonalen Melodik hervorhob. Schönbergs Experimente mit der Zwölftontechnik bleiben für ihn zwiespältiger. Für Gottstein sind die Schriften Helmut Lachenmanns sehr prägend für die Avantgarde in Deutschland.

Der Konzert-Marathon begann in der Christuskirche mit Joanna Bailies „Music from Public Places“ für 24-stimmigen Chor, Streichquartett und Zuspiel (2016) als Kompositionsauftrag des SWR mit dem vorzüglichen SWR Vokalensemble und dem Amei Quartett unter der bewährten Leitung von Marcus Creed. Im Zentrum steht hier eine Maschine, die Musik macht. Diese Maschine ist eine Kombination von zwei unterschiedlichen Computerprozessen. Vogelgezwitscher und Glockengeräusche schaffen dabei eine eher sphärenhafte Atmosphäre. Das Arditti String Quartett sowie das Experimentalstudio des SWR und das SWR Symphonieorchester unter der kompetenten Leitung von Pierre-Andre Valade interpretierten dann in der gut besuchten Baar-Sporthalle beim Eröffnungskonzert Jan W. Morthensons „Omega“ für Orchester mit einer unheimlichen und dynamisch ausgewogenen Spiralform, dann James Dillons „The Gates“ für Streichquartett und Orchester (2016) – beides sind ebenfalls Kompositionsaufträge des SWR. Bei Dillon überraschen Triller, Glissando, Pizzicato sowie Tremolo-, Unisono- und Ostinato-Sequenzen. Für Morthenson ist „Omega“ ein Abschluss und vielleicht seine letzte Komposition, während bei Dillon das „Tor“ im Mittelpunkt steht, das gleichsam eine Grenze markiert. „Fermate“ bedeutet hier ein Zeitintervall im Stillstand. „Caral“ von Martin Jaggi besetzt mit Flöten-Passagen und extremen Posaunen-Intervallen magische Klangmomente, die sich tief einprägen. „Caral“ ist Teil eines Zyklus, der sich mit den ersten Zivilisationen auseinandersetzt. Das Kernmaterial wird von den ältesten Musiken bestimmt.

Schockartig und sehr progressiv wirkte dagegen „Blutrausch“ von Klaus Schedl für Orchester und Elektronik – ein weiterer wichtiger Kompositionsauftrag des SWR. Hier wird die Musik zum explosionsartigen Mysterium. Es geht um die Darstellung der Lust und das exzessive Lusterlebnis an sich. Schreie und Geräusche wie von Maschinengewehren führen zielgerichtet zu einem Tumultuoso, auch wenn sich die Gefahr der Monotonie nicht ausblenden lässt. Das harmonische Material ist trotzdem kunstvoll aufeinandergeschichtet. Die Predigt ist hier gefüllt mit giftspeienden Worten und hasserfüllter Emotion. Die Entmenschlichung des Gegenübers führt unweigerlich zum Massaker. Ein sehr überzeugendes Konzert überraschte das Publikum im Mozart-Saal der Donauhallen, wo Steamboat Switzerland und Klangforum Wien unter der inspirierenden Leitung von Titus Engel gemeinsam auftraten. „Skin“ für Sopran und 13 Instrumente von Rebecca Saunders fesselte mit irisierenden Glissando-Passagen. Hier wird dem Zuhörer das Phänomen des Tastens suggeriert, das sich stets verdichtet. Der Sopranistin Juliet Fraser gelang hier eine beeindruckende akustische Annäherung. Vor allem die Bögen der Streicher erreichten eine ungeahnte Farbigkeit und Klangdichte. „Cold Cadaver with Thirteen Scary Scars“ von Bernhard Gander für 21 Instrumene (auch dies wiederum ein Kompositionsauftrag des SWR) gefiel aufgrund der plastischen harmonischen Verdeutlichung von Wunden und Narben, die sich dem Publikum fast schmerzhaft einprägten. Michael Wertmüller spielte als Musiker mit den wildesten Jazz- und Rockbands zusammen – davon ist auch seine subversive Komposition „discorde“ geprägt, hier baut sich alles um eine zwölftönige Melodie. Allintervalle bilden ein suggestives Klangforum. Diese Reihe wird zwölfmal permutiert und diminuiert, es kommt zu elektrisierenden und ungemein spannungsgeladenen polymetrischen und harmonischen Überlagerungen. Die Zerrissenheit dieser Musik reisst die Zuhörer mit ihren brutalen Staccato-Attacken unmittelbar mit. Das exzellente Calder Quartett interpretierte im Mozart-Saal der Donauhallen „Echeia“ von Nathan Davis (Kompositionsauftrag des SWR) mit facettenreichen Tremolo-Effekten und weiterführenden Klangintervallen am Computer. Dieses Stück für Streichquartett und Live-Filterung wurde durch Raumresonanzen von der Amphore bis zu Amphitheatern inspiriert und von den Musikern mithilfe von moderner Technologie realisiert. Der gesamte Raum soll so von den Musikern bespielt werden, was dem Ensemble sehr gut gelang. „Radiance“ von Daniel Wohl will Kontinuität inmitten von Wandel finden. Es kommt so zu radikalen Wechseln in Gedanken, Gefühlen und Situationen. Der Titel „radiance“ (Strahlung) bezieht sich auf den Schlussakkord des Stückes nach überstandenen Höhen und Tiefen. Zusammen mit dem Ircam-Centre Pompidou Paris spielte das Calder Quartett noch „The Sirens Cycle“ für Koloratursopran, Streichquartett und Elektronik von Peter Eötvös, wo der Gesang der Sirenen im Sinne Homers und Franz Kafkas absurder Text „Das Schweigen der Sirenen“ im Mittelpunkt stehen. Die Sopranistin Audrey Luna begeisterte die Zuhörer hier mit filigranen Kantilenen, Kaskaden, Girlanden und Arabesken. Anklänge an einen ungarischen Tanz von Brahms gingen mit dem plötzlichen Verschwinden der Musiker von der Bühne einher. Ein Werk nicht ohne Ironie. Ein Glanzpunkt der diesjährigen Donaueschinger Musiktage war die Verleihung des Karl-Sczuka-Preises für Hörspiel als Radiokunst an Peter Kutin, Florian Kindlinger und Christina Kubisch und des Karl-Sczuka-Förderpreises 2016 an Marco Blaauw durch den SWR-Hörfunkdirektor Gerold Hug. Christina Weiss hielt als ehemalige Kulturstaatsministerin die Laudatio, moderiert wurde die Preisverleihung von Reinhard Ermen. Bei „Desert Bloom“, das in WDR 3 gesendet wurde, nimmt die Stadt Las Vegas als Metapher für die Illusion zwischen Geld, Liebe, Glück, Macht und Sex eine zentrale und überaus faszinierende Rolle ein. Die elektromagnetische Tonspur wurde nämlich von Christina Kubisch vor Ort aufgenommen und später gemeinsam mit den Kollegen arrangiert. Das Chor-„Halleluja“ am Ende berührt die Zuhörer inmitten der akustischen Glitzerzauberwelt ungemein. Bei „Engel der Erinnerung“ verarbeitet der zweite Preisträger Marco Blaauw kunstvoll Erinnerungen an seinen Vater. Eine rasante „NOWJazz-Session“ gab es in der Sporthalle der Gewerbeschulen mit dem Duo Van Hove and Vandeweyer sowie Okkyung Lee („Cheo-Kkot-Sae: Steel Flower Bird„). Fred Van Hove (Piano) und Els Vandeweyer (Vibraphon) begeisterten die Zuhörer mit einer äusserst ungewöhnlichen Klangkombination. Ein scharfer Anschlag korrespondierte dabei mit gegenseitig mitschwingenden Obertönen und dem reizvollen Wechselspiel innerhalb eines Resonanzraumes. Nicht ganz so überzeugend wirkte dagegen „Okkyung Lee“ mit Song Hee Kwon (Gesang), wo es erst nach und nach zu einer harmonischen Steigerung kam. Im Bartok-Saal der Donauhallen trat das renommierte „ensemble recherche“ mit dem SWR Experimentalstudio (Michael Acker, Klangregie) auf. „Die schönsten Schlager der 60er und 70er Jahre“ für Flöte, Klarinette, Schlagzeug, Klavier, Violine, Viola und Violoncello von Peter Ablinger versteckte als weiterer Kompositionsauftrag des SWR unbekannte Schlager, die es zu erraten galt. Dafür hatte der Komponist sogar einen Wettbewerb ausgeschrieben. Die kontrapunktische Entwicklung dieser Komposition verlief durchaus stilvoll und manchmal auch geradezu parodistisch. „Urdarbrunnr“ von Wieland Hoban für vier Harfen und Ensemble wirkte als Kompositionsauftrag sehr lyrisch und sphärenhaft abgehoben. Ein Spinnrad scheint in Bewegung zu sein, das Schicksal der Welt wird symbolisch reflektiert. Und diese Bilderwelt der Fäden, Spinnräder und Harfen erscheint im Spiel der Harfen, wobei man sich an die „Nornen“ Wagners erinnert. „Lecons de tenebres“ für Ensemble und Elektronik von Patricia Alessandrini weckt Assoziationen zu den Vertonungen der „Lamentationen Jeremiae“ von Giovanni Pierluigi da Palestrina, Orlando di Lasso, Thomas Tallis, Jan Dismas Zelenka und Francois Couperin. Manchmal werden diese „Reminiszenzen“ allerdings zu dick aufgetragen. Martin Smolkas „a yell with misprints“ („Ein Schrei mit Druckfehlern“) sind kompositorisch wie ein raffiniertes Schachspiel kalkuliert. Das Material mutiert bis hin zu schmerzhaften Tönen und Klangflächen. Ungewöhnliches wurde beim Abschlusskonzert in der Baar-Sporthalle präsentiert. Das Ircam-Centre Pompidou Paris sowie das ausgezeichnete SWR Symphonieorchester unter der emotionalen Leitung von Alejo Perez interpretierte zunächst „A Symphony of Three Orchestras“ aus dem Jahre 1975 von Elliott Carter. In Unisono-Effekten sanken höchste Klangregister langsam herab bis hin zu stark fallenden Passagen. Die von Carter erfundene „metrische Modulation“ war auch hier herauszuhören. Gegensätzliche Bewegungen kulminierten in gleichzeitigen Entwicklungsvorgängen. Das Stück endete mit einer nuancenreichen Coda, die das SWR Symphonieorchester minuziös betonte und herausarbeitete. Die Partitur ist übrigens den New Yorker Philharmonikern und ihrem Dirigenten Pierre Boulez gewidmet. In „Twist“ von Franck Bedrossian für Orchester und Elektronik (weiterer Kompositionsauftrag des SWR) wird das traditionelle Orchesterbild verzerrt, fremde Instrumente dringen in die sinfonische Atmosphäre. Es kommt so zu spannungsgeladenen Mehrdeutigkeiten. Erstaunlich tonal und fast spätromantisch beginnt dagegen das fulminante Konzert für Posaune und Orchester von Georg Friedrich Haas, wo chromatische Spitzfindigkeiten und ungeheure Eruptionen die anfangs lyrische Bewegung radikal durchkreuzen. Der Posaunist Mike Svoboda entwickelte sich zum klaren Star des Abends. Die emotionalen Sprachmelodien konnten sich bestens entfalten. In starker Erinnerung blieb insbesondere der in engen Melodieschritten singende Schluss. Und nicht nur die Streicher schraubten sich immer schneller und kunstvoller nach oben. Da blieb zuletzt kaum noch Luft. Kompositionstechnisch ist dieses Verfahren äusserst spannend und ungewöhnlich, hier wird Neues geradezu revolutionär heraufbeschworen. Armin Köhler, der selbst Posaunist war, hat das Werk bei Haas übrigens in Auftrag gegeben.

Fazit: Die Donaueschinger Musiktage 2016 haben wieder eine deutliche Brücke in die Zukunft gebaut, wobei die Macht der Tradition stets spürbar bleibt.

Alexander Walther      

 

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