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Donaueschinger Musiktage – mehrdeutiges Klangmaterial (13.-16.10 2022)

17.10.2022 | Konzert/Liederabende

Donaueschinger Musiktage

Mehrdeutiges Klangmaterial

Donaueschinger Musiktage am 16. 10. 2022/DONAUESCHINGEN

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Bas Wiegers. Foto: Donaueschinger Musiktage

Nachdem die unter der Schirmherrschaft von Heinrich Fürst zu Fürstenberg stehenden Donaueschinger Musiktage nach den Corona-Ausfällen endlich wieder stattfinden konnten, betonte Oberbürgermeister Erik Pauly in der Donauhalle, dass sich das Ensemble bei seinem 101. Jahr des Bestehens auf seine Ursprünge besonnen habe – man habe kleiner besetzten Ensembles ein Podium geboten. In diesem Jahr wurde natürlich auch wieder der Karl-Sczuka-Preis in Höhe von 12.500 Euro für Hörspiel als Radiokunst an Jan Jelinek für sein spannendes Hörstück „Überwachung – in drei Episoden“ verliehen. Hier wird in drei Abschnitten ein historisches Abhör-Warnsystem vorgestellt. Die erste Episode nennt sich „Orecchio di Dionisio“. Es geht dabei um die in der Antike angelegte Kalksteinhöhle in der sizilianischen Stadt Syrakus. Ein tief in der Höhle geflüstertes Wort wird hier sogar am Höhleneingang verstanden. Die zweite Episode heißt „Uguisubari“. Das sind klingende Dielenböden in japanischen Tempel- und Burganlagen. Jan Jelinek bedient sich dabei einer raffinierten Schnitt-Technik, die die besondere Qualität seiner Arbeit ausmacht. Bei der  dritten Episode geht es um „Sound Mirrors“. Sie sind eine frühe Form von Hochspiegelmikrofonen, die in den 1920er Jahren an der südenglischen Küste konstruiert worden sind. Sie dienten zur akustischen Erspähung von Luftschiffen und Flugzeugen. Das Karl-Sczuka-Recherchestipendium in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut ging an „RHO (Glossa)“ für „Cholera – I thought I should never speak again“. Den Preis verlieh der SWR-Intendant Kai Gniffke in Vertretung von Programmdirektorin  Anke Mai. Anschließend gab es noch ein Podiumsgespräch mit den Preisiträgern Jan Jelinek, Elisa Kühnl und Josephine Stamer.  Der Karl-Sczuka-Förderpreis geht an Ira Hadzic für „Heimatgefühle“, wo sieben Stimmen denselben Text sprechen. Die Qualität der vorgestellten Kompositionen war beachtlich. Das Ensemble Modern fesselte das Publikum unter der versierten Leitung von Vimbayi Kaziboni bei dem klanglich eruptiven Stück „shouting forever into the receiver“ von Hannah Kendall. Es handelt sich um ein Zitat aus Ocean Vuongs Roman „One Earth We’re Briefly Gorgeous“, wo ein Spielzeugsoldat die Hauptrolle spielt. In diesem Werk werden gesprochene Auszüge aus der „Offenbarung des Johannes“ zwischen zwei Walkie-Talkies hin und her bewegt. Das Ganze klingt sirenenhaft und schwankt zwischen Intervallen, Trillern und einer differenzierten Dynamik. Sogar ein Zitat aus Beethovens neunter Sinfinie mit „Freude schöner Götterfunken“ ist zu vernehmen. Auch „weiter und weiter und weiter…“ von Georg Friedrich Haas war eine Uraufführung, die im gut besuchten Mozart-Saal erklang. Hier wird musikalisch eine konsequente Beschleunigung gestaltet. 45 Minuten lang erklingt ein unbarmherziges Accelerando. Verzerrte Choral-Sequenzen, harte Staccato-Passagen, Streicher-Glissandi und flirrende Chromatik beherrschen das harmonische Spektrum. Am Ende wird sogar Joseph Haydns „Abschiedssinfonie“ zitiert, denn die Musiker verlassen nacheinander die Bühne.  „NOWJazz“ präsentierten die Improvisationskünstler Tomeka Reid (Violoncello), Melanie Dyer (Viola) und Joe Morris (Gitarre), wobei Swing und Drive nicht im Vordergrund standen. Manchmal schien der elektrisierende Funke nicht überzuspringen, doch die melodische Erfindungskraft wirkte immer wieder nahezu unerschöpflich. Höhepunkt war in jedem Fall das Abschlusskonzert mit dem SWR Symphonieorchester unter der einfühlsamen Leitung von Bas Wiegers. „Parallax“ für Orchester von Lula Romero ist ein Kompositionsauftrag des SWR und bezieht sich auf den Unterschied in der scheinbaren Position eines Objekts, wenn es von zwei verschiedenen Punkten aus gesehen wird. Das mehrdeutige Klangmaterial bezieht sich auch auf die Positionierung des Orchesters auf der Empore und im Hintergrund. So entsteht eine ganz neue akustische Wahrnehmung. Glissandi und Triller wechseln sich zuweilen bedrohlich ab. Das zweite Stück „Wolkenatlas“ der japanischen Komponistin Malika Kishino überzeugte noch mehr. Dabei geht die Komponistin der Frage nach, wie viele Sterne und Wolken es  gibt und beruft sich dabei auf den genialen Mathematiker Norbert Wiener. Der unendlichen Vielfalt von Formen und Farben geht sie dabei konsequent nach. Die Schichten fließen zwischen Ordnung und Chaos. Pfiffe, Tremolo-Sequenzen, tiefe Blechbläser-Attacken und Staccato-Passagen sorgen wiederholt für heftige Unruhe. Wolken erscheinen aber auch als Chiffren der Vergänglichkeit. „Ein Kinderlied“ („Dämonen“) als vier Strophen für Orchester und Schallplatte von Arnulf Herrmann ist wie die anderen Werke auch ebenfalls ein Kompositionsauftrag des SWR. Hier erklingt auf einer Schallplatte ein Kinderlied. Das alles besitzt einschläfernde und hypnotische Wirkung. Tiefe Streicherweisen  wirken fast spätromantisch. Es kommt zu rasanten chromatischen Abschnitten, harten Martellato-Attacken. „Der Sandmann“ von E.T.A. Hoffmann spukt herum. Arnulf Herrmann erweist sich als Meister raffinierter Instrumentierung. Das tranceartige „Schlafe“ des Kinderliedes wirkt dabei in seiner verzerrten Form wirklich dämonisch. Einen hervorragenden Eindruck vermittelte zuletzt „Eingedunkelt“ für Violine, Kammerchor und Orchester von Peter Ruzicka (dem früheren künstlerischen Leiter der Salzburger Festspiele), der unter anderem  bei Hans Werner Henze studierte. Carolin Widmann (Violine) und das SWR Vokalensemble zauberten zu Paul Celans Gedicht „Nach dem Lichtverzicht“ zusammen mit dem SWR Symphonieorchester unter Bas Wiegers einen suggestiven Klangkosmos hervor, der in einem gewaltigen kadenziellen Ausbruch der Solovioline und des Orchesters gipfelte. Manchmal dachte man sogar an Alban Berg. Begeisterung und „Bravo“-Rufe des Publikums. Die Donaueschinger Musiktage 2023 finden vom 19. bis zum 22. Oktober statt. Sie waren in diesem Jahr wieder ein Erfolg. Man wollte auch ein Signal gegen den Ukraine-Krieg setzen, was die Leiterin Eva Maria Müller betonte.

Alexander Walther

 

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