Döbeln: „DON QUICHOTTE“ – 27. 12.2015
Dass dieser „Ritter von der traurigen Gestalt“in den Spielplan des Mittelsächsischen Theaters aufgenommen wurde, dürfte dem Engagement seines GMD Raoul Grüneis und dessen Affinität zum französischen Kulturkreis zu verdanken sein. Und so stand natürlich der musikalische Chef des Hauses persönlich am Pult der Mittelsächsischen Philharmonie, wo er sich inbrünstig einer Partitur widmete, deren Qualitäten, anders als bei Massenets „Manon“ oder dem „Werther“ mit ihren populär gewordenen Hits, sich nicht auf den ersten Blick offenbaren. Dieser „Quichotte“ kommt eher einer Speise für musikalische Gourmets gleich, die zwar die mit echtem Pfeffer gewürzten spanischen Anklänge nicht missen möchten, sich aber besonders an den raffiniert ausgekosteten gefühlstiefen Momenten delektieren. In dieser Beziehung bewährte sich Grüneis als fein nachschmeckender Koch, der Streicher (Pizzikatopassagen) und Holz zu betörendem Spiel animierte, andererseits bei Bedarf mit dem triumphal auftrumpfenden Blech gebührend nachwürzte.
Insgesamt eine fabelhafte orchestrale Menü.
1971 leistete Götz Friedrich an Berlins Komischer Oper mit seinem Einsatz für Massenets Werk Pionierarbeit, wobei er freilich die Handlung in eine als Bordell zu verstehende Stadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts verlegte, deren Bewohner den ihnen in jeder Beziehung fremden Quichotte in den Tod hetzen. Folgerichtig erlangt der Titelheld Dulcineas angeblich entwendetes Collier auch nicht von einer letztlich bekehrten Räuberbande zurück, sondern entpuppt sich die Diebesbande als verkleidete Bordellbesucher, die im Verein mit Dulcinea den Ritter dem Spott und der Schande ausliefern. Gebrochenen Herzens stirbt der Gedemütigte auf einer Müllhalde. Diese den sozialen Konflikt krass ins Scheinwerferlicht rückende Ansatz besitzt gegenüber dem Original zweifellos einen nicht gering zu veranschlagenden Vorteil, andererseits ist die zumindest punktuell vom Librettisten Henri Cain vertretene Ansicht, dass Quichottes moralisches Ethos nur noch von Kriminellen verinnerlicht wird, gleichfalls nicht von der Hand zu weisen.
Die vom Mittelsächsischen Theater verpflichtete Regisseurin Kristina Wuss bekennt sich zum Original , vertraut der Übersetzung Ernst Huldschinskys, erzählt die Geschichte geradlinig und schnörkellos. Lediglich einige überbordender Phantasie entsprungene Details (Garcias Verwandlung in einen abgestürzten Piloten, die zu Kohlköpfen mutierenden Perlen des Colliers) wären vermeidbar gewesen. Tilo Staudtes lokale Döbelner und Freiberger Bezüge geschickt einbeziehende Gesamtausstattung leistete dem Anliegen der Regie vorzügliche Dienste, wozu auch ein Teil der eingesetzten Videos (Kampf mit den Windmühlenflügeln) beitrug.
In der Schaljapin-Rolle des Quichotte präsentierte Sergio Raonic Lukovic einen eher stämmigen als hageren Titelhelden, dem man seine idealistische Haltung und die bedingungslose Liebe zu Dulcinea ohne Abstriche glaubte. Dabei gewinnt er seinem etwas spröden, im Forte gut behausten Bass auch manch geglückte Pianostelle ab und überzeugt in dem berührenden winterlichen Finale, wenn er sich, der Erscheinung Dulcineas folgend, zur Sancho Pansa zugesagten „Insel der Träume“ begibt. Diese Dulcinea war Barbora Fritscher, die ihren Hang, ab einer gewissen Höhe vorrangig auf’s Forte zu setzen, in der Zwischenzeit minimiert hat und mit etlichen klangschönen Passagen gefiel. Darstellerisch vermied sie kurtisanenhafte Anklänge, konzentrierte sich vielmehr auf ein ebenso leichtfertiges wie oberflächliches Geschöpf. Als Sancho Pansa vermied Martin Gäbler aufgesetzt buffohaftes Posieren, gab den einfachen Mann aus dem Volke mit dem Herzen auf dem rechten Fleck, der gegen Ende des 4. Aktes bei dem Lobpreis auf seinen Herrn zu starker gesanglicher Form auflief. Klar voneinander abgestuft, ergänzten Susanne Engelhardt, Lindsay Funchal, Derek Rue und Jens Winkelmann (Dulcineas Kavaliere) das Ensemble.
Die von Alexander Livenson einstudierten Chöre müssten stimmlich gelegentlich dezenter agieren und noch an ihrer Textverständlichkeit arbeiten. Dass nach dem ersten Vorhang das Saallicht anging und damit den verdienten Beifall abdrosselte, war das einzige Ärgernis dieser Aufführung.
Joachim Weise