DIE WIENER STADTMUSIKANTEN
Credit: Ronald Beck
Frei nach den Brüdern Grimm
Die Wiener Stadtmusikanten oder Frühlingsstimmen mit Kickerl Kurzerl Kernderl & Kuk
Der Frühling ist in das Land eingezogen. Die Landschaft rund um das stolze Schloß Bleumourant des altehrwürdigen Geschlechts der Grafen von Psychau stand zwar noch nicht in voller Blüte, doch die Flaggen waren bereits hochgezogen. Eine Fahnenpracht, welche von den kommenden Festivalfreuden künden sollte. Denn Schloß Bleumourant war für sein alljährliches strahlendes Musikfest wohl bekannt, wurde im ganzen Reich als eines der Prunkstück des habsburgischen Kulturerbes angesehen. Und es war – wie sagt man heutzutage: eine höchst noble Adresse für jeglichen erlesenen Kulturtourismus mit großem, großem Charme.
Der jüngst in reifen Jahren verstorbene Altgraf ist noch einer der Vornehmen unter den alteingesessenen Adeligen gewesen. Sein Sohn jedoch, wohl geschult auf wendiges Business, hat aber diese edlen Werte aus früheren Zeiten nicht so ganz mitbekommen. Natürlich, von seinen Lippen strömen die schönsten lobenden, zumeist wohl übertrieben schmeichlerischen Worte über Kunst und Kultur. Doch in Bleumourant hat sich herum gesprochen, dass er denke, die zwar nach wie vor beliebten, doch nun schon in die Jahre gekommenen, vormals von seinem Vater in gepflegter Tradition im Schloss aufgezogenen Hausmusikanten ‚aus dem Futter zu schaffen‘. Weg mit ihnen, nur weg mit dem Schmusequartett KKK&K! Heimisches zwar, doch schon zu alt gewordenes Blut. Musikalische Jungstars aus aller Welt sollten ab nun in Zukunft hier länger verweilen und weltmännisches Flair vermitteln.
KKK&K, ja, das sind Kickerl der Hahn, Kurzerl der Kater, Kernderl der Hund sowie Kuk der leicht lahmende Esel. Kickerl nach wie vor munter die Flöte blasend, Kater Kurzerl der schmissig aufgeigende Violinist, Kernderl als eher mäßiger Klarinettenspieler und Kuk mit seiner nicht mehr so ganz kräftig anschwellenden Posaune. „Wisst ihr was“, sprach da der Esel zu seinen Kumpanen, da er merkte, dass für ihn hier kein guter Wind mehr wehte. „Wenn’s einen an den Kragen geht …. guter Rat ist teuer. Doch machen wir was. Wir gehen in die große Stadt und werden dort Stadtmusikanten. Lassen wir unsere Herzen in der Hauptstadt noch einmal aufblühen.“ Und an sein Schicksal denkend: “ …. denn etwas Besseres als den Tod findest du überall.“ Hahn, Kater und Hündchen waren zufrieden, und so zogen alle viere zusammen fort, um in der Kaiserstadt noch ein spätes Glück zu finden.
Es führte kein allzu langer Weg in die kaiserliche Residenz. Doch in der Vorstadt angelangt merkten die Musikanten, dass sich die Menschen, jung wie alt, hier sehr eigenartig bewegten und ein sonderliches Verhalten aufwiesen, sich gestört fühlten. Keineswegs als homogene Untertanen wirkten, nicht freundlich einander zugetan schienen, die verschiedensten Dialekte sprachen. Ganz wenige bloß machten einen normalen Eindruck, weit mehr schlichen betrübt herum. Oder andere plusterten unverständliche Wortfetzen einfach nur so in die Luft.
Die Vier spazierten irritiert hin und her. „Nur Mut, Freunde, nur Mut!“, munterte Kernderl auf. Und er sprach einen missmutig herumstehenden Handwerksmann in Balkan-Tracht an. Keine Antwort. Patzig wandte sich Kurzerl einem ältlichen Wäschermädel zu. Keine Antwort. Sonderbar. Am Stadttor jedoch, da stand eine stattliche Autoritätsperson, ein Oberjäger der Kaisergarde, und der führte das große Wort. „Ah, ihr lieben Musikanten vom Lande, ihr wisst es nicht?“ Großspurig setzte er fort: „Keine Angst, kommt ruhig näher. Doch passt auf, keine gute Sache für euch. Denn eine gar sonderbare Seuche ist hier ausgebrochen. Eine Krankheit, die bereits nicht mehr so gefährlich ist, doch alle, alle, die zuvor angesteckt worden sind, werden nur mehr sehr schwer wieder gesunden können.“ Und gewichtig nach einer kurzen Pause: „Die Armen, sie hören nichts. Sie sind taub. Taub! Terisch!“ Mit einer klitzekleinen Träne in den Augen: „Auch unser edler Kaiser ist nicht gerade stocktaub, doch er versteht bereits nur jedes fünfte Wort. Wie auch seine vielen Günstlinge, alle Intriganten rund um ihn, unsere volksverbundenen Minister. Ja, Schluss ist´s mit lustig.“ Tröstend fügte er allerdings hinzu: „Aber vielleicht vermag eure Musik ein bisschen zu helfen. Manche hier verstehen schon noch das eine oder andere Wort – und wohl auch eine schöne Melodie. Schaut doch beim k.k. Hoftheater vorbei. Ist auch unser Opernhaus, ein zumeist den famosen italienischen Gesangeskünstlern vorbehaltenes. Es steht jetzt leer. Versucht es, vielleicht …. bringt neues Leben hinein.“
Gut so. Die Vier zogen weiter, hatten das schmucke Theater rasch gefunden und sind durch die offen stehende Türe in das Foyer gelangt. Ein gebrechlicher, bereits recht seniler Herr, durchaus mit noblen Gesichtszügen, kam die Treppe herab und fand freundliche Begrüßungsworte: „Willkommen, willkommen ihr Musiker! Ihr habt ja eure Instrumente in den Händen, spielt auf, spielt auf! Auch wenn nur für …. für wen? Was soll ich sagen?“ Echte Tränen sind es nun bei ihm gewesen. Hier im Haus ist er in seinen jüngeren Jahren ein beliebter Tenor gewesen, später dann der hilfreiche Garderobier der herrschaftlichen Besucher, und nun …. ein Behüter einer zerfallenden Tradition.
KKK&K ließen sich nicht lumpen, machten es sich in den Pausenräumen, den Garderoben, auf der Bühne bequem. Nicht schlecht, so ließ es sich leben. Und auch der ehrwürdige Kaiser, im Umfeld seines Palastes flanierend um sich persönlich ein Bild vom momentanen Zustand seiner geplagten Untertanen zu machen, spazierte am Theater vorbei. Leutselig wandte er sich dem gerade vor der Pforte einigermaßen kokett werbend aufgeigenden Kurzerl zu: „Sind noch ein paar nette Ballettmäderln da?“ Doch bevor dieser verneinen konnte, ertönten Klänge, die dem Kaiser und seinem kleinen Gefolge durch Mark und Bein gingen. Grässliches Geschrei! Schrill und derb. Aus der Kehle des sich aufplusterndem Kickerl. Hier, auf der Bühne auf der noch vor einem halben Jahr den berühmtesten Kastraten von Neapel gehuldigt wurde, hier, auch er wollte sich in dieser einzigartigen Kunst versuchen. O nein, kein faszinierendes Timbre war ihm gegeben, das Klangexperiment ist gründlichst gescheitert.
Dies ertönte so abscheulich, dass es dem Monarchen jegliche gute Laune verdarb. Die Barthaare stiegen dem Armen in die Höhe, gerieten ihm in den Mund und er musste einen ungebührlichen Hustenanfall erleiden. Mit verbitterter Miene entfernte er sich. Doch die vor kurzem noch um ihr Leben zitternden Spielleute lebten nun mehr und mehr auf. „Heja, wir sind die Wiener Stadtmusikanten!“, jubelten sie. Und sie haben sich als solche höchst beliebt gemacht. Der Frühlingsstimmen–Walzer ist immer wieder, immer wieder von ihnen angestimmt worden. Kickerl krähte dazu: „Frühling in holder Pracht erwacht, Glaub und Glück kehrt zurück …. „. Ist das ein echter Gassenhauer geworden! Und „Gold und Silber“ und „I‘ bin halt an echt’s Weana Kind“ oder auch „Haben Sie Wien schon bei Nacht geseh´n …. “ haben bestens dazu gepasst. Köstlich, köstlich, und dazwischen erfreute so manch schmissiges Galopperl der feschen Strauß-Buam. Ja, Kickerl, Kurzerl, Kernderl & Kuk haben die Liebe der Mensch der Stadt für sich gewonnen. Jedenfalls von diesen unter ihnen, welchen es noch gegeben war, sich der Musik zuwenden zu können.
Der Kaiser und seine Hofgesellschaft mit ihrer geschäftlichen Entourage waren von nun an nicht mehr interessiert, ihre früher ihnen so teure Kulturstätte zu betreten. Sie wandten sich lieber diesen weit gereisten chinesischen Artisten zu, welche vor den Mauern der Stadt dem Volke ihre fremdartigen Kunststückchen anboten und darauf warteten, es sich einmal in der Stadt richtig bequem zu machen. Vielleicht gar mit originellem Elexier in ihrer Bagage? Den Wiener Stadtmusikanten jedoch, denen gefiel´s aber so wohl in dem heimeligen Theater, dass sie nicht wieder heraus wollten. Nichts mehr fehlte zu ihrem Glück. Und der das zuletzt erzählt hat, dem ist der Mund noch warm. Nur, bitte ….. hat er es auch mit der Wahrheit gehalten?
Meinhard Rüdenauer