Filmstart: 30. November 2018
DIE UNGLAUBLICHE REISE DES FAKIRS
The Extraordinary Journey of the Fakir / Belgien/Frankreich/Indien/Singapur/USA / 2018
Regie: Ken Scott
Mit: Dhanush, Bérénice Bejo, Erin Moriarty, Barkhad Abdi u.a.
Der freundliche Inder hat offenbar ein soziales Herz und erzählt Kindern in einem Jugendgefängnis eine Geschichte. Angeblich seine eigene, aber bald findet man heraus, dass er gewaltig flunkert. Er ist schließlich selbst ein Romanheld – „Die unglaubliche Reise des Fakirs, der in einem Kleiderschrank feststeckte“ von Romain Puertolas (2013, in französischer Sprache) hat wohl mit seinem langen und viel versprechenden Titel genügend Leser interessiert, um einen Bestseller daraus zu machen. Ken Scott hat nun den dazugehörigen Film inszeniert, der die Phantasie des Autors in Leinwand-Bilder umsetzt.
Ganz unbeschwert ist das Vergnügen nicht. Märchen hin, Märchen her, eine Kindheit in Bombay, noch dazu als kleiner Sohn einer armen, allein erziehenden Mutter, kann wohl kaum so idyllisch verlaufen sein, wie man sie hier sieht: welch süßer kleiner Junge in unglaublich pittoresker Umwelt… Ein wichtiger moralischer Hinweis: Die Schule hat den kleinen Ajatashatru Oghash Rathod (welch ein Name, sagen wir lieber „Aja“) klüger gemacht, hat ihm nicht nur gezeigt, wie groß die Welt ist, sondern auch, dass er arm ist, keinen Vater hat und einiges an seinem Leben ändern will.
Beruf: Fakir, das bringt Geld von den Touristen. Und nach dem Tod der Mutter ein Liebesbrief des Vaters. Also begibt er sich auf die Suche. Wie Aja nun in die Welt reist – man muss sich immer wieder sagen, dass es ein Märchen ist, wo man beispielsweise überall (im Roman) Französisch bzw. (im Film) Englisch bzw. (in der Synchronisation) Deutsch spricht. Eine ideale Märchenwelt.
Da erfindet man sich in Paris auch selbst einen Job, indem man im großen Möbelhaus die Käufer anredet und ihnen Szenen vorspielt (die sie teilweise glauben). Da kann man auch untertauchen. Und sich verlieben, etwa in die hübsche Blondine Marie (Erin Moriarty) …
Hat man bis jetzt schon kaum etwas auch nur annähernd glauben können, wird das Fabulieren wild, wenn Aja in einem Kasten schläft und ausgerechnet dieser, einer von Tausenden, geschnappt und versendet wird. Und wenn er dann im Möbelwagen aufwacht, ist der Weg zu den Flüchtlingen nicht weit – und da sie das Thema der Stunde sind, nehmen sie in dem Film auch ziemlichen Raum ein. Immer wieder begegnet Aja dem somalischen Flüchtling Wiraj (Barkhad Abdi), der sich in dieser Elendswelt auskennt und die Tragik ausmalt…
Und das passt nun gar nicht zum Märchen – auch nicht zum traumhaften Finale, wo Aja mit einem vollen Geldkoffer den armen Menschen in Nordafrika (er landet nämlich auch in Libyen) ihre Wünsche erfüllen kann…
Dazwischen war er auch noch in Rom (und hat gelernt, dass es am einfachsten ist zu sagen: „Ich bin Flüchtling“), wo er an eine moderne Künstlerin (Bérénice Bejo) gerät, die auf sein Hemd zeichnet und einen Trottel findet, der 50.000 Euro für dieses Kunstwerk zahlt… Ein Stückchen Zeitsatire aus der Kunstwelt, mitten drin in diesem Tohuwabu, das den Zuschauer sehr bald verliert, weil er sich an nichts anhalten kann (wenn spanische Zollbeamte dann gar zu singen begingen, verliert man so ziemlich die Geduld mit dem Ganzen).
Dass Hauptdarsteller Dhanush ein netter, sympathischer Kerl (und in Indien ein hoch gerühmter Bollywood-Star) ist, hilft dem Film nicht wirklich, selbst wenn der Held einmal mit einem noch so schönen, bunten Ballon fliegt… Symbol für das, was gemeint ist, aber in dieser Mixtur nicht funktionieren kann.
Renate Wagner