Die Fledermaus auf NDR Kultur (live für Radio am 17.4.2021)
Jonathan Darlington. Foto: NDR
Fertiggestellt wurde die Neuproduktion „Die Fledermaus“ des Regie-Duos BARBE & DOUCET bereits im Dezember 2020 – bisher konnte sie aber nicht vor öffentlichem Publikum aufgeführt werden. Nun überträgt der Radiosender NDR Kultur die Wiener Operette am 17.04.2021 um 18.00 Uhr live. Unter der Musikalischen Leitung von Jonathan Darlington hören Sie u. a. Hulkar Sabirova als Rosalinde, Bo Skovhus als Eisenstein, Narea Son als Adele und Kristina Stanek als Orlofsky sowie Schauspieler Jürgen Tarrach als Frosch. Musikjournalistin Friederike Westerhaus führt durch die Sendung. Den Trailer gibt es hier. Zu NDR Kultur…
Eine Partitur voller Fragezeichen
Dirigent Jonathan Darlington debütiert mit der Fledermaus von Johann Strauß an der Staatsoper. In einer Probenpause nimmt sich der Maestro Zeit für ein Gespräch am Kantinentisch und erzählt zwischen Desin fektionsmittel und Einwegservietten von Wien und Paris, Feuer und Asche, Operette und der geforderten Finesse
Premiere Die Fledermaus
Bevor die Operette in Wien mit Johann Strauß Wellen schlug, hatte sie ihre Geburtsstunde und erste große Blüte unter Jacques Offenbach in Paris. Offenbachs Werke waren es auch, die die Gattung in Wien populär machten. Sie leben seit Jahrzehnten in Paris und haben öfter in Wien gastiert. Welchen Einfluss nahm die Kultur dieser Städte auf die Gattung der Operette?
JD.
Das ist eine sehr gute Frage, weil Wien und Paris so unterschiedlich sind. Die Welten von Jacques Offenbach und Johann Strauß sind natürlich verwandt und ähneln sich in manchen Punkten, stilis tisch aber sind sie ziemlich weit voneinander entfernt. Vor allem in der Orchestrierung und im Aufbau ihrer Kompositionen zeigt sich die kulturelle Differenz. Entscheidend für die Operette sind die sozialen Strukturen, in denen sich die Gattung in Paris und Wien entwickelte. Offenbach kommentierte mit satirischen Werken wie La Belle Hélène eine Pariser Gesellschaft, deren Zentrum Korruption war, die unweigerlich zu Ereignissen von katastrophalem Ausmaß führte – nicht nur finanzieller Natur. Als Johann Strauß die Fledermaus schrieb, wurde Wien als wirt schaftliches Zentrum Europas von einem Börsenkrach in die Knie gezwungen. Einige Jahre später ereilte Paris das gleiche Schicksal. Menschen nahmen sich das Leben, weil sie Millionen an der Börse verloren hatten. Was Strauß mit seiner Fledermaus schafft, ist eine Art carpe diem Atmosphäre. Die gibt es im Ansatz auch bei Offenbach, aber sie reagieren beide unterschiedlich auf den sozialen Wandel ihrer Zeit. Und so sehr ich Offenbach schätze, an die Finesse und an den musi kalischen Reichtum von Strauß reicht er nicht heran.
Was hat Sie nach Ihrem Studienabschluss von London nach Paris gezogen?
JD.
Ich bin damals nach Paris gegangen, dann wieder zurück nach England, ohne aber die Beziehung zu Paris zu verlieren. Ich wollte eigentlich schon immer raus aus England. Das ist einfach meine Natur: Ich möchte woanders sein, ich mag die Fremde. Dass es schließlich Paris geworden ist, ist Schicksal oder Zufall – wer weiß. Ich habe als junger Mann meine Frau, eine echte Parisienne kennengelernt, und inzwischen wohne ich seit mehr als 30 Jahren mit ihr in Paris. Ich bin ziemlich alt geworden. (lacht)
Als Dirigent reisen Sie viel um die Welt und gastieren auch immer wieder in Wien. Was verbinden Sie mit dieser Stadt?
JD.
Ich liebe Wien sehr. Es hat eine ganz bestimmte Atmosphäre, die die Tradition eines Johann Strauß lebendig hält. In gewissem Sinne spüre ich den Glanz der Residenzstadt des Habsburgerreiches noch heute. Er wird vermutlich immer da sein. Vielleicht ist es in Paris sogar ähnlich, das kann ich schwer einschätzen. Jedenfalls ist Strauß für mich eng mit Wien verbunden, so wie es Offenbach mit Paris ist.
Sie haben die Fledermaus schon mehrfach dirigiert, unter anderem an der Semperoper und an der Deutschen Oper am Rhein.
JD.
Ja, die Produktion an der Deutschen Oper am Rhein ist ewig her. Ich habe das Werk immer wieder gemacht.
Bei uns sind Sie seit dem ersten Tag der szenischen Proben dabei. Entspricht das Ihrem Credo, um musikalische und szenische Inter pretation genau aufeinander abzustimmen?
Jonathan Darlington. Foto: NDR
Jonathan Darlington beim Online-Merker (15.10.2019). Copyright: Barbara Zeininger
JD.
Mir ist das sehr wichtig. Ich weiß, es gibt Dirigenten, die im letzten Moment kommen. Ich bin da anders, eher ein Teamplayer – ob das nun gut oder schlecht ist, bin ich mir nicht sicher. Es ist einfach so. (lacht)
BARBE & DOUCET erzählen uns die Fledermaus auf dem Wiener Prater zur Jahrhundertwende. Was bedeutet das für die musikalische Interpretation?
JD.
Renaud Doucet und ich sind uns sehr einig. Wir haben die gleiche Art zu denken, das macht es einfach. Die Präzision, die es für die Komödie braucht, ist für ihn szenisch genauso essenziell wie für mich, um der Musik von Johann Strauß gerecht zu werden. Wir versuchen beide, das Werk möglichst zu entstauben und frei zu machen von eingefahrenen „Traditionen“, die seit Jahrzehnten fortgesponnen werden ohne eigentlich im Original zu wurzeln. Ich versuche mich immer auf die Partitur zu beziehen, die bei mir voller Fragezeichen ist, um mir immer wieder zu verdeutlichen, warum ich etwas mache und ob ich es nicht lassen sollte, wenn es nicht in den Noten steht. Das Ergebnis entspricht nicht immer der Aufführungstradition. Es gibt ein schönes Zitat, das Gustav Mahler zugeschrieben wird: „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.“ Tatsächlich gehen diese Worte zurück auf den französischen Sozialdemokraten Jean Jaurès, nach dem in Wien sogar eine Straße benannt ist. Wie dem auch sei: Tradition kommt von irgendetwas, das brennt, nicht durch Imitation. Das versuchen wir umzusetzen und es ist ein Kampf, weil es so einfach ist, eine vermeintliche Tradition nachzuahmen und darin aufzugehen
Die Herausforderungen einer Operette werden gerne unter schätzt. Bei Tanz, Komödie und Champagner liegt es nahe, auch die Fledermaus als leichte Kost und gute Unterhaltung in eine bestimmte Schublade zu stecken. Tatsächlich ist das Werk für alle Künstler*innen eine richtige Herausforderung – von der szenischen Umsetzung über die stimmliche und darstellerische Gestaltung bis zum Dirigat. Was ist als Musikalischer Leiter für Sie bei diesem Stück besonders heikel?
JD.
Das ist ganz gewiss die Feinheit des Werkes. Überall steht piano, pianissimo, staccato usw. Die Tendenz ist solche Momente zu heftig zu spielen und zu singen. Wenn ein Wiener Walzer – „tsch-tschipp-tschipp, tsch-tschipp-tschipp“ – ein heftiger Kuchen mit Schlagsahne ist, entspricht er nicht dem, was ich in den Noten sehe. Die Musik spricht eine andere Sprache. Sie ist unglaublich schön komponiert und unglaublich fein. Und genau deshalb ist sie heikel
Die Feinheit, von der Sie sprechen, könnte mit der reduzierten Orchesterbesetzung, die in diesen Zeiten obligatorisch ist, vielleicht sogar produktiv zusammenwirken. Wie begegnen Sie diesen besonderen Umständen?
JD.
Ich weiß es selbst noch nicht. Das ist für uns alle neu. Es wird definitiv leiser und feiner sein mit einer kleinen Orchesterbesetzung. Gleichzeitig braucht es hier und da auch Stoff. Strauß führt uns die ganze Zeit auf einem schmalen Grat zwischen heftig/nicht heftig, Stoff/kein Stoff. Wir werden sehen, wie wir das orchestral um setzen. Ich denke, wir haben genug Musiker*innen im Graben und bleiben mit dieser Fassung so nah wie möglich an der Original partitur dran – auch wenn ich mir hier und da den Klang der Posaunen wünschen würde, auf die wir leider verzichten müssen. Ich denke, es wird funktionieren. Es muss funktionieren, Punkt
Ganz unabhängig von den Umständen dieser Zeit: Auf was kommt es Ihnen als Musikalischer Leiter in diesem Stück an, wenn Sie es auf einen Punkt herunterbrechen?
JD.
Ha, ha! Für mich ist es das Ende des zweiten Aktes (singt): „Dui-du, dui-du …“, wie man diese tutti-Stelle gestaltet, damit sie klingt, als ob eine Stimme singt oder spielt. Das ist für mich der Kern und wirklich schwer zu erreichen. Die Phrase muss wie eines meiner silbernen Haare ganz fein und linear sein. Eine quasi schwerelose, zarte Klangwolke. Man darf auf keinen Fall die Eins im Takt spüren.
Die Partitur der Fledermaus ist im Grunde ja eine Kollektivarbeit gewesen, die der Librettist Richard Genée zusammen mit Strauß zu Papier brachte: Strauß hatte die Einfälle, Genée erarbeitete die Partitur daraus, Strauß korrigierte, dann kam der Schlussschliff in den Proben, wo auch die Sänger*innen entsprechenden Ein fluss nahmen. Merkt man der Partitur die Arbeit im Kollektiv an?
JD.
Definitiv. Für mich ist es wie ein Minenfeld: Man muss immer achtsam sein. Strauß ist, ähnlich wie Mozart und viele andere Komponisten, sehr auf die Sänger*innen eingegangen und hat die Partien entsprechend entwickelt und angepasst. Es gibt z.B. eine spätere Version des Csárdás von 1896, die er eigens für Marie Renard geschrieben hat. Das ist vergleichbar mit Rembrandt und seinen Schülern: Man sieht, wo Einfluss genommen wurde, aber die Musik ist doch durch und durch Strauß.
Glauben Sie, die Qualität des Werkes wäre noch eine ganz andere, wenn Strauß jede Note selbst zu Papier gebracht hätte?
JD.
Wahrscheinlich nicht. (lacht) Wer weiß … ich denke, kreative Gedanken stoßen hier und da auch an ihre Grenzen.
Die Fledermaus Das zentrale Thema der Handlung ist „Schein statt Sein“: Spätestens auf dem Ball bei Orlofsky gibt jeder vor, jemand anderes zu sein. Beliebt sind Adelstitel wie „Chevalier“ und „Marquis“, unter denen Gefängnisdirektor Frank und Eisenstein eingeführt werden. Herr Darlington, Sie dürfen tatsächlich einen Adelstitel tragen, da Sie von der Académie française zum „Chevalier des Arts et des Lettres“ ernannt wurden. Wie fühlt sich die Aufnahme in einen Ritterorden an?
JD.
Das ist eine komische Geschichte: Es war in der Pariser Oper vor mehr als 30 Jahren. Der damalige Präsident des Hauses war Pierre Bergé, der Freund von Yves Saint Laurent, und mir fiel auf, dass er an seiner Kleidung auf Brusthöhe eine rote Markierung hatte und ich sprach ihn darauf an. Er klärte mich auf, dass das ein Zeichen der „La Légion d’Honneur“ sei und fragte ganz direkt, ob ich auch so etwas haben wolle. Ich meinte daraufhin, ja, warum nicht. Und er gab mir einfach den „Chevalier des Arts et des Lettres“, ein grünes Ordensband. Das ist die niedrigste Stufe im Orden, danach kommen dann Officier, Commandeur usw. Das ist also der Grund für meinen Titel. Ich habe ihn einfach so bekommen, weil ich gefragt habe!
Ihr Leben hat sich dadurch also nicht groß verändert?
JD.
Nein, überhaupt nicht. Es war einfach ein großer Spaß und eine schöne Überraschung! Als Dirigent habe ich das Glück mein Leben ständig ändern zu können: Ich kann Orlofsky sein, Eisenstein, Rosalinde … Das ist das Wunderbare. Wir können jede Persön lichkeit annehmen. Ich brauche das, weil ich wie ein Chamäleon bin. Ich liebe es zu reisen und fühle mich überall zuhause.
Sie sprechen viele Sprachen fließend. Allein in den Proben habe ich Sie Französisch, Englisch und Deutsch sprechen hören. Das hilft sicher, um sich überall zuhause zu fühlen.
JD.
Ich habe vier Kinder. Einer meiner Söhne lebt in Peking und spricht Chinesisch, Bulgarisch, Russisch, Spanisch, natürlich Englisch, Französisch und ein bisschen Deutsch.
Der Zweite lebt in Seoul, in Korea, und ist eher in den lateinischen Sprachen unterwegs und jetzt auch in Koreanisch. Das scheint irgendwie im Blut zu liegen.
Das klingt nach einem richtigen Weltenbummler-Gen. Ihres hat Sie damals nach Paris geführt, wo Sie sich als Pianist den Weg zum Dirigenten gebahnt haben. Wie kam es für Sie zu dem entscheidenden Schritt ans Pult?
JD.
Ich habe nie versucht zu dirigieren. Das war nicht mein Ziel als Student. Ich war Kammermusiker und ich bleibe Kammermusiker. Mit dem Orchester ist es das, was ich versuche zu machen, auch in der Fledermaus. Dass ich zum Dirigieren gekommen bin, war Zufall. Ich bin an der Pariser Oper bei Le Nozze di Figaro eingesprungen, mit Cecilia Bartoli, Renée Fleming, Ferruccio Furlanetto etc. Das war die erste Vorstellung, die ich in meinem Leben dirigiert habe! Ich war kurz zuvor noch Assistent von Serge Baudo beim Berlioz Festival in Lyon, hatte eine Anfrage vom Pariser Generalmusikdirektor Myung-Whun Chung bekommen und ihm daraufhin bei der Eröffnungspremiere Les Troyens assistiert. Als dann der Figaro-Dirigent nach einem Krach mit dem Orchester spontan abreiste, bekam ich einen Anruf, ob ich am nächsten Abend das Dirigat übernehmen könne. Ich war schon 34 Jahre alt. Heute starten die jungen Dirigenten viel früher.
In unserem Cast sind einige junge Sänger*innen. Sie haben selbst als Chorknabe in der Worcester Cathedral gesungen, später als Pianist Meisterklassen von Elisabeth Schwarzkopf, Hans Hotter, Janet Baker, Peter Pears u.a. begleitet. Und erst vergangenes Jahr beim Gesangswettbewerb Neue Stimmen dirigiert. Was möchten Sie den jungen Künstler*innen mit auf den Weg geben?
JD.
Ich liebe es sehr mit Jugendorchestern und jungen Stimmen zu arbeiten. Sie brauchen Hilfe, jemanden, der weiß, wie schwer es ist und sie unterstützt, den richtigen Weg zu finden, keine schlechten Gewohnheiten anzunehmen, nicht zu viel nachzuahmen. Das ist wirklich nicht einfach. Ich bin 64 geworden und für mich ist es ganz klar, dass wir jungen Leuten helfen müssen. Es ist eine Leidenschaft von mir, fast eine Mission – wie ein Evangelist. (lacht) Vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Janina Zell für den NDR.