Filmstart: 13. Jänner 2017
DIE BLUMEN VON GESTERN
Österreich / Deutschland 2016
Drehbuch und Regie: Chris Kraus
Mit: Lars Eidinger, Adèle Haenel, Jan Josef Liefers, Sigrid Marquardt, Hannah Herzsprung, Rolf Hoppe, Bibiane Zeller u.a.
Sein Opa war, so wie der kleine Totila ihn erlebt hat, „lieb“, und das glaubt man ihm auch. Während des Krieges war Opa jedoch in Riga der Mann, der dafür gesorgt hat, dass alle Juden abtransportiert wurden, auch die kleinen jüdischen Mädchen in der Schule, die er leitete.
Totila riß sich mit 17 aus seiner „Familie mit nationalsozialistischem Hintergrund“ los (von dieser verstoßen und verdammt) und wurde Holocaust-Forscher – aus Kompensationsgründen ein besonders rigider, humorloser, der Ernsthaftigkeit einfordert, wo in dem Ludwigsburger Institut, in dem er arbeitet, das Geschäft mit den Opfern längst Routine ist, mit dem vordringlichsten Gesichtspunkt, Spenden zu lukrieren…
Zazie ist Französin, ihre Omi war ein Mädchen in der Schule des „Opa“ von Riga, das in Auschwitz gestorben ist. Mit dem deutschen Institut für Holocaust-Forschung hat sie Beziehungen – sie war die Freundin des (in einem kurzen Auftritt von Rolf Hoppe verkörperten) verstorbenen Leiters (dessen Nachfolger Totila gerne geworden wäre), ist die Geliebte des gegenwärtigen Chefs und kommt nach Ludwigsburg, angeblich um dort als „Praktikantin“ zu arbeiten. In Wirklichkeit will sie, Selbstdefinition: „meschuggene Jüdin“, sich mit Totila konfrontieren – zwei Enkel von Tätern und Opfern, deren Großeltern sich unmittelbar gekannt haben…
Das ist der Ausgangspunkt des Films von Chris Kraus, den man als Regisseur des bemerkenswerten Streifens „Poll“ kennt, auch dort die Geschichte von Nazis und Juden im Baltikum. Keine Frage, dass Kraus sich selbst wohl – derselbe Hintergrund – in der Figur des Totila findet. Also noch einmal der (offensichtlich in vielem biographische) Versuch, den Umgang mit dem Holocaust zu thematisieren, diesmal allerdings um einiges radikaler, exzessiver – und weit weniger überzeugend.
Kraus konnte „Die Blumen von gestern“ als österreichisch-deutsche Koproduktion drehen, eine Sequenz spielt auch in Wien, nicht nur im Kaffeehaus (sieht wie das Landtmann aus), sondern auch der Nazi-Bunker, vor die der Regisseur eine Gruppe von Couleur-Studenten stellt… Später gibt es auch noch „Spurensuche“ in Riga, die dramaturgisch allerdings wenig bringt.
Man könnte das Thema der „Enkel“ nun auch gewissermaßen „normal“ erzählen, aber Kraus hat sich in seiner Doppelfunktion als Drehbuchautor und Regisseur für eine ziemlich radikale Version entschieden. Er hetzt in Totila und Zazie nämlich zwei rabiate, annähernd Verrückte gegen einander (sie ist noch schlimmer als er), die dann nach und nach in ihren Aktionen so künstlich wirken, dass man meint, die Geschichte zu verlieren.
Diese blättert sich auch abseits des „verrückten“ Paares reich und parodistisch auf, die Mitglieder des „Instituts“ erscheinen durchaus aus der Klamottenkiste (Jan Josef Liefers als lüsterner Professor macht das perfekt), und die alte „Vorzuge“-Überlebens-Jüdin Tara Rubinstein, die so gar nicht den Klischees gehorchen will („Wollen Sie wissen, ob ich mit Heydrich geschlafen habe?“), war wohl die letzte Rolle der großartigen, damals über 90jährigen, unglaublich vitalen Sigrid Marquardt, die dann 2016 verstorben ist: Wie ekelhaft es für die Überlebenden sein muss, wie die Nachkommen der Täter nun unter dem Vorwand triefender Anteilnahme aus ihrem Schicksal Kapital schlagen wollen, das macht sie herrlich kratzbürstig klar.
Im übrigen haben wir es mit dem gestressten, humorlosen Toto zu tun, wobei noch ein – eher peinlicher und überflüssiger – Handlungsstrang ihn mit Tierarzt-Gattin (Hannah Herzsprung) zeigt, die ihn betrügen darf, weil er doch impotent ist, deshalb haben sie auch politisch korrekt ein kleines Negerkind adoptiert, und die Ehekrisen werden auch brüllend per Handy (Toto irgendwo am Männerklo, wo er dann zusammen geschlagen wird) ausgetragen. Ach ja, und eine demente Oma (Bibiana Zeller) ist auch noch da: Das ist alles vielleicht grotesk, aber im Grunde sicherlich nicht annähernd so lustig, wie der Regisseur es sich vorgestellt hat.
Dennoch ist Toto in Gestalt von Lars Eidinger eine letztendlich glaubhafte Figur, auch in der Pose, in der er sein Leiden demonstrativ vor sich her trägt, das ist bekannte Gutmenschen-Manier (wenn man ihm ganz am Ende in New York wieder begegnet, ist er von „Holocaust“ auf „Genozide“ umgestiegen, auch ein Betätigungsfeld…).
Weit weniger glaubhaft, weil vom Drehbuch bis zur Unerträglichkeit überzeichnet, ist die hysterische Zazie mit ihren nicht nachvollziehbaren Volten in Gestalt von Adèle Haenel: So führt man sich (hoffentlich) nur im Kino auf… oder wer schmeißt schon bei rasanter Fahrt einen Hund aus dem Fenster? Als Zeichen wofür? Das ist geradezu schwachsinnig, und ihre sexuellen Annäherungen an Toto, dauernd mit aggressiven Vorwürfen gemischt, sind einfach nur dumm-peinlich.
Wenn manche Filme letztendlich ratlos hinterlassen, so heißt das ja doch, dass der Filmemacher sein Thema nicht wirklich in den Griff bekommen hat. Es ist klar, Chris Kraus wollte angesichts des gelegentlich auch missbräuchlich instrumentalisierten Holocaust-Begriffs in homerisches Gelächter ausbrechen. Aber was hat er letztlich erreicht? Dass man ihm seine Hauptfiguren (die ja echte Schicksale sein können) teils nicht glaubt, teils von ihnen (wie jene überzeichnete Zazie) einfach nur genervt wird. Schade. „Poll“ war doch ein außerordentlich gelungener Film…
Renate Wagner